ntv.de: Russland und Iran sind schon länger Verbündete. An diesem Freitag unterzeichnen sie nun ein strategisches Partnerschaftsabkommen, wenige Tage vor Donald Trumps Amtseinführung? Ist das Zufall?
Stefan Meister: Das Abkommen wird seit vier, fünf Jahren verhandelt. Immer wieder wurde es angekündigt, dann wieder verschoben. Es gibt offensichtlich Schwierigkeiten, sich bei einigen Punkten zu einigen. Der Grund, warum es jetzt kommt, ist vor allem Trump. Beide Seiten sind Ziel US-amerikanischer Politik und wollen sich nun ihrer Bündnispartnerschaft vergewissern. Trotz aller Differenzen ist kurz vor Trumps Präsidentschaft der Druck so groß, dass man sich geeinigt hat.
Die beiden Staaten sind also nicht so eng verbunden, wie man mitunter glauben könnte?
Beide Länder kooperieren aufgrund des äußeren Drucks. Sie stehen unter massiven westlichen Sanktionen, vor allem der USA und ihrer Partner. Gleichzeitig sind sie bei vielen Themen Konkurrenten, etwa auf dem Gas-Markt oder gegenüber China. In Regionen wie dem Südkaukasus oder dem Nahen Osten haben sie nicht immer auf der gleichen Seite gestanden. Zum Beispiel hat Moskau in bestimmten Bereichen lange eng mit Israel kooperiert und auch mit den Golfstaaten. Zwischen Russland und Iran ist also nicht alles rosig.
Aber sie brauchen einander.
Wegen der geopolitischen Verschiebungen, der sicherheitspolitischen Veränderungen und vor allem wegen des Kriegs in der Ukraine braucht Russland den Iran. Dafür ist Moskau einige Kompromisse eingegangen, hat aber auch einiges bekommen vom Iran, das wichtig ist für den Krieg, insbesondere Lizenzen für Drohnen. Russland und Iran bilden keine Achse, ihre Beziehungen sind eine interessengeleitete Kooperation unter äußerem Druck.
Das Abkommen steht auch unter dem Eindruck des Sturzes von Syriens Diktator Baschar al-Assad, was Russland, aber vor allem den Iran getroffen hat. Ist es noch ein Abkommen auf Augenhöhe?
Beide Staaten kritisieren sich gegenseitig dafür, in Syrien versagt zu haben. Die Iraner kritisieren die fehlende Luftunterstützung durch Russland, die ursprünglich angekündigt wurde. Die Russen kritisieren wiederum die Iraner dafür, dass sie am Boden nicht präsent waren. Im Moment brauchen sich beide Länder gegenseitig. Es wäre zu einseitig, den Iran in der schwächeren Position zu sehen.
Aber die Verbündeten des Iran, zum Beispiel die Hisbollah, sind derzeit stark geschwächt.
Natürlich ist der Iran besonders geschwächt durch die israelische Politik im Nahen Osten. Aber auch Russland ist geschwächt. Es hat massiv Truppen und Material aus Syrien abgezogen und in die Ukraine gebracht, weil sie dort alle Ressourcen brauchen. Sollte Russland seine Stützpunkte in Syrien verlieren, wird es große Probleme bei seinen Operationen in Afrika bekommen. Für Zwischenlandungen von Versorgungsfliegern und Militärtransportern wird es dann den Iran brauchen.
Das Abkommen betrifft die unterschiedlichsten Themen, vom Austausch von Technologien über Terrorismusbekämpfung bis zu Umweltfragen. Was steht Ihrer Meinung nach für Moskau im Vordergrund?
Das sind drei Themen: Erstens die Kooperation bei Militär und Verteidigung - iranische Shahed-Drohnen sind sehr wichtig für Russland, aber auch Raketen wurden geliefert. Auch wenn Russland inzwischen selbst Drohnen herstellt, braucht es weiterhin militärisches Material aus dem Iran, weil die eigene Produktion nicht ausreicht für diesen Abnutzungskrieg. Der zweite Punkt ist der Handel: Der Nord-Süd-Korridor ist für Moskau enorm wichtig. Es geht nicht nur um Lieferungen aus dem Iran, sondern auch um den Zugang zu Indien und den Ländern des Nahen Ostens. Russland braucht alternative Partner und Handelsrouten und muss diese Verbindungen noch ausbauen.
Und drittens?
Da geht es um die Kooperation bei der Umgehung von Sanktionen. Russland hat mit Blick auf die Sanktionen viel vom Iran, aber auch von Nordkorea gelernt. Beide haben bereits früher Schattenflotten eingesetzt, Moskau hat das ganze nur in anderen Dimensionen weiterentwickelt. Ein anderer Bereich sind das Finanz- und das weltweite Bezahlsystem. Auch da gibt es Kooperationen mit dem Iran, um alternative Finanzinstrumente zu entwickeln, zum Beispiel im Bereich Kryptowährung. Damit wären wir bei der Zusammenarbeit im Cyberbereich.
Das Abkommen umfasst auch Kooperationen bei Angriffen auf eines der Länder. Würde Russland eingreifen, wenn die USA, aber vor allem Israel den Iran attackieren?
Ich glaube nicht, dass eines der beiden Länder im Falle eines Angriffs eingreifen oder militärisch aktiv werden würde. Möglicherweise würde es Waffenlieferungen oder Hilfe bei der Logistik geben. Aber keines der Länder will in einen Krieg involviert werden, noch hätten sie die Ressourcen dazu. Selbst beim Sturz Assads waren weder Russland noch Iran in der Lage, ihn zu retten. Beide haben aktuell andere Probleme und Prioritäten. In dem Abkommen geht es vor allem darum, Länder nicht zu unterstützen, die gegen den jeweils anderen agieren. Das ist beiden wichtig und dient der Absicherung mit Blick auf die US-Politik unter Trump.
Das heißt, der Iran wird anders als Nordkorea auch keine Truppen im Krieg gegen die Ukraine einsetzen?
Iraner waren in Russland oder auch in der Ukraine aktiv, zum Beispiel beim Einsatz iranischer Waffensysteme wie der Drohnen und dem Anlernen russischer Spezialisten und Soldaten. Aber ich bin skeptisch, dass Teheran in Kampfhandlungen eingreifen wird, wie es Nordkorea tut.
In einem Abschnitt zur staatlichen Souveränität wird die Krim laut Medienberichten ausdrücklich ausgespart. Warum erkennt Iran die Annexion der Halbinsel nicht an?
Beiden Ländern ist die Souveränität von Grenzen wichtig. Entsprechend vorsichtig sind sie bei diesem Thema. Zum Beispiel streitet sich der Iran mit arabischen Staaten um mehrere Inseln im Persischen Golf. Zudem will Teheran mit Blick auf Europa und deren Sanktionen die Tür nicht komplett zuschlagen. Möglicherweise werden unter Trump die Differenzen zwischen den westlichen Verbündeten wachsen, was man nutzen könnte. Man möchte sich hier Optionen offenhalten.
Sehen Sie Parallelen zwischen den strategischen Partnerschaftsabkommen Russlands mit Nordkorea und Iran?
Es gibt Parallelen, vor allem bei der Militär- und Technologiekooperation. Beide Länder liefern Russland Waffen. Beim Iran geht es vor allem um Drohnen, bei Nordkorea um Munition und Raketensysteme. Ich denke, das ist eine Art Bündnis, das sich bei bestimmten Aggressionen gegenseitig unterstützt oder zumindest nicht gegeneinander agiert. Ähnlichkeiten gibt es auch beim Umgang mit dem Finanzsystem und der Umgehung von Sanktionen. Aber insgesamt ist der Kontext ein anderer: Nordkorea liefert ganz andere Systeme, und ist auch zu anderen Kooperationen bereit als der Iran, zum Beispiel zur Entsendung von Truppen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Teheran hat weiterhin ein Interesse, auch mit den Europäern ins Gespräch zu kommen und eine Vereinbarung zum Atomabkommen zu erzielen. Nordkorea dagegen ist isoliert und komplett abhängig von China und Russland, es hat keinerlei Interesse an anderen Optionen. Deswegen ist der Iran auch viel vorsichtiger in seinen Kooperationen mit Russland.
Die Londoner "Times" hat kürzlich berichtet, dass Teheran neben den Atomgesprächen mit den Europäern auch mit Russland über den Ausbau des Atomprogramms verhandelt.
Wenn Sie in der Situation des Iran stecken, dann müssen Sie mindestens zweigleisig fahren. Das Land will aus der Isolation und der schwierigen wirtschaftlichen Situation herauskommen, steht aber gleichzeitig unter massivem Druck durch Israel. Was, wenn Trump - anders als Biden - Israel irgendwann erlaubt, den Iran anzugreifen? Bisher hat Teheran nur damit gedroht, eine Atombombe zu bauen. Aber es könnte der Punkt kommen, an dem es eine Bombe wirklich will, um ernsthaft abzuschrecken. Russland kann helfen, diesen Prozess zu beschleunigen. Die Frage ist, ob Russland wirklich Interesse an einer Atommacht Iran hat. Da bin ich skeptisch. Bisher hat Moskau dieses Szenario immer gescheut.
Mit Stefan Meister sprach Markus Lippold.
Quelle: ntv.de
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