Kurdisch-türkischer Konflikt: Innertürkisches Problem oder Beschädigung der deutschen Gesellschaft?

  26 Oktober 2019    Gelesen: 658
    Kurdisch-türkischer Konflikt:   Innertürkisches Problem oder Beschädigung der deutschen Gesellschaft?

Immer wieder kommt es auch in Deutschland zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen kurdisch- und türkischstämmigen Personen. Grund dafür ist die türkische Militäroffensive in Syrien gegen die kurdische YPG-Miliz. Was bedeutet das für die Gesellschaft in Deutschland?

Der Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien und das von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gesteuerte Vorgehen des Militärs gegen die kurdischstämmige Bevölkerung Anfang Oktober hat auch in Deutschland eine Reihe gewalttätiger Aktionen ausgelöst.

Bewaffnete Massenschlägereien

Im nordrhein-westfälischen Herne zum Beispiel wurde zum Beispiel ein türkisches Café zum wiederholten Male Szene einer Schlägerei zwischen Kurden und Türken, an der sich auf beiden Seiten 60 Personen, teilweise bewaffnet mit Holzlatten, Baseballschlägern, Ketten oder Messern, beteiligten.

Beide Ethnien sind gerade in Deutschland zahlreich vertreten. Laut dem Portal „Statista“ lebten Ende 2018 in Deutschland allein rund 1,5 Millionen türkische Staatsbürger. Zählt man die Personen mit türkischem Migrationshintergrund dazu, erhöht sich die Zahl auf rund 2,8 Millionen – die größte Migrantengruppe überhaupt. Die Zahl der Kurden wird auf 600.000 bis 1,2 Millionen geschätzt. Darunter befinden sich jedoch nicht nur türkische Staatsbürger, sondern auch Syrer, Iraker und Iraner, die sich gegenseitig unterstützen.

Innertürkischer politischer Konflikt

„Natürlich sind alle Seiten emotional aufgeladen. Man darf diesen Konflikt aber nicht als ethnischen Konflikt darstellen, oder definieren“, meint Burak Altun im Sputnik-Interview. Der Journalist ist gerade am Aufbau des staatlichen türkischen Nachrichtenportals „TRT Deutsch“ beteiligt. Genauso wie es Türken gebe, die für oder gegen die türkische Militäroperation in Nordsyrien seien, sei auch die Meinung der Kurden unterschiedlich. Er selbst habe in seinem Bekanntenkreis viele Personen, die sich zwar als Türken bezeichnen und sich als loyal zum türkischen Staat begreifen, gleichzeitig aber auch eine kurdische Abstammung und  Identität haben.

Auf der anderen Seite gebe es Kurden, so Altun, die sich, vielleicht auch geprägt durch traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit, politisch radikalisiert haben und den türkischen Staat feindlich betrachten, nach kurdischer Autonomie streben und der PKK nahestehen. In der Türkei gab es eine Zeit in der die kurdische Sprache und Kultur verboten war. Altun erklärt dazu:

„Daher würde ich nicht von einem türkisch-kurdischen Konflikt sprechen, sondern eher von einem politisch geprägten innertürkischen Konflikt. In der Türkei gibt es nicht mehr dieses Kurdenproblem, das es vor der AKP gegeben hat. Daher denke ich, dass die Operation in Nordsyrien nicht wirklich das Zusammenleben der Türken und Kurden negativ beeinträchtigen wird.“

2002 kam es unter Erdogan, der damals noch Ministerpräsident war, zu einer Entspannung. Er erkannte das Kurdenproblem an, während es vorher nur als „Terrorproblem“ deklariert worden war. Er betrachtete die Kurden nun als muslimische Glaubensbrüder und lockerte allmählich auch das Verbot der kurdischen Sprache. Trotz des Versuchs eines Friedensprozesses zwischen Ankara und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) ist die Gruppe in der Türkei immer noch verboten, in Deutschland seit 1994, auf EU-Ebene wird sie seit 2004 als terroristische Organisation betrachtet.

Überforderte deutsche Sicherheitsbehörden

Mittlerweide seien selbst viele Politiker in der AKP-Partei kurdischer Abstammung, sogar bei der rechtsextremen MHP, berichtet Altun. Dass die Demonstrationen ausarten, ist für ihn die logische Konsequenz, aus ungenügenden Sicherheitsvorkehrungen. Da seien in Deutschland das Innenministerium und die Polizei zuständig.

In diesem Punkt würde ihm der Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde Deutschlands (KGD), Cahit Basar, wahrscheinlich Recht geben. Auch er hält die Sicherheitskräfte auf den pro-kurdischen Veranstaltungen für überfordert. Die KGD hat deswegen in einer Pressemitteilung die Polizei gebeten „noch viel stärker auf Provokationen am Straßenrand zu achten und sofort zu reagieren, damit es zu keiner Eskalation kommt.“

Radikalisierung durch Desintegrationszentren

Laut Basar allerdings habe sich das Verhältnis zwischen den deutschkurdischen und deutschtürkischen Bevölkerungsteilen wegen der türkischen Militäroffensive in Syrien verschlechtert.

Einerseits liege das seiner Meinung nach daran, dass sich viele Kurden Sorgen um ihre Familienangehörigen und Menschen machen in Nordostsyrien einem „Angriffskrieg ausgesetzt sind“. Auf der anderen Seite sehe er aktuell eine Radikalisierung unter den Deutsch-Türken, die er so in Deutschland nicht für möglich gehalten habe. Er erläutert im Sputnik-Interview seine Sicht so:

„Die in der Türkei gleichgeschalteten Medien senden 24 Stunden lang Staatspropaganda und Kriegspropaganda in die Wohnzimmer der türkischen Haushalte. Die DITIB-Moscheen beten für den Sieg der ruhmreichen türkischen Armee, sind also im Grunde Desintegrationszentren vor Ort. Wer dem ausgesetzt ist, der entwickelt Feindbilder, Vorbehalte und Nationalismen, die wir in unserer demokratisch, pluralistischen Gesellschaft nicht gebrauchen können. Hier wird der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Bundesrepublik nachhaltig beschädigt.“           

Provokationen vom Straßenrand

Die Aggressionen bei den Demonstrationen gehen laut Basar nicht von kurdischer Seite aus. Das zeige sich auch daran, dass viele Kurden als gesamte Familie, mit alten und jungen Menschen, demonstrieren gingen. Der Kurdenvertreter berichtet über seine Beobachtungen:

„Wir haben in Gesprächen mit Demonstrationsteilnehmern immer wieder hören müssen, dass gerade in dieser emotionalisierten Lage zahlreiche Provokationen vom Straßenrand aus entstanden sind. Zum Beispiel nationalistische Symbole, Handzeichen wie der Wolfsgruß, ein Erkennungs- und Grußzeichen der türkischen rechtsextremistischen Grauen Wölfe, gezeigt wurden. Oder sprachliche, verbale Provokationen, Beschimpfungen und dergleichen. Dass sich das manche nicht bieten lassen, ist verständlich, aber vonseiten der Organisationen, allen voran der KGD, unerwünscht. Wir sagen: Wer für den Frieden auf die Straße geht, muss konsequent friedlich bleiben. Wenn es zu Provokationen kommt, muss die Polizei eingeschaltet werden.“

Am getroffenen Waffenstillstandsabkommen in Syrien kritisiert Basar, dass aus seiner Sicht bei der Abmachung eine dritte Partei fehle: „und zwar die Kurdinnen und Kurden, die angegriffen worden sind, die sich verteidigen mussten, die ihre Zivilbevölkerung und ihre Regierung schützen“. Da die Waffenruhe ohne die Beteiligung der Kurden getroffen wurde, wie Basar moniert, sei das Ergebnis für ihn hochgradig fragil, denn man wisse  nicht, wie die kurdische Seite endgültig drauf reagieren werde.

sputniknews


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