Dass Xu Ding Qiang in der Baustellenhierarchie weit oben steht, zeigt sich an seiner Kleidung: Arbeitshose, Sicherheitsstiefel, Schutzhelm, Warnweste. Das tragen hier nicht alle Arbeiter. Doch der 47-Jährige hat eine wichtige Aufgabe.
Xu leitet die Elektro- und Sanitärinstallationen im künftigen Stadion der äthiopischen Fußballnationalmannschaft. Wie ein Raumschiff ragt der Rohbau aus dem innerstädtischen Straßengewirr von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, heraus.
Xu steigt eilig die Ränge empor, auf denen bald bis zu 60.000 Zuschauer sitzen sollen. Auf dem obersten Rang betritt er einen schummrigen Toilettenraum. Zehn WCs von rund eintausend, die hier entstehen, das Licht funktioniert noch nicht, die Bodenkacheln sind blind vom Baustaub. Ein Kollege redet auf ihn ein, im Dialekt der Provinz Jiangsu im Osten Chinas, aus der sie beide stammen. Xu hört zu, er steht breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt.
Die beiden Fachkräfte arbeiten für die China State Construction Engineering Company, kurz CSCEC, eine der größten Baufirmen weltweit. Das künftige Adey-Abeba-Stadion, dessen Dach mal aussehen soll wie der Panzer einer Urzeitechse, gehört zu den Vorzeigeprojekten des chinesischen Staatskonzerns. Seine Arbeiter errichten in Addis derzeit auch einen glamourösen neuen Hauptsitz für die Commercial Bank of Ethiopia und in Ägypten den höchsten afrikanischen Wolkenkratzer.
Die CSCEC ist nur eine von zahlreichen staatlichen und privaten Firmen aus China, die in Afrika seit Jahren in rasantem Tempo neue Hochhäuser, Straßen, Zugstrecken, Stadien oder Staudämme bauen. Zwischen 2000 und 2017 sollen sich afrikanische Staaten rund 143 Milliarden Dollar von Chinas Regierung, Banken und Unternehmern geliehen haben, schätzt die China-Afrika-Forschungsgruppe an der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität.
Wer sind jene, die diesen Bauboom vorantreiben? Was führt sie nach Afrika? Wie leben sie dort?
Xu hat seinen Rundgang durch die Toiletten beendet und lehnt an einer nackten Betonbrüstung des Stadions, vor der sich ein Stadtpanorama erstreckt: Gras und Büsche dort, wo noch Sport- und Parkplätze entstehen sollen, dahinter Häuser verschiedener Größe und in der Ferne dunstige Hügel. "Wenn das China wäre", sagt Xu, "sähe es hier viel aufgeräumter aus."
Der Sanitärchef kann der äthiopischen Hauptstadt wenig abgewinnen. Nur zwei- bis dreimal in der Woche verlässt er das umzäunte Stadionareal, um Snacks für seine Mitarbeiter oder Utensilien, die auf der Baustelle fehlen, zu kaufen. Addis Abeba gilt zwar als sehr sicher verglichen mit anderen afrikanischen Großstädten. Doch Xu geht nicht zu Fuß durch die Stadt, und er geht nicht allein. Er hat von anderen Chinesen gehört, die überfallen wurden. "Ich habe ein bisschen Angst", sagt er.
Geschätzt mehr als 200.000 chinesische Arbeiter sind für chinesische und ausländische Firmen derzeit in Afrika im Einsatz. Viele ziehen von Land zu Land, so wie Xu. Bevor er nach Addis kam, arbeitete er am neuen Hafen im Nachbarland Dschibuti mit. Davor sei er in Deutschland, Spanien und Grönland gewesen, erzählt er.
Die globalen chinesischen Wanderarbeiter bleiben oft unter sich. Sie leben in temporären Baracken oder Wohnblocks, kommunizieren mit den einheimischen Arbeitern in einem Kauderwelsch aus Mandarin, Englisch und der Landessprache und haben ansonsten mit der Bevölkerung ihres Gastlandes meist wenig zu tun.
Es gibt auch jene, die in Äthiopien sesshaft geworden sind, eine Frau gefunden und Kinder bekommen, vielleicht einen Laden oder ein Restaurant eröffnet haben. Doch die meisten zieht es früher oder später zurück in die Heimat zu ihren Familien. Auf ausländischen Baustellen schuften sie vor allem wegen des Geldes.
Quelle : spiegel.de
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