Schockwellen ins Weiße Haus

  14 November 2019    Gelesen: 600
  Schockwellen ins Weiße Haus

Es waren fünfeinhalb Stunden Krimi, mit schweren Anschuldigungen gegen Donald Trump: In der ersten öffentlichen Impeachment-Anhörung schilderten die Kronzeugen ihr wachsendes Entsetzen - und ein heikles Telefonat.

Der Sitzungssaal 1100 LHOB ist einer der größten des US-Kongresses. Er fasst fast 500 Zuschauer und wirkt mit seinen Stucksäulen und Samtvorhängen wie ein Theater.

Oder wie ein Gericht.

Am Mittwoch begann hier eine historische Verhandlung - die um das politische Schicksal von Donald Trump.

"Es gibt kaum eine folgenschwerere Aktion als die Amtsenthebung eines Präsidenten", sagte der demokratische Abgeordnete Adam Schiff zum Auftakt. Trotzdem bleibe dem Kongress manchmal keine andere Wahl.

So weit ist es noch nicht. Doch das erst dritte Impeachment-Verfahren in der US-Geschichte gewann mit dieser auf allen TV-Kanälen übertragenen Marathonsitzung spürbar an Fahrt. Denn da sagten die ersten Zeugen öffentlich aus - und einer von ihnen belastete Trump mit einer neuen Enthüllung, die Schockwellen verursachte.

Das war nicht nur Show. Erstmals bekamen Millionen Amerikaner einen packenden Einblick in die Ukraineaffäre, die Washington seit Wochen umtreibt.

Die Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. Eine Amtsenthebung ist vor allem ja auch ein politischer Prozess: Nicht nur die Politiker, die am Ende als Geschworene darüber abstimmen, müssen überzeugt werden - sondern auch, und wichtiger noch, die Wähler.

Also begannen die Demokraten unter Führung von Schiff, der den Geheimdienstausschuss leitet, diese entscheidende "öffentliche Phase" mit zwei unantastbaren, stoischen Kronzeugen.

William Taylor, der amtierende US-Botschafter in der Ukraine, und Unterstaatssekretär George Kent sind unpolitische, buchstäblich mausgraue Beamte, die unter Präsidenten beider Parteien "für die Verfassung" gekämpft haben. Ihre Biografien, voller militärischer Heldengeschichten und patriotischer Opfer, unterscheiden sich demonstrativ von der Biografie Trumps.

"Es ist mein Privileg, unserem Land und dem amerikanischen Volk seit mehr als 50 Jahren zu dienen", sagte Taylor und betete seine vielen Stationen herunter: West Point, Nato, Afghanistan, Irak, Jerusalem, Ukraine. Kent beschwor seine Vorfahren, darunter den Kommandanten eines Atom-U-Boots und einen Kampfflieger, der in japanischer Kriegsgefangenschaft gesessen habe.

"Ich bin nicht hier, um Partei zu ergreifen", so Taylor, der von Trump auf seinen Posten in Kiew berufen worden war. "Meine einzige Absicht ist es, Fakten zu bieten."

Es waren inkriminierende Fakten. Akribisch zeichneten beide Männer nach, wie sie die Affäre hautnah und mit wachsendem Entsetzen erlebt hätten - bis hin zum Telefonat Trumps mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, das zu einer Whistleblower-Beschwerde führte und schließlich zu den jetzigen Ermittlungen.

Das meiste hatten sie bereits hinter verschlossenen Türen ausgesagt, dokumentiert in Tausenden Seiten Transkripten. Doch laut vorgetragen, im grellen Scheinwerferlicht von Saal 1100 LHOB, wurde dieses Drehbuch zum fünfeinhalbstündigen Krimi.

Allein Taylors Eröffnungs-Statement, 41 Minuten lang: Punkt für Punkt bekräftigte es die Vorwürfe gegen Trump.

  • Trump habe der ukrainischen Regierung "ohne guten Grund" fast 400 Millionen Dollar US-Militärhilfe vorenthalten, die sie dringend zur Verteidigung gegen Russland Aggression gebraucht habe: "Es war unlogisch, es war unerklärlich, es war verrückt."
  • Trump habe die Freigabe der Gelder und eine von Selenskyj erhoffte Einladung ins Oval Ofiice an die Bedingung geknüpft, dass dieser sich für eine "politische Kampagne" instrumentalisieren lasse - nämlich Trumps US-Wahlkampf 2020.
  • Dazu sei ein "irregulären Kanal" zur Ukraine eingerichtet worden, betrieben von den Diplomaten Kurt Volker und Gordon Sondland, Energieminister Rick Perry, Trumps amtierendem Stabschef Mick Mulvaney und Trumps Privatanwalt Rudy Giuliani.
  • Sie hätten Selenskyj gedrängt, alte Verschwörungstheorien um eine Einmischung Kiews in die US-Wahlen 2016 und die Ukraine-Connections des Demokraten Joe Biden Aufwind zu geben - indem er öffentlich Ermittlungen gegen Biden ankündige.

Dann folgte Taylors Paukenschlag. Am Tag nach seinem Gespräch mit Selenskyj habe Trump mit Sondland telefoniert, der gerade in Kiew gewesen sei. Anschließend habe Sondland einem Mitarbeiter Taylors anvertraut, dass Trump bei der Ukraine-Politik "mehr an den Ermittlungen gegen Biden interessiert" sei als an der Ukraine.

Taylor verdeutlichte die Tragweite dieser Vorgänge. Die Blockade der Gelder aus Gründen, die nichts mit der erklärten US-Außenpolitik zu tun gehabt hätten, habe mit zum Tod ukrainischer Soldaten geführt. Und sie sei ein Signal an Russland gewesen, das sich gefreut habe "über die Erniedrigung von Präsident Selenskyj durch die Amerikaner".

Taylor schaffte, was sich die Demokraten im Sommer vom Russlandermittler Robert Mueller erhofft hatten: Er distillierte komplexe Verdachtsmomente zu verständlichen Soundbites. Empört probierten die Republikaner eine Gegenstrategie nach der anderen aus, um ihn - und die ganze Anhörung - aus der Bahn zu werfen.

  • Devin Nunes, der Vizechef des Ausschusses, beschimpfte das Verfahren als "sorgsam orchestrierte Verleumdungskampagne" und "billige ukrainische Sequel" zur Russlandaffäre.
  • Seine Parteikollegen unterbrachen das Prozedere mit elaborierten Anträgen und "parlamentarischen Anfragen".
  • Sie stellten weniger Fragen und hielten stattdessen Monologe, um die besagten Verschwörungstheorien ins Protokoll zu bringen.
  • Sie argumentierten, dass kein Rechtsbruch vorliege, da die Militärhilfe später freigegeben worden sei - 48 Stunden, nachdem die Whistleblower-Beschwerde publik geworden war.
  • Sie behaupteten, der Whistleblower habe sich mit den Demokraten "koordiniert" - was Schiff erneut dementierte.
  • Sie warfen den Zeugen vor, nur "Hörensagen" zu verbreiten.

Schiff brachte seine Erfahrung als Ex-Staatsanwalt ein. Kühl neutralisierte er alle Störfeuer der Republikaner.

Doch das war erst der Anfang. Am Freitag sollen die öffentlichen Anhörungen weitergehen, mit Marie Yovanovitch, der von Trump geschassten Ex-Botschafterin in der Ukraine. Auch die Zeugenliste für kommende Woche ist schon voll.

Die Frage ist, wie viele Amerikaner dann noch einschalten.

spiegel


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