FC Bayern verzweifelt an "brutaler" Pleite

  08 Dezember 2019    Gelesen: 660
FC Bayern verzweifelt an "brutaler" Pleite

In der Tabelle der Fußball-Bundesliga stürzt der FC Bayern auf Rang sieben ab. Zwar spielen die Münchner auch bei Borussia Mönchengladbach gut. Der plötzlichen Wucht des Liga-Ersten können sie sich aber nicht mehr erwehren.

Im Fußball werden Erfolge an Toren bemessen. In den großen europäischen Ligen fallen nirgendwo mehr Tore als in der Bundesliga. In den ersten 13 Spieltagen der aktuellen Spielzeit fielen im Schnitt 3,29 Tore pro Partie. Manchmal kündigen sie sich an, dann sind sie wie gigantische Wellen: Unaufhaltsam dringen sie in das Stadion, sind erst aus der Ferne sichtbar, bevor ihr Rauschen alles durchdringt, ihre Kraft alles wegspült. In der 58. Minute des Topspiels Borussia Mönchengladbach gegen den FC Bayern scheint diese Geschichte bereits auserzählt. Die von Hansi Flick trainierten Gästen haben in der 49. Minute die hochverdiente Führung erzielt. Jetzt werden sie das Spiel nach Hause schaukeln. Im Duell der beiden großen Teams der 1970er-Jahre kann es nur einen Sieger geben: Bayern München.


In der Woche, in der Hennes Weisweiler, der letzte Gladbacher Meistercoach, seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, empfängt der Spitzenreiter vom Niederrhein den großen Rivalen vergangener Tage. Die Borussia ist Tabellenführer, die Bayern lauern nach einer gleichsam überraschenden wie unglücklichen 1:2 Niederlage gegen Bayer Leverkusen nicht einmal mehr in Schlagdistanz. Vier Punkte liegen zwischen beiden Teams, dazwischen breiten sich formstabile Leipziger aus. "Wir gehen mit viel Selbstvertrauen in das Spiel. Wir haben die Qualität und die Erfahrung, diesen Druck auszuhalten", war sich Bayern-Trainer Hansi Flick vor dem Spiel sicher. Die Leverkusen-Niederlage als Ausnahme von der alten, unter dem Interimstrainer endlich wieder in Kraft gesetzten "Bayern gewinnt immer"-Regel. Unter Flick, so schrieb Jupp Heynckes Anfang der Woche, könne der FC Bayern eine neue Epoche einläuten.

Auf der anderen Seite traten ihnen Gladbacher entgegen, die keinen Anlass sahen, ihren Platz an der Sonne herzuschenken. Seit dem 6. Oktober stehen sie nun an der Spitze der Liga. Sie reiten auf einer Welle. Trotz der Niederlagen in Dortmund und bei Aufsteiger Union Berlin hatten sie diesen Platz nun viel zu lange verteidigt, um ihn gegen Bayern München herzuschenken. Viel war daher im Vorfeld der Partie von Mut zu lesen. Mut, gegen die Bayern zu gewinnen. Mut, ihnen Kampf anzubieten. Genug Teams in dieser verrückten Saison hatten das nun schon getan. Der Mut - und Bayerns Schwäche - hatte Niko Kovac den Job gekostet und Hansi Flick ins Amt gespült.

"Wir haben uns nicht belohnt"


"Fakt ist, dass wir gewinnen wollen", sagte Marco Rose vor dem Spiel und zerbrach sich dann den Kopf über die Aufstellung. Zwei, drei Nächte habe das Trainerteam über die Aufstellung geschlafen und sich dann dafür entschieden, die offensive Dreierreihe aufzulösen. Patrick Herrmann, Florian Neuhaus, Tony Jantschke und Breel Embolo mussten auf der Bank Platz nehmen. Dafür rotierten Matthias Ginter, Jonas Hofmann, Lars Stindl und Alassane Plea ins Team.

Doch von Mut war wenig zu sehen. Schon nach fünf Minuten holte sich Laszlo Benes nach einem Foul an Alphonso Davies eine glückliche Gelbe Karte ab. Der Kanadier ließ sich davon und von den folgenden Pfiffen nicht beeindrucken. Über seine linke Seite laufen die ersten Angriffe der Bayern, die in der Folge das Spiel jedoch auf die rechte Angriffsseite lenken. Immer wieder brechen sie gegen den Linksverteidiger Ramsy Bensebaini durch und erreichen die Grundlinie. Es ist kein einfaches Spiel für den Algerier, der vor der Saison von Stade Rennes an den Niederrhein wechselte. Über die rechte Seite kommen die Bayern in der 14. Minute dann auch zu einer ersten Nennenswerten Chance. Coman tauscht mit Lewandowski die Position. Der Franzose spielt den Rekordstürmer mit einem klugen Pass frei, doch sein Schlenzer geht am langen Pfosten vorbei. Minuten später verpasst Lewandowski erneut. Er ist vom Glück verlassen, bleibt im dritten Ligaspiel in Folge ohne Torerfolg. Gerd Müllers Rekord wird unangetastet bleiben.

"In der ersten Halbzeit haben wir sehr gut gespielt", sagt Joshua Kimmich. "Wir haben uns nicht belohnt." Mutlose Gladbacher retten sich in die Pause. Die Hausherren kommen nicht in die Zweikämpfe, spielen nicht nach vorne. Einmal prallt Marcus Thuram am Körper von Jerome Boateng ab. Es ist nicht ihr Spiel. Selten gewinnen sie die Bälle hoch in der gegnerischen Hälfte. Wenn sie es tun, hat sich Thiago wieder einmal hinter Boateng und David Alaba geschoben. Und sein Team damit in Gefahr gebracht. Yann Sommer hält Gladbach auf Kurs. Mit den Fingerspitzen fischt er einen Schuss von Joshua Kimmich von der Torline. Schiedsrichter Marco Fritz blickt auf seine Uhr. Kein Tor. Die Bilder wird man später auch im Stadion sehen. Ein Raunen geht durch die Wellblecharena im Industriepark am Rande der Stadt. Da ist Pause und danach saugt der Borussia Park die Energie auf.

Für das, was folgt, wurde Fußball im Stadion erfunden

Erst läuft Lars Stindl Manuel Neuer an, er grätscht, will den Ball haben. Das Stadion ist jetzt da. Doch nur Sekunden später jubeln die Bayern. Sie strafen die erste mutige Aktion der Gladbacher ab. Die Rose Elf kommt nicht mehr hinterher. Ivan Perisic, früh für den verletzten Corentin Tolisso gekommen, schließt aus der Drehung ab. Sommer kann den Ball nur noch ins Tor lenken. 1:0 für Bayern. Was die Vorentscheidung sein muss, wird zum Wendepunkt der Partie. Für das, was folgt, wurde Fußball im Stadion erfunden.
"Manchmal tut das vielleicht ganz gut", sagt Marco Rose später. "Das setzt dann was im Kopf frei: Auf geht’s. Jetzt ist er eh schon drin." In der 55. Minute kommt Borussia zur ersten Ecke, wenig später ersetzt Breel Embolo Benes. Das Stadion setzt an. Aus der Stille kommen die Gesänge, kommen die Anfeuerungen. "Jetzt ist er eh schon drin." Alle Angst abgelegt. Stindl schließt noch voreilig ab, aber wenig später steht Bensebaini nach einer Hofmann-Ecke blank. Der Ausgleich.

Der FC Bayern hat nun das Stadion gegen sich. Es erinnert Manuel Neuer an den einstigen Gladbacher Marc-Andre ter Stegen. Auf dem Platz gewinnt Bensebaini nun mehr Zweikämpfe gegen Thomas Müller, die Bayern verlieren die Kontrolle. Viele kleine Fouls dominieren das Spiel. Boateng muss angeschlagen und verwarnt runter, Javi Martinez und nicht Benjamin Pavard kommt für ihn. Mit Boateng geht das Tempo. Als Davies vorne den Ball vertändelt, er ins Aus rollt und innerhalb weniger Sekunden bei Marcel Thuram landet, wird er vom bereits verwarnten Martinez im Strafraum gelegt. Elfmeter. Natürlich läuft Bensebaini an. "Sippi hat das bestimmt", erklärt Rose. Sippi ist Tobias Sippel, Gladbachs Ersatztorhüter. Eine gute Wahl. Neuer taucht in seine linke Ecke. Er erreicht den Ball nicht. Und sieht, wie Bensebaini erst jubelt, und dann auf den Rasen sinkt. Er kniet. Er kann es nicht fassen. 2:1. Der Rest des Stadions auch nicht. Weit nach Abpfiff vergewissern sich Mannschaft und Tribüne gegenseitig der Tabellenführung.

"Bayern", sagt der Matchwinner später, "ist eine sehr starke Mannschaft, in allen Bereichen. Es ist ein Team, das jeden beherrschen kann". Das gelang den Münchnern auch im Borussia Park. Jedoch nur für 55 Minuten. Bis zur ersten Ecke der Gladbacher. "Das Spiel hier in dieser Situation zu verlieren, ist brutal", sagt Thomas Müller. "Fußball ist schnelllebig, auch während einer Partie." Aber nicht nur während einer Partie. Auch darüber hinaus. Nach der zweiten Niederlage in Folge stürzt der FC Bayern München auf Platz sieben der Tabelle. Müller sagt: "Wir haben viel, viel, viel zu wenig Punkte für unsere eigenen Ansprüche." Aus der Epoche Flick könnte schon Ende des Monats der Übergangstrainer Hansi Flick werden.

Borussia Mönchengladbach hingegen geht in großen Schritten in Richtung Herbstmeisterschaft. Mit Leipzig bleibt nur noch ein ernstzunehmender Konkurrent. Was im Sommer sein wird, darüber wollen sie noch nicht reden. "Wir sind ambitioniert. Wir wollen Spiele gewinnen. Aber die Nummer mit der Schale lassen wir mal weg", sagt Marco Rose und klingt nur ein klein wenig wie Jürgen Klopp in der ersten Dortmunder Meistersaison. Die Elf vom Niederrhein reitet die Welle. Nicht nur während des Spiels. Sie könnte alles wegspülen, was wir in diesem Jahrzehnt über Fußball gelernt haben.


Quelle: n-tv.de


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