Prüfung für Gütesiegel: Beim Spielzeug hört der Spaß auf

  31 Januar 2016    Gelesen: 604
Prüfung für Gütesiegel: Beim Spielzeug hört der Spaß auf
Drei Milliarden Euro haben die Deutschen 2015 für Spielwaren ausgegeben. Ob das Geld immer gut investiert wurde? Ein Verein will mit einem Gütesiegel gutes Spielzeug herausfiltern. Ein Besuch bei der Jurysitzung.
Vera Heinzelmann stellt ein grün-rotes Fahrzeug mit zwei Rädern auf den Tisch. "Das hier ist die Nummer fünfzehn zwei vier neun. `Mini Bots` von Fischertechnik. Ab acht Jahren", trägt sie vor und schiebt das Gefährt zwischen Wasserflaschen und Clementinen hindurch in die Mitte.

Acht Frauen und drei Männer beugen sich am Konferenztisch nach vorn. Einige haben ihre Lesebrillen auf die Nasenspitze gerückt und schauen kritisch auf den roboterähnlichen Wagen. Hier im Konferenzraum in Ulm geht es schließlich um eine ernsthafte Sache: das deutsche Spielwesen.

Spielsachen bekommen Nummern, werden begutachtet und bewertet. Nur wenn die Tester mit dem Spielzeug zufrieden sind, bekommt es das orangefarbene Siegel des Vereins "spiel gut". Entdecken die Tester einen Mangel, bekommt der Hersteller eine Art blauen Brief.

Seit 1954 gibt es "spiel gut" bereits. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter bringen ihr Expertenwissen aus dem Beruf mit: Erzieher, Sozialpädagogen, Mediziner, Chemiker, Elektrotechniker, Architekten, Mediziner sind mit dabei.

Zu Beginn jedes Jahres schwärmen die Tester auf der Spielwarenmesse in Nürnberg aus und suchen unter mehr als einer Million Produkten nach neuen Modellen, die sie später bei den Herstellern anfordern. Dann wird das ganze Jahr hindurch getestet. Pro Monat kommen die Juroren locker auf bis zu 40 Spielsachen. Etwa die Hälfte der getetesten Produkte bekommt das Siegel.

Der "Mini Bot" hat die erste Testphase schon hinter sich. Jedes Spielzeug kommt für einige Wochen in eine Testfamilie. Prüferin Heinzelmann liest aus dem Bewertungsbogen vor, den die Familie ausfüllen musste. Ihr achtjähriger Sohn sei so sehr mit dem Zusammenbauen des Fahrzeugs beschäftigt gewesen, dass er danach keine Lust mehr zum Spielen gehabt habe, schreibt die Mutter. Und als das Gefährt endlich fertig war, sei keine Batterie in der Schachtel gewesen, um den Roboter fahren zu lassen. Das klingt erst mal nicht gut.
Richard Geißler ist in der Runde der Experte für Konstruktionsspielzeug. Der Elektrotechnik-Ingenieur schnappt sich die Verpackung des Mini-Roboters. Wer genauer hinschaut, sieht, dass die Batterie nicht enthalten ist. "Das kann man dem Hersteller nicht ankreiden", sagt Geißler.

Neben ihm sitzt Norman Kurock, ein Sozialpädagoge. Er betrachtet das Gefährt kritisch über den Rand seiner Brille hinweg. Warum hatte das Testkind solche Probleme beim Zusammenbauen? Ist die Altersangabe des Herstellers mit acht Jahren zu niedrig angesetzt?

Geißler stellt fest: Der Junge hat schon beim Zusammenbauen einige Fehler gemacht. Geißler reicht die Aufbauanleitung herum. Jeder Schritt ist genau aufgezeichnet. Die Mutter habe die Tüftelfreude ihres Sohnes wohl falsch eingeschätzt, meint der Ingenieur.

Er nimmt das Gefährt in die Hand. "Der hat hier vorne sogar ein Gesicht. Das ist ein witziger Gag." Er deutet auf eine Art Schild. "Und hier vorn sind Sensoren, die reagieren sogar auf Hindernisse." Sozialpädagoge Kurock hat einen Vorschlag. Eine weitere Familie soll das Gefährt nachtesten. Die Runde stimmt zu. Alle wollen, dass der "Mini Bot" das "spiel gut"-Siegel bekommt - vorausgesetzt, in der zweiten Test-Familie läuft es mit dem Zusammenbauen besser.

Was macht gutes Spielzeug aus?

Für die "spiel gut"-Experten kommt es darauf an, dass Spielsachen Erwartungen nicht enttäuschen. Sie sollen Kinder auf eigene Ideen und auf weitere Spielmöglichkeiten bringen. Und das Spielzeug soll natürlich haltbar und sicher sein. Nur dann gibt es das Siegel.

Siegel von "spiel gut": Entscheidungshilfe für ElternZur Großansicht
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Siegel von "spiel gut": Entscheidungshilfe für Eltern
Deutsche Verbraucher schätzen Siegel. Sie geben ihnen Orientierung - egal ob es um Lebensmittel, technische Geräte oder Spielsachen geht. Alles wird erforscht, bekrittelt und eingeordnet. "spiel gut" versucht, die Erwartungen und deren Grenzen auszuloten. Der Verein will den Kindern den Spaß am Spielen erhalten. Die Kriterien der Experten spiegeln aber auch die Anspruchshaltung vieler Eltern wider. Spielzeug soll nicht nur technisch einwandfrei und umweltverträglich sein - es soll auch moralischen Prinzipien entsprechen.

Und genau daran hakt es, als die "spiel gut"-Tester ein Gesellschaftsspiel auf ihren Tisch bekommen. Kita-Leiterin Regina Witte hat mit ihren Zöglingen "Räuber Hotzenplotz - Hinterhalt im Zauberwald" getestet. Es gehe um Strategie, erklärt Witte. Kasperl, Seppel, Großmutter und Wachtmeister Dimpfelmoser sollen den Räuber Hotzenplotz fangen - die Kinder müssen entsprechende Zählkarten ziehen.

Räuber-Hotzenplotz-Spiel: Nicht immer entscheidet das Urteil der Kinder
Doch eine Jury-Kollegin beschäftigt etwas ganz anderes als die Spielregeln: "Hinterhalt im Zauberwald", liest sie den Untertitel des Spiels vor. "Da ist doch gar kein Hinterhalt. Und Hinterhältigkeit wollen wir den Kindern doch auch nicht vermitteln. Das ist einfach nur ein reißerischer Titel", schimpft sie.

Der Untertitel wird dem Spiel bei der Abstimmung zum Verhängnis. Es gibt kein Siegel. Wenn der Hersteller bei der kommenden Auflage den Untertitel ändert, kann er sich wieder bewerben.

"Eine Fehlkonstruktion"

"Ooohhh", rufen dann einige, als Vera Heinzelmann die Nummern "fünfzehn drei vier eins" und "fünfzehn drei vier zwei" auf den Tisch rollen lässt. "Das ist `Lucie auf Rollen` und ein Foxterrier", verkündet sie. Zwei Plüschhunde auf Rädern. Zwei Familien mit eineinhalbjährigen Kindern durften die Nachziehtiere testen. "Mit Lucie wurde nicht gerne gespielt, sie kippt nach vorn", liest eine Jurorin aus dem Bericht einer Familie vor. Mit dem Foxterrier lief es ähnlich. Sie zieht den Hund an der Leine über den Tisch.

"Der Hund hat Schlagseite", ruft ein Kollege. Schon liegt der Foxterrier auf der Nase. Die Achsen seiner Räder ziehen sich zusammen, die Beine knicken ein. "Der ganze Hund ist einfach instabil. Das ist eine Fehlkonstruktion", ruft ein Juror. Wieder abgelehnt.
Ist Plastik ein K.o.-Kriterium?

Nun muss sich zeigen, ob Plastikspielzeug bei den Experten gut ankommt. Eine Kinderklinik von Playmobil kommt auf den Tisch - ausgestattet mit OP-Saal, Babystation, Kinderkrankenzimmer. Eine Jurorin bemängelt, dass sogar die Bettdecke für das Krankenbett aus Kunststoff ist. Die Architektin in der Runde stört viel mehr, dass das Gebäude eher einer US-Klinik als einem deutschen Krankenhaus ähnelt.

Die Testfamilie schreibt, dass ihre vierjährige Tochter eine eigene Geschichte rund um die Klinik erfunden und ihren Reiterhof im Kinderzimmer miteinbezogen hat. Das Mädchen spielte, ein Kind sei vom Pferd gefallen und musste in die Klinik.

Das kommt bei der Jury gut an - Spielzeug, das für die Fantasie der Kinder Raum lässt. Playmobil bekommt das "spiel gut"-Siegel - trotz Kunststoff-Bettdecke und US-Architektur.

Auf der Webseite von "spiel gut" können Eltern im Verzeichnis Spielsachen suchen, die seit 1955 ausgezeichnet wurden.

Tipps für den Spielzeugkauf und eine Übersicht über die gängigsten Siegel, Prüfzeichen und Tests bietet auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

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