Es gibt Einladungen, denen möchte man im Nachhinein lieber doch nicht gefolgt sein. Der, in diesen Film einzutreten, zum Beispiel. „Ich gehöre ihm“ heißt er.
Und wenn er anfängt, sieht man ein hübsches Haus, wie es viele überall in Deutschland gibt, schwingen Türen auf. Wie im Märchen sieht das aus. Was nicht ganz falsch ist, denn „Ich gehöre ihm“ ist ein Märchen, ein garstiges, ein böses, ein leider ausgesprochen realistisches, authentisches.
Unspektakulär, ohne Sensationslust, fast karg
Es handelt von einem unscheinbaren Mädchen und einem schönen bösen Wolf. Es endet so: Und wenn sie nicht gestorben ist, schafft sie immer noch für ihn an. Aber wir greifen vor.
Der Einladung in den von Andrea Gilges geschriebenen und Thomas Durchschlag inszenierten Film nicht zu folgen (und der zur anschließenden Dokumentation) wäre sträflich. „Ich gehöre ihm“ ist einer der relativ seltenen Fälle, wo ein Phänomen, auf das prinzipiell die ganze Gesellschaft mit einer fatalen Mischung aus Abscheu und Hilflosigkeit schaut, unspektakulär vorgeführt wird.
Ohne jede Sensationslust, ohne Zeigefingerei, geradezu karg und dennoch außerordentlich schmerzhaft. „Ich gehöre ihm“ zeigt den Maschinenraum einer fatalen Beziehung, eines gnadenlosen und zunehmend um sich greifenden Geschäftsmodells gewissermaßen.
Mit ihm werden pubertierende Mädchen von Zuhältern abhängig, gefügig gemacht und in die Prostitution gezwungen. „Ich gehöre ihm“ ist ein Film über sogenannte Loverboys.
Loverboys machen Pubertierende gefügig
Caro wohnt in dem hübschen Haus. Alles ist deutscher Durchschnitt um sie herum. Sie hat eine kleine Schwester. Die Eltern müssen rechnen. Großes Sprünge sind nicht zu machen. Alltag essen Seele auf.
Caro ist 15 und durchschnittlich unzufrieden mit allem. Ihren Eltern, ihrem Aussehen, ihren Aussichten. „Hase“ nennt die Mutter sie. Wenn Caro schlafen geht, trägt sie einen niedlichen Sternenpyjama. Für den sie eigentlich zu alt ist.
Pubertät ist nichts für Feiglinge. Aber was für böse Wölfe. In dem Fall heißt er Cem. Sieht aus wie der feuchte Traum einer türkischen Seifenoper.
Was schon der erste Fehler ist, den man Loverboys gegenüber nie machen sollte. Man sollte sie in ihrer Wirkung nie unterschätzen. Und in ihrer Peinlichkeit.
Sie wollen schließlich nicht uns, die Eltern, ins Bordell bringen, sondern unsere Kinder. Und wie sie das hinkriegen, wissen sie ganz genau. Sie haben ein feines Sensorium dafür, wer ein Opfer sein könnte.
Funktioniert wie eine Gehirnwäsche
Und verfügen über eine Orgel mit extrem zielgruppenorientiert einsetzbaren emotionalen Erpressungsregistern. Und wenn sie einem prinzipiell instabilen Mädchen erst einmal angefangen haben, darauf vorzuspielen, ist es vorbei mit Ruhe im Herzen des Mädchens, im Leben der Familien.
Funktioniert wie bei einer Gehirnwäsche. Macht abhängig wie Crystal. „Ich gehöre ihm“ spielt das alles nüchtern, geradezu unbeteiligt und eben deswegen extrem wirkungsvoll und erschütternd durch. Das ganze Programm. Es ist zum Weglaufen. Und zum Dreinschlagen.
Cem, Goldkettchen, flachgelegter Mercedes, ist für jeden einigermaßen klar denkenden Erwachsenen als Lude schon nach drei Sekunden zu erkennen. Für Caro ist er der Erste, der sie erkennt. Wie sie ist, wie sie gesehen werden will.
Er trägt sie auf Händen (und auf dem vermeintlichen Wattebausch eines erzkonservativen, orientalischen Frauenbilds). Er ist ihr Harun al-Raschid. Sie ist seine Prinzessin (wie sie einen Tag vorher noch Mamas Hase war).
Dann kauft er eine Wohnung für sie beide. Dann schläft er mit ihr. Dann fallen seine Freunde über Caro her („Wir teilen doch alles“, sagt Cem). Sie filmen alles. Die Falle ist zugeschnappt.
Und die Eltern verzweifeln
Und gerade mal die erste halbe Stunde vorbei. Es geht immer schlimmer. Cem („Ich komme aus der Scheiße, ich kenne nur Scheiße“) baut das seelische Gefängnis für seine Prinzessin immer ausbruchssicherer. Erpresst sie, verfolgt sie, lässt nicht los.
Die Eltern (Maria Simon und Bernd Michael Lade) verzweifeln über die Frage nach der Schuld, die man nie stellen sollte. Sie verzweifeln über die Endgültigkeit des Bruchs, den aus vielerlei Gründen Loverboys in den Biografien von jungen Mädchen auslösen („Sie hat kein Leben mehr, in das sie zurückkommen kann“).
Die Polizei wiegelt ab, weil es tatsächlich schwierig ist, Gerichte von der Bösartigkeit, dem Vorsatz zu überzeugen. Und davon, dass Mädchen wie Caro nicht freiwillig den direkten Weg von der Pubertät in die Prostitution gegangen sind.
„Ich gehöre ihm“ lässt nichts aus. „Ich gehöre ihm“ tut weh. Man sieht die Männer, die sich Caros bedienen. Hört Freier staunen: „Mensch Kind, wie bist du nur hierher gekommen, und das in deinem Alter.“
Und die dann weiter nesteln an ihrer Hose und sagen: „Hast du ihn schon mal in den Mund genommen?“ Voyeurismus wird trotzdem nicht befriedigt, beschönigt wird auch nichts.
Anna Bachmann stürzt sich mit einer bewunderungswürdigen Unerschrockenheit in die Höllenfahrt, in die sich Caros behütetes Leben verwandelt. Man glaubt ihr jede Sekunde, die sie spielt, genauso wie jede Sekunde von Samy Abdel Fattahs Cem. Bei der Vergabe der diesjährigen Nachwuchsschauspielpreise werden wir sie hoffentlich wiedersehen.
Man möchte am Ende mit Caros Eltern eine Selbsthilfegruppe aufmachen. Rätselt rum, was man tun könnte. Die Tochter selbstbewusst, stark machen, ihr zuhören, auch wenn man am Verzweifeln ist über das seltsame, sich ständig neu verdrahtende Wesen im Haushalt.
Nimmt sich vor, sie aufzuklären über die Welt da draußen. „Ich gehör ihm“ zu gucken beizeiten. Dann kotzen sie vielleicht den bösen Wölfen vor die Füße, wenn sie kommen. Sicher ist das nicht. Aber es könnte helfen.
Alles authentisch, alles verbürgt
Und wenn es nicht geholfen hat, gibt es Vereine für Opfer und ihre Eltern. Wie No Loverboys. Der Verein wurde gegründet von Bärbel Kannemann. Die war vier Jahrzehnte lang Kriminalbeamtin.
Sie hat an „Ich gehöre ihm“ mitgearbeitet. Und bürgt dafür, dass alles, was man sieht, authentisch ist.
Quelle : welt.de
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