Der englische Fußball wartet auf den Brexit

  25 Oktober 2019    Gelesen: 458
Der englische Fußball wartet auf den Brexit

Was wird, wenn der Brexit kommt? Seit Monaten bereiten sich die Fußballklubs in der kosmopolitischen Premier League auf Einschränkungen vor. Sie betreffen Vereine, Spieler und Fans, es geht um Arbeitspapiere, Spielgenehmigungen und Reisefreiheit. Ein Besuch.

Von der Themse kriecht die Oktoberkälte ins Craven Cottage. Es riecht nach altem Bratöl. An der Riverside stehen die Bagger. Das Stadion wird auf 30.000 Plätze erweitert. Die alten Masten erleuchten das Spielfeld. Mit großen Pranken umklammert Shithead, wie er sich nennt, sein Pint. Er erzählt, dass er früher mal ein Rechter war und jetzt ein Linker sei, Punk sei sein Leben. Er sagt, dass er die Russen und Millwall hasse und einmal, ja, da habe er die Michael-Jackson-Statue vor dem Stadion attackiert. Seine Strafe? Drei Spiele Sperre.

Als Symbol der Freundschaft zwischen dem damaligen Besitzer Mohamed Fayed und dem 2009 verstorbenen Popstar im Jahr 2011 errichtet und 2013 nach einem Eigentümerwechsel demontiert, verstaubt die Statue nun in den Kellern des National Football Museums in Manchester. Seither ist der Fulham Football Club, der Verein unten am Fluss, im Fahrstuhl zwischen der Championship und der Premier League. In diesem Jahr sind sie wieder zweitklassig.

Shithead sagt, dass er 2010 in Hamburg war. Dort waren sie alle. Es war der Höhepunkt der jüngeren Vereinsgeschichte. Europa-League-Finale gegen Atletico im Volkspark. Eine Niederlage in der Verlängerung. Aber das, sagt Shithead, ist jetzt auch egal. Wichtig war, dass sie in Hamburg waren. Auf dem Weg dorthin besiegten sie im Craven Cottage Juventus mit 4:1, Wolfsburg und den Hamburger SV mit 2:1. Es waren große Nächte.

"Die Verrückten haben das Irrenhaus übernommen"

An diesem Mittwoch spielen sie am 13. Spieltag der Championship gegen Luton. Shithead hat sein Bier beinahe ausgetrunken, da erzielt Stürmer Aleksandar Mitrovic die 2:0-Führung. Kein Alkohol auf den Rängen, aber Shithead will jetzt da hoch. Stürzt sein Pint und ist verschwunden. Er wird noch ein paar Tore bejubeln. Fulham gewinnt mit 3:2 und setzt sich im oberen Drittel der Tabelle fest. Im Kader der Cottagers stehen unter anderem Spieler aus der Slowakei, aus Irland, aus Frankreich, Belgien und Portugal. Ob das in den kommenden Jahren noch so sein wird, wird aktuell an anderer Stelle verhandelt.

Vom Craven Cottage zum House Of Commons sind es nur zehn Stationen mit der U-Bahn die Themse hoch auf der District Line. Raus geht es an der Station Westminster, die vor wenigen Wochen im Rahmen einer PR-Kampagne der "Times" in Westminster Jungle umbenannt wurde. Alles ist for sale in diesen Brexit-Tagen. "Auf eine erfrischende Art reflektiert das die Stimmung unserer Nation", verkündet der begleitende Text. Vor dem Parlament frönen die Briten ihrer skurrilen Protestkultur.

"Jawohl, mein Herr!", ruft einer mit einem "Leave means leave"-Schildchen. Ein anderer erinnert: "17,4 Million People Believe In Britain!" Ein paar Meter weiter fordert ein Kreuzritter die Verhaftung des Speakers John Bercow, der im Merchandise-Shop nebenan als Whiskey-Marke käuflich zu erwerben ist. "90 Prozent von dem, was wir fürchten, trifft nie ein", rechnet eine Dame vor. Sie will den harten Brexit. Was aus den anderen 10 Prozent wird, sagt sie nicht.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen die, die lieber in der EU bleiben wollen. "Lunatics have taken over the asylum" steht auf einem weiteren Schild eines Brexit-Befürworters. Wer hier die Verrückten sind und was das Irrenhaus ist, das wird nicht ganz klar. Nicht nur vor dem Parlament stehen sich die Seiten unversöhnbar gegenüber. Im House of Commons drehen Premier Minister Boris Johnson und Oppositionsführer Jeremy Corbyn die Lautstärke permanent auf 11.

Der neue Sancho wird erst mit 18 wechseln dürfen

Nach Monaten der Stille rund um den Brexit geht es dort wieder um das "dreaded B-Word", das gefürchtete B-Wort. Gebannt verfolgen die Besucher auf der steilen Galerie das Geschehen im Commons. Mal lachen sie und meist schütteln sie den Kopf. Der Brexit wird sich, wenn er denn kommt, auch auf den englischen Fußball auswirken. Seit Monaten bereiten sich die Vereine der Premier League, der wahren Super League des Weltfußballs, auf die kommenden Veränderungen vor. "Es ist nicht das Projekt Furcht! Es ist das Projekt verfluchte Realität!", lässt sich ein Vereinsoffizieller von The Athletic, einem neuen Player im Bezahl-Sportjournalismus, zitieren. Im kosmopolitischen englischen Fußball bereit man sich auf die anstehenden Einschränkungen vor. Sie sind ganz unterschiedlicher Natur.

Sie betreffen Vereine, Spieler und Fans gleichermaßen. Cesc Fabregas, Gerard Pique und Hector Bellerin landeten in England, da waren sie nicht einmal 18 Jahre alt. Eigentlich ist das gegen die Fifa-Statuten, die Vereinswechsel von Minderjährigen verbieten, steht aber im Einklang mit einer Ausnahmeregelung der EU, die Wechsel bereits mit 16 erlaubt. Borussia Dortmund profitierte bei der Verpflichtung des 17-jährigen Jadon Sanchos davon.

Doch auch bei aus England wechselnden Spielern wird es dann zu entsprechenden Einschränkungen kommen. Der neue Jadon Sancho wird erst mit 18 wechseln dürfen und es dementsprechend schwerer haben, sich in der Jugend entwickeln zu können. Während es aber in Deutschland keinerlei Beschränkungen für Spieler gibt, die nicht aus der EU stammen, dürfen in der spanischen Liga nicht mehr als drei Nicht-EU-Spieler unter Vertrag stehen. Bei Real Madrid sind dies: die Brasilianer Éder Militão, Vinícius Júnior und Rodrygo. Was also würde aus dem Waliser Gareth Bale, wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil des Staatenbundes wäre?

Es geht um die Zukunft des englischen Fußballs

Das gilt es abzuklären. Bale könnte in die Premier League zurückkehren, aber was würde aus Spielern wie Toni Leistner, der an der Loftus Road bei Queens Park Rangers sein Geld verdient? Würde der Dresdner nach dem Ende der Freizügigkeit noch eine Arbeitserlaubnis erhalten? Ohne EU-Pass qualifizieren sich die Spieler bislang über ein mehrstufiges Punktesystem. Es basiert auf objektiven und subjektiven Kriterien. Es ist sehr streng.

Das System führte dazu, dass der US-Nationalkeeper Zack Steffen nach seinem Wechsel von Columbus Crew zu Manchester City an den deutschen Klub Fortuna Düsseldorf weitergereicht wurde. In England hatte es noch nicht für eine Arbeitserlaubnis gereicht. Und was wird aus den Spielern, aus den Vereinsfunktionären, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind? Dürfen sie weiter nach England einreisen? Trotz Verurteilung? Für EU-Bürger bislang kein Problem. Auch das könnte sich ändern. Und wie werden Fans in Zukunft aus England nach Europa kommen? Wie werden sich die Reisen verändern? Im House of Commons sind diese Frage nachrangig und die Antworten bislang ungewiss. Sie werden aber die Zukunft des englischen Fußballs mitbestimmen.

Den "Golden Lion" nahe der Putney Bridge kann man an Spieltagen nur mit einer Dauerkarte betreten. Man erreicht den Pub nach einem 15-minütigen Spaziergang vom Craven Cottage. Noch weit nach Abpfiff ist er gut gefüllt. Shithead nimmt einen großen Schluck Carling. Dann zeigt er sein Fulham-Tattoo. Es ist auf der Innenseite seiner Lippe. Der Brexit, sagt er, sei ihm egal. Die Russen aber, die möge er wirklich nicht.

Quelle: n-tv.de


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