Ob bei Protesten, Wahlen oder Verhandlungen über die Regierungsbildung - immer scheint ein Mann in der politischen Szene des Irak das letzte Wort zu haben: der populistische Prediger, Volkstribun und Königsmacher Moktada al-Sadr. In den vergangenen Jahren hat der einstige Milizenführer wiederholt die Seiten gewechselt, doch seinem Einfluss hat dies nicht geschadet. Mit einem einzigen Tweet kann er Hunderttausende auf die Straße rufen, um die Regierung zu stützen. Im Moment hat er beschlossen, sie zu stürzen.
Vor einem Jahr hatte er mit seinem Saerun-Block Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi zur Macht verholfen, doch nun hat er sich hinter die Proteste gestellt, die dem Regierungschef das Amt kosten könnten. Es ist nicht das erste Mal, dass er abrupt den Kurs ändert. "Er ist ein Typ mit vielen Facetten", sagt der Forscher Renad Mansour von Chatham House. Er gehe mit der Stimmung auf der Straße, sodass sich seine Haltung immer wieder ändere.
"Er war besorgt, dass die Regierung, die er mit gebildet hatte, scheitern würde. Also entschied er, sie zu stürzen", sagt Mansour. Der 46-jährige Kleriker hat sich in den vergangenen Jahren als Vorkämpfer gegen die im Irak grassierende Korruption stilisiert. Über Twitter, wo er mehr als 600.000 Follower hat, kritisiert er regelmäßig die Regierung. Dabei spielt er mit seiner Bewegung selbst seit Jahren eine zentrale Rolle in der Politik.
"Sadr präsentiert sich als Verfechter von Reformen gegen das Establishment und als populistische Stimme der Millionen, die vom System im Stich gelassen wurden", sagt der Nahost-Experte Fanar Haddad von der Universität Singapur. "Dabei ist es eine Tatsache, dass die Sadristen seit langem ein fester Teil der politischen Klasse sind und nicht wenige Ministerposten und hochrangige öffentliche Ämter ausgeübt haben."
Sadr stammt aus einer der wichtigsten Kleriker-Familien im Irak. Sein Vater war der angesehene schiitische Ayatollah Mohammed Sadek al-Sadr, den der Machthaber Saddam Hussein 1999 zusammen mit zweien seiner Söhne ermorden ließ. Auch sein Schwiegervater, der einflussreiche islamische Geistliche und Philosoph Ayatollah Mohammed Bakr al-Sadr, wurde 1980, kurz nach der Revolution im Iran, unter Saddam Hussein hingerichtet.
Nach dem Sturz des Autokraten durch die US-Invasion 2003 gründete der jüngere Sadr die Mahdi-Armee, die beim Aufstand gegen die US-Besatzer an vorderster Front stand. Doch 2006 verschwand Sadr praktisch von der Bildfläche und zog sich in die iranische Stadt Ghom zurück, um Theologie zu studieren. Erst 2011 kehrte er ins irakische Nadschaf zurück, wo er sich bald als Kämpfer gegen die Korruption erneut in die Politik stürzte.
Im Jahr 2016 führte er über Wochen Proteste gegen die Regierung an, und bei der Parlamentswahl 2018 gewann sein Saerun-Block die meisten Sitze. Daraufhin verbündete sich Sadr mit dem Fatah-Block, dem politischen Arm der schiitischen Hasched-al-Schaabi-Milizen, und machte Abdel Mahdi zum Ministerpräsidenten. Unter dem Eindruck der Proteste entzogen ihm nun aber beide die Unterstützung, sodass Mahdis Tage gezählt sein dürften.
Diese erneute Wende erfolgt kurz nach der Rückkehr Sadrs aus dem Iran, wo er das geistliche Oberhaupt, Ayatollah Ali Chamenei, und den mächtigen Kommandeur der Al-Kuds-Kräfte, Kasem Soleimani, getroffen hatte. Ein Beobachter sagt, Sadr habe in Teheran um Schutz gebeten, da er einen Anschlag fürchtete. Doch nach seiner Rückkehr in den Irak fuhr er direkt zu den Protesten. Es scheint, als ob Sadr wieder ein Mal am Steuer im Irak sitzt.
n-tv
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