Julian Hinz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft – IfW gab zu Beginn der Veranstaltung im Deutschen Bundestag einen Überblick über die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen gegen Russland seit deren Einführung 2014. Er machte deutlich, dass der Rückgang der westlichen Exporte nach Russland stark auf den Verfall des Rubel im Zuge des Ölpreisrückgangs und nur zum Teil auf die Sanktionen zurückzuführen ist. Schließlich verzeichneten auch Länder, die sich nicht am Sanktionsregime beteiligten, 2014 und 2015 einen deutlichen Rückgang ihrer Russland-Exporte. Dennoch ist der Anteil der Handelsverluste, der unmittelbar oder mittelbar auf die gegenseitigen Sanktionen zurückgeführt werden kann, signifikant hoch. Hinz beziffert diesen Anteil für den Zeitraum von 2014 bis Ende 2018 auf 300 Milliarden Dollar, das wäre im Schnitt ein Betrag von 5,6 Milliarden Dollar monatlich.
60 Prozent der Verluste lägen auf Seiten Russlands. Von den übrigen 40 Prozent gehe der überwiegende Teil (92 Prozent) auf das Konto der EU-Mitglieder. Unter den EU-Ländern wiederum sei Deutschland am meisten von den Sanktionen betroffen. Hinz schätzt die deutschen Handelsverluste durch Sanktionen auf 770 Millionen Dollar pro Monat, die US-Verluste lägen dagegen nur bei 70 Millionen Dollar pro Monat. Nur 13 Prozent der sanktionsbedingten EU-Handelsverluste seien direkt auf die russischen Gegensanktionen zurückzuführen, der weitaus größere Teil entstehe durch die politische Verunsicherung und fehlendes Vertrauen von Investoren. Geschäfte würden gar nicht erst realisiert, um mögliche zukünftige Sanktionslasten zu vermeiden. Die Rechnung für die Sanktionen auf russischer Seite bezahle vor allem der russische Verbraucher in Form höherer Preise für sanktionierte Güter.
Den bestehenden und drohenden neuen US-Sanktionen und möglichen Reaktionen dagegen widmete Sascha Lohmann von der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) seine Präsentation. Der Experte gab dabei einen kurzen historischen Rückblick auf die lange Geschichte US-amerikanischer Sanktionspolitik gegen Dritte. Lohmann empfahl Unternehmen und Gesellschaften wie INSTEX auf juristischem Wege in den USA gegen die exterritoriale Anwendung von US-Sanktionen vorzugehen. Dieser Weg sei durchaus aussichtsreich. Zudem könnten europäische Unternehmen vor der weltweiten Anwendung von US-Recht derzeit kaum von der europäischen Politik, sondern nur durch heimische Gerichte in den Vereinigten Staaten wirksam geschützt werden.
Abschottung Russlands und hoher Aufwand
Michael Harms, Vorsitzender der Geschäftsführung des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins, gab anschließend einen Überblick über die praktischen Auswirkungen der Russland-Sanktionen für die deutsche Wirtschaft. Die westliche Sanktionspolitik habe zu einer Abschottung Russlands etwa im Rahmen der Lokalisierungspolitik geführt und chinesischen Anbietern Vorteile auf dem russischen Markt verschafft. Für die Unternehmen bedeute das Sanktionsregime einen erhöhten administrativen Aufwand und berge ein erhebliches Reputationsrisiko, insbesondere im Hinblick auf ihr US-Geschäft. Lange Genehmigungsfristen für Exportgeschäfte erschwerten zudem die Möglichkeit, sich an Ausschreibungen in Russland zu beteiligen. Wie die Unruhe auf dem Aluminiummarkt nach den Sanktionen gegen Rusal gezeigt habe, könnten Sanktionen zu erheblichen Marktturbulenzen führen.
Sandra Weeser, Obfrau im Ausschuss für Wirtschaft und Energie der FDP-Fraktion, verteidigte die europäische Sanktionspolitik nach der „Annexion der Krim“ als richtig und alternativlos. Zwar sei die FDP grundsätzlich für Freihandel, und Sanktionen seien als außenpolitisches Instrument fragwürdig. Doch Völkerrechtsbrüche dürften nicht hingenommen werden. Sie plädierte für einen schrittweisen Abbau der Sanktionen entlang einer Road-Map parallel zu Fortschritten bei der Umsetzung des Minsker Abkommens.
Klaus Ernst forderte die Bundesregierung dagegen auf, ein Zeichen zu setzen, indem einseitig erste Sanktionen zurückgenommen würden. Dann bewege sich auch die andere Seite. Die Bundesregierung habe genug Einfluss auf europäische Entscheidungen, um dies durchzusetzen. Für Ernst sind die Sanktionen wirkungslos und hätten zudem negative Folgen für deutsche Unternehmen.
Sanktionen schaden der eigenen Wirtschaft
Für Peter Ramsauer (CSU), den Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ist der Befund klar: Die Sanktionen schadeten der eigenen Wirtschaft – nicht zuletzt auch der Landwirtschaft – mehr als der Wirtschaft, die man sanktionieren wolle. Ramsauer verwies auf einen Brief der damaligen Minister für Wirtschaft und Außenpolitik. Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier von 2014 an die Abgeordneten des deutschen Bundestages, in dem diese anlässlich der Einführung der Wirtschaftssanktionen bereits einen schrittweisen Abbau der Sanktionen als Ziel angekündigt hätten.
Bernd Westphal, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, forderte einen neuen Impuls der Bundesregierung und des französischen Präsidenten zur Lösung des Ukraine-Konflikts und warb ähnlich wie Ernst für die „Bereitschaft zum ersten Schritt“. Dann könne man beobachten, wie Russland sich verhalte.
Im Hinblick auf bestehende und mögliche neue US-Sanktionen gegen Russland und den Widerstand der USA gegen Nord Stream 2 warben alle vier Abgeordneten für mehr europäische Souveränität. Die Europäer müssten sich emanzipieren, sagte Westphal. Die Energiezusammenarbeit mit Russland sei nie missbraucht worden. Nord Stream 2 sei im ureigenen deutschen Interesse, betonte Ramsauer. Hier müsse die Bundesregierung souverän entscheiden. Auch Klaus Ernst warb zum Abschluss für mehr europäische Eigenständigkeit. Dazu gehörten eine klare Unterstützung der Anti-Blocking-Verordnung der EU durch die Bundesregierung. Diese verbietet die Befolgung ausländischer Sanktionsvorschriften durch EU-Unternehmen. Zudem müsste die EU die Entwicklung „autonomer Zahlungssysteme“, die von den USA unabhängig seien, vorantreiben.
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