Bundesregierung warnt vor Militarisierung der Arktis

  22 November 2019    Gelesen: 1440
  Bundesregierung warnt vor Militarisierung der Arktis

Wertvolle Rohstoffe, kürzere Schiffsrouten, reiche Fischgründe - in der Arktis herrscht Goldgräberstimmung. Nach SPIEGEL-Informationen fürchtet die Bundesregierung nun militärische Spannungen zwischen den Großmächten.

Oben weiß, in der Mitte blau, unten rot - die Gebäude tragen die russischen Nationalfarben und sind noch ganz neu. Auf der arktischen Inselgruppe Franz-Josef-Land hat Russland zwischen 2015 und 2017 einen Militärkomplex aus den Zeiten des Kalten Krieges reaktiviert.

Aufnahmen des russischen Verteidigungsministeriums zeigen, wie stark die Militärbasis Nagurskaja, die nördlichste des Landes, modernisiert wurde. Dazu gehört neben der Errichtung mehrerer Wohn- und Technikgebäude auch der Neubau der zweieinhalb Kilometer langen Landebahn. Diese kann jetzt auch von MiG-31 und Su-34 Jagdflugzeugen genutzt werden, Bomber könnten ebenfalls von hier starten. Über den Pol hätten sie es nicht weit bis in den US-Luftraum.

Die Modernisierung des Militärflugplatzes ist nur ein Beispiel dafür, wie Russlands Militär seinen Blick in den vergangenen Jahren auf die Gegend um den Nordpol gerichtet hat. Nach Ansicht von Beobachtern hat das Land insgesamt rund ein Dutzend Basen wieder in Betrieb genommen.

"Die Arktis ist zu einer Schlüsselregion der Weltpolitik geworden", so beginnt eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion, die am Freitag veröffentlicht wird. Und das hat vor allem mit den Folgen der Erderhitzung zu tun: Die Region erwärmt sich aktuell mehr als doppelt so schnell wie der Rest des Planeten. Sowohl Ausdehnung als auch Volumen des Meereises liegen weit unter den Mittelwerten und werden sich auch nicht erholen.

Der erste US-Flugzeugträger seit 30 Jahren ist in der Arktis unterwegs

Das macht die Ausbeutung von Rohstoffen im Polargebiet interessant. Strategisch wichtig sind auch neue Schifffahrtsrouten, etwa vor der russischen Nordküste, durch die nordkanadische Inselwelt oder - in Zukunft einmal - direkt über den Pol.

Wie ihre russischen Kollegen rüsten sich auch Soldaten der Nato bei Manövern und Übungsflügen für Einsätze im hohen Norden. Marines der US-Army trainieren in Norwegen, die Air Force nutzt die Basis Thule im Norden Grönlands als Horchposten für die Raketenabwehr. Und die Navy hat kürzlich ihre 2. Flotte reaktiviert, um Russland im Nordatlantik entgegentreten zu können. Im vergangenen Jahr war mit der "USS Harry S. Truman" zum ersten Mal seit 30 Jahren sogar ein US-Flugzeugträger in der Arktis unterwegs, als Teil der Nato-Großübung "Trident Juncture".

"Die Militarisierung der Arktis ist nicht mehr nur eine hypothetische Frage, sondern sie ist bereits im Gange", sagt Malte Humpert vom Arctic Institute, einem internationalen Thinktank, der sich seit Jahren mit der Region beschäftigt.

Die Bundesregierung sieht das offenbar ähnlich. "Staaten sichern ihre Interessen in der Arktis zunehmend auch militärisch ab", heißt es in der Antwort an die Linkenfraktion, die dem SPIEGEL vorliegt. "Multilaterale Standards und Normen, Kodizies und Konfliktbeilegungsmechanismen" würden "weltweit zunehmend in Frage gestellt", was "die internationale Zusammenarbeit auch in der Arktisregion verstärkt belastet" heißt es in dem insgesamt 33-seitigen Papier weiter.

Russland baut militärischen Eisbrecher

Experte Humpert beschreibt die Situation so: Während es vor einigen Jahren vor allem um Fragen der Sicherheit gegangen sei, die Polarstaaten sich also etwa für den Kauf neuer Eisbrecher und eine bessere Überwachung der arktischen Seewege interessiert hätten, sei nun eine Militarisierung zu beobachten, "bei der offensive Waffen und Equipment, zum Beispiel Marschflugkörper und eisfähige Kampfschiffe, in der Region stationiert werden".

Russland baut gerade den militärischen Eisbrecher "Ivan Papanin", der neben Marschflugkörpern und einem mächtigen Artilleriegeschütz auch über Plätze für Anti-U-Boot-Hubschrauber verfügen wird. In der Einschätzung der Bundesregierung ist ganz allgemein die Rede davon, dass "die Grenzen zwischen offensiven und defensiven Handlungsoptionen (…) verwischt" würden.

Was also tun? Die Bundesregierung richtet ihr Handeln nach eigenem Bekunden "darauf aus, Krisenpotentiale und Konflikte in der Arktisregion frühzeitig zu erkennen und einzudämmen". Dafür befürwortet sie "multilaterale Kooperation, insbesondere im Arktischen Rat". Sie setzt sich "für den Erhalt der Arktis als konfliktarme Region und deren friedliche Nutzung ein".

Im Arktischen Rat sitzen Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und die USA sowie Vertreter indigener Bevölkerungsgruppen wie der Samen und der Inuit. Gesprochen wird über Umweltthemen, nicht aber über Militärfragen. Deutschland hat wie andere Staaten und Organisationen einen Beobachterstatus. Experte Humpert beklagt allerdings eine zuletzt oft schlechte Stimmung bei den Beratungen des Gremiums. Der Ton habe sich "nachhaltig verändert". Die USA hätten "Russland und China wiederholte Male eines aggressiven Verhaltens in der Region beschuldigt".

Abgeordneter kritisiert widersprüchliche Signale

Die Zukunft der Polarregion soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung ohnehin nicht nur im Arktischen Rat verhandelt werden. Auch die Europäische Union und Nato sollten sich stärker mit der Region befassen, heißt es in dem Regierungspapier. Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Linkenfraktion im Bundestag kritisiert die deutsche Arktispolitik allerdings auch deswegen als "sehr widersprüchlich".

Einerseits, so Hunko, plädiere man für den Erhalt der Arktis als konfliktarme Region. Andererseits werde "die Bundeswehr immer mehr zu Militärmanövern im arktischen Raum geschickt und scheint sich auf Einsätze dort vorzubereiten. Die Bundeswehr hat im arktischen Schnee jedoch nichts verloren", so der Parlamentarier. Im vergangenen Jahr haben deutsche Soldaten laut Regierungsantwort tatsächlich an insgesamt vier Manövern in der Arktis teilgenommen: "Arctic Challenge" (Norwegen, Schweden, Finnland), "Dynamic Mongoose" (Norwegen), "Joint Arctic Training" (Norwegen) und "Nanook-Nunalivut" (Kanada).

Deutschland solle sich stattdessen in der Arktis auf eine friedliche Kooperation mit anderen Staaten im Bereich der Forschung und der Umweltpolitik konzentrieren, fordert Linken-Politiker Hunko. Und auch das passiert: So leiten deutsche Forscher aktuell die größte Polarexpedition aller Zeiten, bei der der Eisbrecher "Polarstern" noch bis zum kommenden Herbst mit dem Packeis durch die Arktis driftet.

spiegel


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