Pick-Up-Truck parkt neben Pick-Up-Truck. Pavillons sind über das Gras vor den tausenden von Autos gespannt und spenden bei der Mittagshitze von 35 Grad Celsius und keiner Wolke am Himmel Schatten. USA-Fahnen, Kühlboxen, riesige Grillanlagen, TV-Bildschirme und Lautsprecher: Wenn US-Amerikaner Football feiern, dann zelebrieren sie den Sport richtig - und vor allem schon lange vor dem Spiel. Tailgating heißt es, wenn sich die Sportfans mehrere Stunden vor Kick-Off auf den Parkplätzen direkt vor dem Stadion versammeln, um aus den Heckklappen (tail bedeutet Heck) ihrer Wagen zu essen, zu trinken und ihr Team zu besingen.
Neben der NFL ist dieser Wochen auch die NCAA College Football Saison gestartet. Universitätssport hat in den USA einen Stellenwert, der einer Profiliga mehr als ebenbürtig ist. College Football zählt nach der NFL als der zweitwichtigste Sport. Vor den Basketball-, Baseball-, oder Eishockey-Profiligen. In der Saison 2018 besuchten insgesamt 48,6 Millionen Menschen die College-Spiele, 253 Millionen fieberten an den Bildschirmen Zuhause mit.
„Das ist amerikanische Kultur“
In Los Angeles feuern die Fans in ihren blau-gelben Trikots, T-Shirts und Caps heute die Bruins an, das Team der UCLA, der University of California, Los Angeles. Auch die vielen Unterstützer der Oklahoma University sind an ihren roten Farben leicht erkennbar. Die College-Spiele sind in den USA gerade auch relevant, weil Alumni und Freunde von früher sich bei den Spielen wieder zusammenfinden und Tailgating als Möglichkeit nutzen, sich mal wieder auszutauschen. Ein soziales Event, das alle Altersklassen, Hautfarben und Religionen verbindet.
Mike, 47, Bierdose in der Hand, trägt ein ärmelloses Shirt seiner Mannschaft und ein Cap. „Ich bin UCLA-Fan seit dem Teenager-Alter und seitdem komme ich mit meinem Schwager zum Tailgating, es gehört einfach dazu“, sagt der gesellige Football-Fan. „Das ist amerikanische Kultur. Ich habe keine Ahnung, wie es angefangen hat, aber: It’s fucking great.“
Über den Ursprung des Tailgating werden viele Geschichten erzählt, sicher ist nur: Die US-amerikanische Tradition begann rund um den College-Sport, ist über 100 Jahre alt und gehört in den Staaten genauso dazu wie Halloween oder Thanksgiving. Tailgating ist Kultur und die Tradition wird von Generation an Generation weitervererbt. „Ich habe eine neujährige Tochter und einen zwölfjährigen Sohn und die sind sauer, wenn ich sie nicht mitnehme“, sagt Mike. „Wir sind bei fast jedem Spiel. Aber manche von unseren Freunden gehen nie ins Stadion, obwohl sie Tickets haben. Die Tailgate-Party ist einfach zu gut.“
Bier, Fleisch und Musik
Vereinzelt bewachsene Berge säumen die UCLA-Feier, das Stadion liegt gut 17 Kilometer entfernt von Downtown in einem ehemaligen Wüstental. Die Universität trägt ihre Spiele im historischen Rose Bowl, erbaut 1922, aus - dem Stadion, in dem 1994 im WM-Finale Roberto Baggio den entscheidenden Elfer in die Wolken jagte. Die offene Salatschüssel fasst 90,888 Zuschauer, ist das 16.-größte Stadion der Welt und wurde erst im August von der „Sports Illustrated“ zum besten College-Football-Stadion gekürt.
Auf den riesigen Parkplätzen und dem Golfplatz drum herum werfen die Fans sich nun Footballs zu, pumpen Musik von Drake, wenden ihre fetttriefenden Rippchen. Und der Pegel steigt ständig. UCLA-Fan Mike erklärt: „Ich bin wirklich sauer, wenn ich zum Tailgating mit Leuten gehe, die Sandwiches mitbringen: Man braucht einen richtigen Grill mit viel Fleisch. Dazu braucht man gute Musik und viel Bier.“ Alkohol gehört beim Tailgating dazu - und darf sogar öffentlich verzehrt werden, was andernorts streng verboten ist. Er fließt meist in Form von Light-Bierdosen, aber auch Hochprozentigeres wird bei Trinkspielen rund um extra aufgestellte Bier-Pong-Tische vertilgt. Nebenbei vertreiben sich die Tailgater mit Spielen wie Cornhole die Zeit, bei dem kleine mit Plastikteilchen gefüllte Säcke in Löcher einer Holzplattform geworfen werden müssen. „Es geht beim Tailgating um den Prozess, sich aufs Spiel vorzubereiten und in die richtige Stimmung zu bringen“, sagt der mittlerweile schon etwas angetrunkene Mike.
Sport wird fast zur Nebensache
Abseits des sozialen Events findet dann schließlich auch noch ein Football-Spiel statt. Das könnte man leicht vergessen, denn anders als in Deutschland wollen nicht alle Zuschauer zum Anpfiff im Stadion sein. Und manche bleiben ja das ganze Spiel auf ihrer Tailgate-Party. Sport wird bei diesem sozialen Event zur Nebensache. Nur 52,578 Zuschauer finden den Weg auf die Ränge der Salatschüssel. Das liegt auch daran, dass die Bruins eine schlechte Saison spielen. Die ersten beiden Ligapartien wurden verloren und jetzt führt Oklahoma bereits nach einem Viertel 17:0, zur Halbzeit steht es 34:7. Cheerleader in knappen Kostümen versuchen verzweifelt, das Publikum zu animieren: „Make some noiiise!“
Viele sehnen sich bereits zum Tailgating zurück. Aber wer das Stadion verlässt, kommt nicht wieder rein. Popcorn, Pizza-Stücke und litergroße Limonadenbecher schaffen Abhilfe. Als Teil der Halbzeit-Show springen US-Soldaten aus einem Kleinflugzeug ab, das über dem Stadion ein paar Runden dreht. Sie landen nacheinander auf dem Spielfeld und ernten mehr Applaus als die Football-Spieler. Auch Entertainment stellt in den USA den eigentlichen Sport oft in den Schatten.
Schon im vierten Viertel leeren sich die Ränge. Die Cheerleader und die Marching Band müssen trotzdem weiter performen. Am Ende verlieren die Bruins mit 14-48. Ärgerlich für die Fans in blau-gelb, „Football ist König in den USA“, sagt Mike. Aber es ist kein Weltuntergang. Schließlich haben er, seine Familie und Freunde eine sechsstündige Tailgate-Party gefeiert. Und das ist, was beim College Football fast mehr zählt als der Spielstand weiß auf schwarz auf der Anzeigetafel. „Die Atmosphäre ist immer freundlich, ich bin mit einigen aus meiner Gruppe hier zusammen aufgewachsen und beim Tailgating treffen wir uns wieder.“
Tailgating festigt eine US-amerikanische Tradition, von Generation an Generation weitergegeben, und sozialen und kulturellen Zusammenhalt in einer immer stärker gespaltenen Gesellschaft - Football, Bier und Rippchen sind dabei ein gern gesehenes Mittel zum Zweck.
Quelle: n-tv.de
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