Star-Tenor Jonas Kaufmann: „Besetzungscouch“ und sexuelle Belästigung beeinflussen auch Opernwelt

  18 Oktober 2019    Gelesen: 970
Star-Tenor Jonas Kaufmann: „Besetzungscouch“ und sexuelle Belästigung beeinflussen auch Opernwelt

Der weltberühmte Sänger Jonas Kaufmann ist der Auffassung, dass Skandale um sexuelle Belästigung, wie die Vorwürfe gegen Opern-Urgestein Plácido Domingo, bleibende Spuren in der Klassikwelt hinterlassen. Liebesszenen etwa seien heute "ein schmaler Grat". Musikjournalist und Opernexperte Ulrich Ruhnke stößt gegenüber Sputnik ins gleiche Horn.

Sexuelle Belästigung im Opern- und Klassikmetier sei lange Realität gewesen, so Jonas Kaufmann. Insofern mache ihn auch die Affäre um Plácido Domingo nachdenklich, erzählte der Sänger der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

Domingo ist der bekannteste lebende Opernsänger der Welt. Er sieht sich seit Monaten Vorwürfen unlauteren Betragens gegenüber Kolleginnen ausgesetzt, die Unterstützer wie Kritiker auf den Plan rufen. Acht Kolleginnen und eine Tänzerin werfen dem mittlerweile 78-jährigen Domingo sexuelle Belästigung vor, die teilweise bis in die 70er Jahre zurückreiche. Seine Position als Generaldirektor der Oper Los Angeles mußte er bereits aufgeben, auch die Metropolitan Opera in New York, die renommierteste Oper der USA und eine der weltweit führenden Bühnen, teilte mit, der Sänger hätte „zugestimmt, sich von allen künftigen Aufführungen an der Met zurückzuziehen“. Eine Ehrung mit dem diesjährigen Europäischen Kulturpreis wurde durch das Kulturforum auf das kommende Jahr verschoben.

Zu den Vorwürfen gegen seinen Kollegen sagte Kaufmann, dass er Domingo als Freund und Kollegen liebe und nicht zuletzt für dessen Verdienste verehre. „Und wenn eine einmalige Karriere wie seine auf solche Weise zu Ende gehen soll, dann macht mich das ebenso traurig wie nachdenklich“. Weiter äußern könne er sich aber nicht dazu – „ich war ja nicht dabei“.

Die „Besetzungscouch“

Die Debatte um die Metoo – Bewegung bekomme auch der Klassikwelt gut, so Musikjournalist und Kenner der Opernszene Dr. Ulrich Ruhnke vom Magazin „Oper!“ gegenüber Sputnik:

„Die Besetzungscouch gab es und ich weiß, dass es sie noch immer gibt. Dieses tatsächlich dunkle Kapitel von sexueller Belästigung muss aufgearbeitet werden.“

Zuvor hatte sich Sänger Kaufmann dazu geäußert, dass er sich ebenfalls sicher sei, dass es „die berühmt-berüchtigte Besetzungscouch in manchem Büro gegeben“ habe – „über Jahrzehnte hinweg“. Er betonte, dass die Opfer dabei vor einem existenziellen Problem gestanden hätten: „Früher mussten die Betroffenen abwägen, ob sie lieber stillhalten oder sozusagen einen ,Skandal‘ provozieren und ihre Laufbahn vorzeitig beenden...Das ist hoffentlich heute nicht mehr der Fall“, so der 50-Jährige.

Ohrfeigen und Sensibilität

Alfredo küßt Violetta, Rudolpho drückt seine Mimi: Liebesgeplänkel sind in Opern essenzieller Bestandteil.

„Selbstverständlich ist es noch möglich, solche auch im Lichte der  Belästigungsskandale in der Opernwelt zu inszenieren, doch der Regisseur muss heute größere Sensibilität im Umgang mit einer solchen Szene an den Tag legen“, so Opernexperte Ruhnke im Gespräch.

Tenor Kaufmann hatte zuvor im Interview bemerkt, dass es komplizierter geworden sei, eben solche Liebesszenen zu inszenieren: „Wenn früher einer zu weit gegangen ist, wurde das vielleicht dadurch geregelt, dass er in der Probe eine Ohrfeige bekommen hat“, so der Opern-Weltstar. Jetzt müsse ein Regisseur extrem viel darüber nachdenken, was er vermitteln dürfe, „ohne seine Darsteller zu Anzüglichkeiten zu verleiten“. Seiner Meinung nach seien glaubhafte Liebesszenen auf der Bühne heute „ein sehr schmaler Grat“.

sputniknews


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