Herr Gehrcke, laut Sahra Wagenknecht wird Die Linkspartei nun als die „grünliberale Lifestyle-Partei“ wahrgenommen. Womit verbinden Sie die Abwanderung vieler Wähler zur AfD?
Die Linke hat die Bindung zu ihren Wählern tatsächlich verloren, aber es ist keine Modeerscheinung, sondern eine Kette von Wahlniederlagen, die früher nicht so gravierend aussahen. Man muss die Schuld bei uns selbst suchen und sich zugleich etwas zurückbesinnen. Wenn man nicht zu seiner Vergangenheit steht und abstreitet, dass die DDR auch viel Vernünftiges gemacht hat, wird man viele Leute auch nicht gewinnen können.
Die sächsische Linkspartei wollte mit diesem Vernünftigen was anfangen und warb für einen „demokratischen Sozialismus“. Was hat da nicht gestimmt?
Man muss mehr Courage haben. In Brandenburg, wo ich auch Landtagsabgeordneter war, haben wir eben in der DDR für eine vernünftige Politik gestritten. Es gab für uns keinen Anlass, verschämt wegzuschauen, wenn über die DDR gesprochen wurde. Man kann auch sagen, wir gehörten dazu, im übrigen auch, was das Verhältnis zu Russland angeht. Bei den Wahlveranstaltungen hat man mich zuletzt oft gefragt, warum „Die Linke“ mehrheitlich nicht mehr dafür ist, dass man ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu Russland gewinnt.
Es sieht so aus, als wäre die AfD zu einer neuen Protest-Partei geworden. Muss „Die Linke“ dieses Profil wiedergewinnen oder bräuchte man da eine Neuausrichtung?
Die Frage ist: Gibt es Dinge, gegen die man protestieren will? Ich kann mir kein Land der Welt vorstellen, wo es überall Ordnung wäre. Links sein bedeutet gegen schlechte soziale Zustände protestieren und gegen die Schere zwischen Arm und Reich. „Die Linke“ muss eben dagegen protestieren, dass Panzer durch Deutschland rollen und dann noch in Litauen stationiert werden. Ich habe den Kollegen in Sachsen vorgeschlagen, dass man sich auf die Straßen setzt und diese Panzertransporte blockiert, da würde ich gerne mitmachen. Man will es aber nicht. Die AfD spielt ja die Protest-Partei, bleibt aber eine Nato-Partei, die nichts gegen die Militäreinsätze von Ramstein aus oder die Stationierung von US-Soldaten hat. Interessanterweise muss man dem nicht in Brüssel, sondern in Washington widerstehen. Dass die Nato längst von den USA bestimmt wird, finde ich nicht gut.
Ein Thema, von dem die AfD besonders profitiert, ist die Migration. Wie muss die Partei „Die Linke“ es behandeln, damit sie zugleich volksnah und nicht populistisch wirkt?
Man muss darum kämpfen, dass weltweit vernünftige Verhältnisse in Kraft treten, damit die Menschen nicht flüchten. Sie kommen, weil sie in ihrem Land nicht mehr leben können. In meiner Zeit als Abgeordneter sah ich Lager an der syrischen Grenze zu Jordanien, wo mehrere Tausend Menschen unter untragbaren Zuständen in Zelten leben. Das geht auf Dauer nicht. Und wenn der Wunsch ist nach Deutschland zu kommen, muss man dafür vernünftige Verhältnisse schaffen. Auf keinen Fall darf man Flüchtlinge in eine Konkurrenz mit der örtlich ansässigen Bevölkerung bringen, sondern die Mindeststandards wie etwa Mindestlohn oder Bildungsmöglichkeiten müssen gelten. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass wir den Flüchtlingen gegenüber offen sind und die Fluchtursachen bekämpfen.
Die Kriegsflüchtlinge werden zuletzt jedoch von den Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden, die immer wieder über das Meer flüchten und offenbar gerettet werden müssen. Ist die Kritik daran gerecht?
Hunger ist auch ein Fluchtgrund. Es sind auch ganze Generationen da, die ohne Bildung aufwachsen. Ich mache diese Unterscheidungen nicht. Der Reichtum in Deutschland und in Europa beruht eben auf der Ausplünderung der Dritten Welt.
Handelt die Linkspartei also überall richtig in der Migrationspolitik?
Nein. Man hat nicht genug Aufklärungsarbeit geleistet, warum die Menschen nach Deutschland flüchten und dass sie für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes von einer hohen Bedeutung wäre. Unser Land ist nicht rassistisch. Meinen Sie, sie sind nicht genügend qualifiziert? Viele Deutsche sind es auch nicht. Es ist jedenfalls gut, wenn neue Arbeitskräfte nach Deutschland kommen. Es kommt auch viel Klugheit aus anderen Teilen der Welt.
Wie muss sich „Die Linke“ weiter entwickeln? Die linke Bewegung hat ja eine kommunistisch-revolutionäre Geschichte. Sollte Sahra Wagenknecht nun also die Macht ergreifen, um die Partei zu retten?
Sie ist die begabteste Politikerin, die wir haben, mit der größten Ausstrahlung in der Öffentlichkeit. Sie gehört eben zu den wenigen Leuten, die von der Ökonomie ein Verständnis haben. Ich habe viele Wahlveranstaltungen gemacht, darunter in Sachsen, und viele Leute fragten mich, ob wie nicht dafür sorgen könnten, dass Sahra Wagenknecht zu ihnen kommt. Ich weiß nicht, ob Sahra sich sowas antut. Sie kann es, aber sie muss es nicht. Für die Partei wäre es vielleicht gut, dann würde ich mir auch drei Weingläser genehmigen. Ich weiß nur genau, dass die beiden jetzigen Parteigeschäftsführer klug wären, wenn sie zurücktreten würden. Sie verantworten den Niedergang der Partei mit, man muss ein Stück weit Moral und Anstand besitzen.
Wer soll dann die Partei führen, wenn nicht sie?
Ich habe im letzten Wahlkampf genügend Leute vor Ort kennengelernt, die es können. Die Namen möchte ich jetzt nicht erwähnen, aber es gibt genug begabte junge Leute, die es können und denen man die Chance gewähren muss. Es ist aber auch keine große Freude, Vorsitzender zu sein, denn man muss die Partei aus der Tiefe holen.
sputniknews
Tags: