Karel Gott war kein Künstlername. Schon sein Vater hieß so. Am 14. Juli 1939 kam Karel Gott Junior als einziges Kind von Karel Gott Senior in Pilsen zur Welt. Auf die Idee, als Künstler später den Namen seiner Mutter (Marie Valešová) anzunehmen, kam er naheliegender Weise nie. Karel Gott hatte nicht nur eine phänomenale Stimme, sondern auch ein untrügliches Gespür für die Regeln und Erfordernisse seines Geschäftes. Er war ein ebenso begnadetes Talent wie äußerst diszipliniert arbeitender Künstler.
Dabei wäre aus Karel Gott beinahe „nur“ ein außergewöhnlich gut singender Elektriker geworden, denn Gott war so verunsichert über seine künstlerischen Qualitäten, dass er lieber eine Lehre beim tschechoslowakischen Maschinenbauer und Elektroausrüster ČKD anstrebte, als entschlossen um einen Studienplatz an der Prager Kunstakademie zu kämpfen, wo er sich eigentlich als Kunstmaler ausbilden lassen wollte.
Doch das Gesangstalent und die Bühnenqualitäten von Karel Gott waren so unüberhörbar und auch so offensichtlich, wann immer er als Amateur in Clubs und Bars auftrat, dass er auf das Drängen professioneller Mentoren hörte und sich für drei Jahre am renommierten Prager Konservatorium einschrieb, um Gesang zu studieren, genauer gesagt Operngesang. Dabei wurde der Rohdiamant, den seine Stimmbänder darstellten, zu jenem Brillanten geschliffen, der ihm eine 60-jährige Weltkarriere garantierte. Von unschätzbarem Vorteil für sein späteres Berufsleben war, dass auch am Konservatorium Profis sofort erkannten, welchen Schatz sie da vor sich hatten.
Gotts Lehrer war Konstantin Karenin, ein Schüler des berühmten russischen Bassbaritons Fjodor Schaljapin. Und der damals bereits weit über 50-jährige Karenin – der als einer der international angesehensten Gesangspädagogen galt – ermutigte den jungen Karel Gott, sich ein Repertoire auch abseits des klassischen Gesangs zu erarbeiten. Karel Gott sollte Karenin später ausführlich für seine solide Ausbildung danken. Dank des Zuspruches von Karenin kam es, dass Gott noch während seines Gesangsstudiums mit dem Jazz-Orchester des Staatlichen Rundfunks der ČSSR auf eine Konzertreise durch Polen ging. Erste Plattenaufnahmen folgten, die sofort nationale Verkaufserfolge und Auszeichnungen nach sich zogen.
Gott startete auf der Musikmesse Midem 1967 in Cannes eine Weltkarriere
1967, mit 28 Jahren trat er auf einer der weltweit wichtigsten Veranstaltungen der Musikindustrie auf, bei der Messe „Midem“ im französischen Cannes. Auf den dortigen Konzerten tritt für gewöhnlich alles auf, was in der E-, U- und Popmusik international Rang und Namen hat. Entsprechend hart ist die Konkurrenz, entsprechend verwöhnt das Publikum. Die Intensität des Applauses wurde mit einem Schallpegelmessgerät ermittelt. Dabei stellten die professionellen Beobachter von den Plattenfirmen und Radiostationen zu ihrer größten Verblüffung fest, dass die Darbietung von Karel Gott auf der Midem-Bühne mit dem Wert 54 nur unwesentlich unter der 58 von Weltstar Tom Jones lag.
Das Ergebnis war ein Plattenvertrag mit dem westdeutschen Label „Polydor/Deutsche Grammophon“. Es sollte eine professionelle Geschäftsbeziehung auf Lebenszeit werden. In den Katalogen von Polydor/DGG finden sich alleine sage und schreibe über 120 Alben und mehr als 70 Singles, die nur im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden! Und nur wenige dieser Schallplatten waren Ladenhüter. Die Zahlen der weltweiten Verkäufe von Karel-Gott-Tonträgern schwanken aufgrund von ungenauen Statistiken zwischen 50 und 100 Millionen Exemplaren.
Seinem Achtungserfolg auf der „Midem“ 1967 folgte noch im gleichen Jahr eine Einladung in das legendäre „New Frontier Hotel and Casino“ in Las Vegas. Dort, wo Weltstars wie Elvis Presley oder Frank Sinatra aufgetreten waren, wurde ihm mit „Europa ’68“ eine sechsmonatige, täglich inszenierte große Bühnenshow angeboten. Angekündigt wurde er mit nicht mehr und nicht weniger als der Behauptung, der „größte singende Star des Kontinents“ zu sein. Sein Erfolg war so überragend, dass seine tschechoslowakische Plattenfirma „Supraphon“ stolz mit ihm und seinem in Las Vegas erworbenen Ruf warb.
Seinen endgültigen Durchbruch bedeutete die Einladung, beim prestigeträchtigen Eurovision Song Contest 1968 für Österreich zu starten. Karel Gott nahm an und sang am 6. April 1968 in der berühmten Royal Albert Hall in London den von Udo Jürgens komponierten Song „Tausend Fenster“ mit einer bewundernswerten Souveränität und nahezu perfekten Stimmgewalt, in Deutsch. Dennoch landete er nur auf dem 13. Rang. Aber diejenigen in der Branche, die Ohren und Augen hatten und bei denen dieser junge Tscheche bis dahin immer noch unter dem Radar flog, hatten begriffen.
Gott hatte in seiner Heimat einen fast unbegreiflichen Kultstatus – Trotz Kritik
Der internationale Siegeszug von Karel Gott war nicht mehr zu stoppen. Und besonders im deutschsprachigen Raum erreichte er eine Popularität wie nur ganz wenige. In seiner tschechoslowakischen Heimat hatte er sowieso schon den Status eines Superstars, der sich im Laufe der Jahre in eine Form der Ehrerbietung ausweitete, die seinem Familiennamen alle Ehre machte. Die in der ČSSR bekannte Zeitschrift „Mladý svět“ (Deutsch: „Junge Welt“) verlieh zwischen 1962 und 1991 insgesamt 30mal den Leserpreis „Zlatý slavík“, die „Goldene Nachtigall“. In der Kategorie „Sänger“ steht in den Annalen insgesamt 22 Mal der Name Karel Gott. Und selbst den Nachfolgepreis, der nach Auflösung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, kurz und bündig „Tschechische Nachtigall“ hieß und bislang zwischen 1996 und 2017 insgesamt 22mal vergeben wurde, hat Karel Gott die Kategorie „Sänger“ sage und schreibe 20mal dominiert. Es wird lange dauern, bis ein tschechischer oder slowakischer Künstler je wieder in diese Sphären gottgleicher Verehrung vorstoßen kann.
Die enorme Popularität von Gott, vor allem im Westen, schuf zunehmend Probleme, nicht zuletzt mit der Staatsgewalt in seiner Heimat. So jedenfalls ließ sich ein bis dahin unbekannter Brief interpretieren, aus dem tschechische Medien im Juli 2009 zitierten. Das Schreiben stammte angeblich aus der Feder von Gott, war auf den 21. Juli 1971 datiert und von Hamburg aus an den damaligen Chef der Kommunistischen Partei der ČSSR, Gustáv Husák adressiert worden. Gott befand sich zum damaligen Zeitpunkt in der Hansestadt, begleitet vom Komponisten Ladislav Štaidl und dessen Bruder, dem Texter Jiři Štaidl, um eine Tournee durch die Bundesrepublik zu planen. Ohne staatliche Genehmigung bleiben sie länger als geplant, was umgehend die tschechische Staatssicherheit auf den Plan ruft, die Verrat des Superstars wittert.
In dem Brief soll Gott Husák regelrecht angebettelt haben, wieder in die ČSSR zurückreisen zu dürfen, obwohl die Štaidl-Brüder im Westen bleiben wollten. Überdies sei in dem Schreiben die als „Normalisierung“ bezeichnete Phase nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von Gott gelobt worden. Karel Gott konnte sich zunächst nicht an einen solchen Brief erinnern und bezweifelte, dass er und die Štaidl-Brüder einen so unterwürfigen Brief verfasst haben sollen.
Am Ende stellte sich heraus, der Brief ist eine Fälschung eines hochrangigen Mitarbeiters der Plattenfirma „Supraphon“, der persönliche Konsequenzen fürchtete, sollte Gott tatsächlich im Westen bleiben wollen. Was wohl stimmt ist, dass Karel Gott seinerzeit tatsächlich mit dem Gedanken spielte, im Westen zu bleiben. Aber die emotionale Verbindung mit seinem Land und seiner Familie, seiner Sprache und nicht zuletzt die realistische Einschätzung, von welcher Basis aus er seine Karriere am besten ausleben konnte, führten ihn wieder zurück nach Prag.
Gott arrangierte sich mit den Mächtigen – „Ich bin kein Protestsänger, kein Krieger“
Dort unterzeichnet Karel Gott im Februar 1977 die sogenannte Anticharta (im verlinkten Dokument, ein Ausschnitt aus der damaligen Parteizeitung „Rude Pravo“ vom 5.2.1977, findet sich Gotts Name in der rechten Spalte im unteren Drittel). Die Anticharta war das offiziöse Gegenstück zur legendären „Charta 77“, organisiert von der seinerzeitigen Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Karel Gott saß damals allerdings nicht allein auf dem Podium, als die „Anticharta“ vorgestellt wurde, rund 2.000 Künstlern der ČSSR hatten mit ihm unterschrieben, beinahe die gesamte Kunst- und Kulturelite des Landes.
Möglicherweise hätte Karel Gott keine wirklich drakonischen Strafen befürchten müssen, wenn er seine Unterschrift verweigert hätte. Seine ungeheure Popularität hätte ihn vielleicht geschützt, auch vor einem aus Rache verhängten Berufsverbot. Aber Karel Gott sah sich nie als Widerstandskämpfer, wie er 2017 in einem Interview für das Internet-Portal „Seznam Zprávy“ klarstellte:
„Protože já nejsem žádný protestsongař, nejsem bojovník. Nejdu s písněmi na barikády.”
Deutsch: „Weil ich kein Protestsänger bin, ich bin kein Krieger. Ich gehe nicht mit Songs auf Barrikaden.“
Im gleichen Interview begegnete er dem wiederholten Vorwurf, er sei die „Stimme des kommunistischen Regimes“ gewesen mit Spott. Weil offenbar jemand, der ihn nicht mag, aber nichts anderes gegen ihn in der Hand gehabt habe, habe der eben seine Stimme für „sozialistisch“ erklärt. Dass sei so dumm, dass es sich überhaupt nicht lohne, darüber nachzudenken.
Die allermeisten Tschechen und Slowaken sahen und sehen das ähnlich. Jedenfalls hat eine gewisse Anpassung an die Erwartungen des Staates Karel Gott nicht geschadet, weder gegenüber den Mächtigen noch seinem Publikum, weder in West noch in Ost. Er war in der DDR genauso beliebt und häufiger Gast im Fernsehen, Radio und auf Konzertbühnen wie in der BRD oder vielen anderen Staaten rund um den Globus. Seine bekanntesten Hits, die bis heute im kollektiven Gedächtnis jener Generation verankert und fürwahr keine Protestsongs sind, entstanden in den 70er und 80er Jahren: „Einmal um die ganze Welt“, „Wie der Teufel es will“, „Babička“ und natürlich die unvermeidliche „Biene Maja“. Es ist nicht bekannt, ob Gott diesen einen Song genauso aufrichtig und inbrünstig gehasst hat, wie andere Musiker, die von ihren Fans immer nur auf einen Song oder eine Handvoll Lieder reduziert und mit dem Wunsch gequält werden, sie immer wieder zu singen.
Gott liebte seinen Beruf und seine Fans – Aber noch mehr liebte er das Leben
Karel Gott war ein disziplinierter Künstler, einer jener der alten Garde, die es meisterhaft verstehen, ihrem Publikum mit ehrlichem Interesse und ausdauernder Höflichkeit zu begegnen und dennoch jene Distanz zu wahren, die nötig ist, um sich nicht als Sklave seiner Fans zu empfinden, was kein Privatleben mehr zulässt, denn wie Rex Gildo wollte er nicht enden.
Karel Gott war ein lebenslustiger Mensch. Dafür sprechen seine vier Kinder aus drei Beziehungen, die jüngste Tochter kam auf die Welt, als Gott schon das 70. Lebensjahr erreicht hatte. Erst die 27 Jahre jüngere Ivana Macháčková, die zwei seiner vier Töchter das Leben schenkte, konnte Gott mehr oder weniger zähmen und in den Hafen der Ehe führen. In Las Vegas, dort, wo die Karriere von Karel Gott 1967 Fahrt aufnahm.
Es bedurfte erst der Mitteilung im November 2015, dass er am sogenannten Non-Hodgkin-Lymphom erkrankt sei, damit eine Vielzahl seiner Fans begriffen, dass auch ein Karel Gott nicht ewig leben wird, obwohl er zu jenen beneidenswerten Zeitgenossen gehörte, bei denen die unerbittliche Schwerkraft offenbar etwas weniger am Äußeren zerrte als bei den meisten anderen. Offiziell galt Gott seit Juli 2016 als geheilt. Da war er 77. Ob er da ahnte, aber es nach außen nicht zeigte, dass von Heilung keine Rede sein konnte, weiß niemand. Drei Jahre dauerte es, bis er im September 2019 bekanntgab, dass der Krebs zurückgekehrt sei. In Form einer aggressiven Leukämie. Da war er 80.
Karel Gott verstarb am 1. Oktober im Kreis seiner Familie in seinem Haus auf einem Hügel im Stadtbezirk Smíchov, der direkt an die Moldau grenzt. Die hat er 1971 besungen:
„Seit langen, langen Zeiten / fließt er durch unser Land / geheimnisvoll gewebtes / so silberhelles Band / Erzählt von der Vergangenheit / von Freude und Leid / vom langen Lauf sich auszuruhen / fand niemals er Zeit / Was immer geschieht / nie verklingt dieses Lied / nie verklingt dieses Lied.“
sputniknews
Tags: