Annegret Kramp-Karrenbauer stimmte das Saarland auf ein zähes Ringen mit dem Berliner Verteidigungsministerium ein. Die Christdemokratin, damals Ministerpräsidentin, forderte den Landtag in Saarbrücken auf, einem Antrag ihrer Koalition aus CDU und SPD zuzustimmen, der die vom Bund geplante Privatisierung der Heeresinstandsetzungslogistik (HIL) ablehnte. "Dieses Signal brauchen wir, denn wir wissen, dass das keine einfache Auseinandersetzung werden wird." Die flammende Rede kam an: Der Beschluss wurde einstimmig gefasst. Selbst die Linke, die mit dem Militär auf Kriegsfuß steht, votierte laut Protokoll für den Erhalt der HIL in "seiner bewährten und zukunftsfähigen Struktur auch über 2017 hinaus".
Das war im April 2016. Inzwischen macht Kramp-Karrenbauer Politik in Berlin als Verteidigungsministerin. Sie leitet also das Haus, das den Verkauf der bundeseigenen Werke erwägt. Woraus sich die Zwickmühle ergibt: Macht die Ressortchefin den Weg für die Privatisierung frei, muss sie das im Saarland erklären. Schiebt sie der Idee einen Riegel vor, hat der Bund einen zweistelligen Millionenbetrag für Berater in den Sand gesetzt.
In den HIL-Werkstätten werden Panzer und andere Großfahrzeuge der Bundeswehr repariert - ein Millionengeschäft. Der Bedarf an Instandsetzung steigt seit Jahren. Nach einer älteren Prognose aus dem Verteidigungsministerium sollte er sich bis 2027 verdreifachen. Die HIL hat Betriebe im hessischen Darmstadt, im brandenburgischen Doberlug-Kirchhain und eben im saarländischen St. Wendel.
"Inzwischen befürwortet keine Fraktion mehr die Privatisierung", sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Müller. "Allein die neue Verteidigungsministerin schweigt zu dem Thema, obwohl sie noch als Ministerpräsidentin dagegen war." Katja Keul von den Grünen meint: "Diejenigen, die die Werkstätten kaufen wollen, sind die Hersteller selber - und die haben dann ein Monopol." Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann hätten Interesse daran, dass niemand sonst ihre Panzer auf Vordermann bringe.
"Eine Ironie der Geschichte"
Doch für Kramp-Karrenbauer kommt es noch dicker. Die Ministerin hat mit der Affäre um rechtswidrig vergebene Millionenaufträge an Berater rein faktisch nichts zu tun. Die Entscheidungen fielen alle vor ihrer Berliner Zeit. Allerdings: Die Debatte um die HIL-Privatisierung steht heute im Mittelpunkt der Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Skandals. "Eine Ironie der Geschichte, dass Kramp-Karrenbauer die Berateraffäre auf diese Weise einholt", sagt Müller.
Im Mittelpunkt steht einmal mehr das Agieren der früheren Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder, einer zentralen Figur in der Affäre. Opposition und SPD mutmaßen, dass sich die einstige McKinsey-Mitarbeiterin und enge Vertraute der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei Auftragsvergaben für mit ihr bekannte Berater stark gemacht habe. Handfeste Beweise dafür liegen nicht vor.
Suder habe mächtig Druck gemacht, die Entscheidung zum Verkauf der HIL zu treffen, berichtet Müller. "Sie gab Ende 2015 oder Anfang 2016 der HIL-Zentrale in Bonn den Auftrag, ein Vergabeverfahren für Beratungsleistungen zu initiieren, um die Privatisierung anzugehen." Nach mehrmonatiger Arbeit habe die HIL-Zentrale "geeignete Beratungsfirmen mit Erfahrung mit der Organisation von Privatisierungen identifiziert und nach Preisen befragt sowie als Ergebnis dieser Ausschreibung ein Ranking entwickelt". Diese Liste mit Empfehlungen habe das Ministerium erhalten. Doch Suder habe am 17. Mai 2016 ein weiteres Vorgehen in der Sache unter Federführung der HIL "plötzlich gestoppt. Das Ministerium erteilte ohne Ausschreibung der Nummer vier dieser Liste den Zuschlag."
Der Auftrag ging an eine weltweit agierende Anwaltskanzlei, die Müller und andere Mitglieder des Untersuchungsausschusses aus juristischen Gründen nicht öffentlich nennen wollen. Der FDP-Mann fragt: "Gab es eine Verbindung zwischen der Beratungsgesellschaft und Suder?" Es müsse schließlich irgendeinen Grund gegeben haben, "dass man nicht die Nummer eins genommen und auf eine erneute Ausschreibung verzichtet" habe. "Ausgerechnet die Nummer vier der Liste hat profitiert, eine Kanzlei, die unter Suder und von der Leyen ohnehin überraschend viele Aufträge erhalten hat."
Grüne: "Das riecht sehr nach einer Gefälligkeitsstudie"
Auch Grünen-Politikerin Keul zeigt sich verwundert: "Das erste Gutachten, das von der HIL zur Wirtschaftlichkeit, ob sich eine Privatisierung lohnt, in Auftrag gegeben wurde, ist von oben gestoppt worden." Mit dem Anheuern einer teuren Anwaltskanzlei sei das Ergebnis von vornherein klar gewesen. "Das vorgelegte Gutachten empfahl prompt die Privatisierung als die günstigste Variante. Das riecht sehr nach einer Gefälligkeitsstudie."
Matthias Moseler, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der HIL-Werke, wird heute als Zeuge im U-Ausschuss auftreten. Er hatte im April dieses Jahres im ZDF einen Einblick in das Vorgehen des Ministeriums und die Ausgaben gegeben. Die fragwürdige Auftragsvergabe sei nicht mehr mit der Vorgabe erfolgt, "dass maximal 420.000 Euro ausgegeben werden dürfen". Er sprach von Beraterhonoraren von "bis zu 42 Millionen" Euro. "Man hat richtig Geld in die Hand genommen, um schnellstmöglich die Werke irgendwie zum Verkauf führen zu können." Rüdiger Lucassen, der für die AfD im U-Ausschuss sitzt, nannte "Stundensätze von 450 Euro plus Spesen" als Honorar.
Nach Informationen aus dem Bundestag soll von den 42 Millionen Euro bis Ende 2020 jeweils beinahe exakt eine Hälfte des Betrages für die Anwaltskanzlei und die andere für ein internationales Wirtschaftsberatungsunternehmen reserviert gewesen sein. Wie viel davon tatsächlich abfloss, ist öffentlich nicht bekannt.
Das Ministerium hält an seinem Konzept fest. In einer Untersuchung auf Wirtschaftlichkeit sei im August 2017 festgestellt worden, "dass die Abgabe der Werke wirtschaftlicher ist als die Fortführung in Eigenregie". Das entsprechende EU-Vergabeverfahren laufe, sagte eine Sprecherin. Derzeit werte das Ressort Angebote aus. Über einen Verkauf sei bisher nicht entschieden worden. In jedem Fall sei es richtig gewesen, die Wirtschaftlichkeit zu hinterfragen.
Das Ressort hatte ursprünglich vorgerechnet, dass der Bund durch die HIL-Privatisierung innerhalb von 20 Jahren rund 180 Millionen Euro weniger ausgeben könnte. Keul bezweifelt dies: "Billiger wird das auf keinen Fall." Vor einem Jahr schwenkte schließlich auch die SPD im Bund auf den Kurs der saarländischen Sozialdemokraten ein. Begründung: Ob wirklich gespart werde, sei unklar. Zudem bestehe das Risiko, dass die Bundeswehr bei einem Verkauf der Werke weitere eigene Fähigkeiten auf dem Gebiet der Instandsetzung verlieren würde. Keul: "Dass sich durch die neue Haltung der SPD irgendetwas geändert hat, ist nicht festzustellen. Die Ausschreibung lief einfach weiter."
Quelle: n-tv.de
Tags: