Kurz als Sexsymbol und Frauenmagnet? „Offizielle“ Biografie buhlt um Wählerinnen

  11 September 2019    Gelesen: 825
  Kurz als Sexsymbol und Frauenmagnet? „Offizielle“ Biografie buhlt um Wählerinnen

Es gibt wenig populäre Studien darüber, ob die Sehnsüchte von Frauen ihre politische Willensbildung beeinflussen. Doch in der ÖVP-genehmigten Biografie ihres Chefs Sebastian Kurz finden sich mutmaßliche Beweise dafür. Allerdings wirkt das Werk eher wie ein Liebesroman – und wird im Netz bereits verspottet.

Eine Bekannte von mir hat wenig Ahnung von Politik – und schwärmt dennoch vom 33-jährigen Ex-Kanzler Österreichs Sebastian Kurz. Mit knapp 34 Jahren ist sie nicht mehr ganz unerfahren und hat sogar mal auf ihren Schwarm neben dem Kanzleramt gewartet: Er fasziniere sie als einer, der „was ganz Neues vorschlägt und sich um die Interessen seines Landes kümmert“. Beinahe scherzhaft erwähnt sie die „himmelblauen Augen und milchig-rosa Backen“ des „Wunderwuzzi“.

Ich fragte mich, ob es in Österreich tatsächlich noch Leute gibt, deren politische Entscheidungen sich durch persönliche Sympathien, oder sagen wie mal, durch die Libido bestimmen lassen. Die Umfragen zur Zustimmungsrate der bürgerlich-konservativen ÖVP haben allerdings bisher noch keine wesentliche Dominanz von Frauen festgestellt.

Jedoch kursieren auf Twitter seit einigen Tagen bemerkenswerte Postings unter dem Hashtag „50ShadesOfKurz“ – eine Anspielung auf die schwüle Roman-Trilogie, „Fifty Shades of Grey“, der über die Liebe eines jungen machtsüchtigen Milliardärs mit Sadomaso-Fetisch zu einer durchschnittlichen jungen Angestelltin.

„Er sah mich an. In seinen Augen spiegelte sich die Österreich-Fahne, die zum ersten Mai sanft im patriotischen Wind wehte. ‚Hey, Baby’, sagte er, seine Stimme tiefer als der Traunsee. „Soll ich noch hochkommen...deine Balkanroute schließen?“, schreibt Nutzerin „die Liser“ und macht sich dabei wie viele andere Nutzer über die neue Biografie von Sebastian Kurz lustig.

Am heutigen Mittwoch erscheint die „Sebastian Kurz. Die offizielle Biografie“ im Handel, im Internet sind einzelne Seiten kostenlos zu lesen. Aus der Ich-Perspektive der Journalistin Judith Grohmann geschrieben, liest sich sie teils wie ein Fanbuch, teils wie ein Kitschroman oder einer Ode ähnlich, fast wie eine Liebeserklärung an den Politiker, der Ende September wahrscheinlich wieder Regierungschef wird. Viel Kritik an den bisherigen politischen Leistungen oder Hinweise auf das Ungeklärte und Widersprüchliche sind im Buch nicht vorgesehen. Stattdessen bewundert Grohmann den 33-jährigen des Öfteren, spricht mit seinen Eltern und bekannten Befürworten wie etwa dem Rennfahrer Niki Lauda und verkauft allzu viel die subjektive Sehnsucht nach einem, „der sich nicht vor den üblichen politischen Karren spannen lässt“, als Stimme der öffentlichen Meinung.

Über eine Begegnung mit Kurz zu seiner Zeit als Außenminister schreibt Grohmann im Prolog in einem „Fifty Shades of Grey“ ähnlichen Ton:

„Zunächst erblickte ich nur eine Silhouette. ‚Ist er es wirklich?', dachte ich mir. Ich sah lediglich einen Teil eines Kopfes, doch der kam mir bekannt vor. Diese dunkelbraunen Haare, die streng nach hinten gekämmt waren, und die kleine, spitze Nase, die aus seinem Gesicht hervorlachte. [...] Er sah aus dem Fenster und blickte gedankenversunken in die Ferne. Ob er uns wahrgenommen hatte, war fraglich. Das helle Sonnenlicht leuchtete in den Raum hinein. Doch das störte ihn nicht. Die Herbstsonne blendete sein Gesicht. Er war vertieft und in Gedanken versunken. [...] Es war ein besonderer Augenblick für mich. [...] Schließlich atmete er tief durch. Also sprang ich auf und ging einen Schritt auf ihn zu: ‚Herr Minister, wollen Sie sich zu uns setzen?' Dabei machte ich eine einladende Handbewegung zum schwarzen Ledersofa. Doch der Mann, der an die Türe gelehnt stand, schüttelte nur sanft seinen Kopf, weiter in die Leere blickend. Noch einmal atmete er tief durch, dann sah er uns in die Augen und nickte uns zu, bevor er sich umdrehte und wortlos aus dem Raum verschwand.“

Allein in den Probeseiten kriegt man als Leser schon ungewollt das Gefühl, dass Sebastian Kurz „ein beinharter Macher einer neuen, modernen, sensiblen Politik“ sei, „talentiert“, „ein Leader“, „auf der Suche nach neuen Wegen in der Politik“, „durchsetzungsstark“ und „überzeugend“ - ohne dass es Zitate aus seiner Umgebung wären. Betont wird auch, dass er ein Kind aus einem Arbeiterbezirk sei, in einem Jahr auf die Welt gekommen, „in dem auch international sehr viel geschah“.Ein Kind habe sich schnell zu einem Sohn entpuppt, der auf der Überholspur gefahren sei. Mit einem Jahr schon habe er komplette Sätze gesprochen und „stellte damit viele andere Kinder in den Schatten“. Ob es seine Mutter sagt oder die Journalistin dies aus dem Kopf weiß, bleibt unklar.

Die Twitter-Community spart seit Tagen kaum an Spott un Satire. Die Nutzerin Raffaela sorgte mit einer Steuer-Narration für viel Aufsehen.

Natascha Strobl spottete mit einer Hacker-Geschichte.

Der österreichische Satiriker Christoph Süß fand Platz für Assoziationen mit der kitschigen „Sissi“-Serie aus den 50ern.

Julia Pühringer fantasierte noch weiter. Joachim Kurz schwärmte von dem Wienerischen:

Und Sybille Zeisel - von siebenstelligen Spendensummen, die der fesche „Milliardär“ Kurz in einer Parallelwelt für die Partys ausgeben könnte.

Zwar hat die Zeitung „der Standard“ über eine „Heiligenlegende“ – „Vita des heiligen Sebastian“ – geschrieben, aber eigentlich bleibt vom Spott abgesehen von der Biografie das, was sie auch ist: Eine einseitige ÖVP-Nacherzählung in der Ich-Form, in der der Parteichef sowohl von seinen Weggefährten als auch von der Journalistin reichlich gelobt wird und seine Sicht auf die Dinge selbst darstellen darf. Ein Moment schattet nur das glückliche Bild ab: Die umstrittene Personalie der Journalistin. Auf ihrer Homepage schreibt Grohmann, dass sie als „Chefin vom Dienst“ für das Nachrichtenmagazin „Profil“ gearbeitet habe. Später habe sie als Wirtschaftsressortleiterin der Tageszeitung „Die Presse“ gearbeitet. Die Redaktionen beider Medien dementierten das. Laut „Profil“ seien die Behauptungen Grohmanns eine „krasse Übertreibung“. Sie habe „mit Sicherheit nicht als Redakteurin, geschweige denn als Chefin vom Dienst gearbeitet. Und „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak teilte auf Twitter mit: „Das entspricht nicht der Wahrheit. Die Autorin war nie Ressortleiterin unseres Wirtschaftsressorts. Sie schrieb für das wesentlich kleinere Ressort ‚Karriere'.“

Und diese Frau schreibt nun eine offiziell von der ÖVP autorisierte Biografie. Das heisst, Kurz soll sie persönlich genehmigt haben. Man fragt sich, bei wem sie erfolgreich landen wird. In der Musikszene wären dies vor allem Fangirls. Gilt das Gleiche auch für die Politik?

sputniknews


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