Bisher dominieren SpaceX und sein Gründer Elon Musk das Feld der privaten Raumfahrt und der fantastischen Visionen für eine Zukunft im Weltall. Mit dem Jungfernflug der neuen Mega-Rakete "New Glenn" werden sie sich die Bühne in Zukunft womöglich teilen müssen. Es könnte zu einem Messen zwischen zwei Super-Oligarchen werden: "New Glenn" wurde von Blue Origin entwickelt, ein Unternehmen von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Er ist derzeit nach Musk der zweitreichste Mensch der Welt.
Bezos hat wie Musk eine Vision für eine intensive Nutzung des Weltraums. Doch während SpaceX wöchentlich "Falcon 9"-Raketen ins All schickt, kann Blue Origin bisher nur zwei Dutzend Flüge mit der kleinen Rakete "New Shepard" vorweisen. Von Bezos' Raketen hat noch keine den Orbit erreicht, was einen Flug um die ganze Erde bedeutet. Bisher waren es suborbitale Flüge - einmal hoch, dann direkt wieder runter - für Weltraumtouristen oder wissenschaftliche Experimente. Das soll sich nun mit "New Glenn" ändern.
SpaceX mit Jahren Vorsprung
SpaceX hat vorgemacht, wie es geht: Kosten für Weltraumflüge wurden deutlich gesenkt. Hunderte Starts hat etwa das Arbeitstier "Falcon 9" hinter sich, die Superschwerlastrakete "Falcon Heavy" bereits ein Dutzend. Dabei gibt es SpaceX erst seit 2002. Blue Origin hingegen wurde schon 2000 gegründet und erst 2016 wurde der Bau der schweren Rakete "New Glenn" verkündet - damals war die "Falcon 9" schon sechs Jahre im Einsatz.
"New Glenn" ist das Prestige-Projekt von Bezos und soll den Weg ebnen für eine Erschließung des Weltraums für wirtschaftliche Zwecke. Von der Größe her spielt "New Glenn" ganz oben mit: Sie ist 98 Meter hoch und sieben Meter im Durchmesser. Rund 45 Tonnen soll sie in einen nahen Erdorbit bringen können. Damit zählt sie zu den größten und leistungsstärksten jemals gebauten Raketen.
Das "Starship" von SpaceX ist derzeit mit Abstand die stärkste Rakete, aber noch in der Testphase und wohl Jahre von einem kommerziellen Einsatz entfernt. Sie ist theoretisch komplett wiederverwendbar. Die "Falcon 9", die bereits Hunderte Flüge absolviert hat, ist mit einer Höhe von 70 Metern und 29 Tonnen Nutzlastkapazität (LEO) wiederum kleiner als "New Glenn" und man kann nur die größere erste Stufe erneut verwenden.
Auch "New Glenn" ist nur teilweise wiederverwendbar: Dafür wird die erste Stufe nach erfolgreichem Absetzen der Oberstufe im Weltall wieder zur Erde zurückkehren und auf einer Plattform im Atlantik landen - knapp 1000 Kilometer vom Startplatz Cape Canaveral in Florida entfernt. Die Hülle der zweiten Stufe verglüht nach dem Absetzen ihrer Fracht im Weltraum wieder in der Erdatmosphäre.
Mindestens 25 Mal soll die erste Stufe der "New Glenn" erneut verwendet werden können. Wie SpaceX will Blue Origin dadurch die Kosten für Weltraumflüge niedrig halten.
Teil des US-Mondprogramms
Eine technische Besonderheit: Die erste Stufe von "New Glenn" nutzt flüssiges Methangas als Treibstoff. Das hat einige Vorzüge. Methan ist leistungsstärker und sauberer als die meisten herkömmlichen Kerosin-Triebwerke. Dadurch wird die Wiederverwendbarkeit der Motoren verbessert. Zudem wird bei gleicher Leistung insgesamt weniger Kraftstoff benötigt. Die "Falcon"-Raketen von SpaceX verwenden Kerosin, das "Starship" hingegen setzt ebenfalls auf Methan.
Experten räumen "New Glenn" gute Chancen im Wettbewerb mit SpaceX ein. Die Rakete ist vielseitig, kann große Satelliten oder viele kleinere transportieren. Etwa die Mini-Satelliten von Amazon - der Online-Händler will mit dem Project Kuiper, eine Konstellation von Internetsatelliten in einen Erdorbit bringen, welche mit dem Starlink-Netzwerk von SpaceX konkurrieren sollen. Auch im neuen Mondlandeprogramm der USA soll "New Glenn" eine Rolle spielen: Sie soll den ebenfalls von Blue Origin entwickelten Mondlander "Blue Moon" transportieren, der ab 2030 NASA-Astronauten zum Mond bringen soll.
Traum vom Arbeiten im Weltall
Ähnlich wie Musk, der von Mars-Reisen mit dem "Starship" und der Menschheit als interplanetarer Spezies träumt, will auch Bezos noch weiter hinaus: Blue Origin arbeitet bereits an einer privaten Raumstation namens Orbital Reef, die ab 2027 ihren Dienst aufnehmen soll - so jedenfalls die bisherigen Pläne. Bezos beschrieb zuletzt eine Zukunft, in der Menschen in riesigen zylindrischen Lebensräumen im All leben, die rotieren, um künstliche Schwerkraft zu erzeugen. Auch sollen eines Tages umweltschädliche Industrien in den Weltraum verlagert werden, damit die Erde wieder in einen natürlichen Zustand zurückkehren kann, so seine Vision.
In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob Blue Origin den Rückstand zu SpaceX aufholen kann. Nach dem ersten Start von "New Glenn" beginnt für das Unternehmen das eigentliche Raumfahrt-Abenteuer.
Quelle: ntv.de
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