Erik Wesslén war auf dem Weg nach Berlin, wo er mit Freunden Weihnachten feiern wollte. Kurz vor dem Unglück besuchte er Erik Myrgren – der Stopp lag am Weg. Die beiden verband eine alte Freundschaft und eine einschneidende Erinnerung: Sie arbeiteten während des Zweiten Weltkriegs in der schwedischen Victoria-Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf. Der eine als Pastor, der andere als Küster. Vielen Menschen haben sie dabei das Leben gerettet: Die Gemeinde bot Verfolgten Unterschlupf, sie verhandelte mit der Gestapo, um Juden freizubekommen – und versuchte, sie außer Landes zu schmuggeln, unter Lebensgefahr und abenteuerlichen Bedingungen.
Erik Wesslén kam im Frühjahr 1942 nach Berlin, um als Gärtner zu arbeiten. Womöglich auch, weil er den Militärdienst satthatte. Er nahm früh Kontakt auf zur schwedischen Gemeinde. Dort lernte er Karin Hirschberg kennen, eine Schwedin mit deutschem Vater, und verliebte sich in sie. Gemeindepastor Erik Perwe traute das Paar am 31. Juli 1943 in der Kirche der Victoria-Gemeinde – mitten im Krieg. Die Bombennächte hatten begonnen, und abends war Verdunkelung angeordnet. Karin ging bald zurück nach Schweden, Erik Wesslén wäre ihr vielleicht gefolgt – hätte Pastor Perwe ihn nicht gebeten, vorübergehend Küster in der Gemeinde zu werden.
Wesslén willigte ein und erfuhr nach und nach, was auf dem Gelände der Kirche neben Gottesdiensten, Trauungen und Seelsorge für die Schweden in Berlin und Norddeutschland vor sich ging: Die Pastoren standen seit der Machtübernahme durch die Nazis 1933 in Kontakt mit deutschen Widerstandskämpfern und halfen untergetauchten Juden, die vor den Deportationen flohen.
Die Gestapo überwachte die Kirche. Manchmal saß ein Spion im Gottesdienst und schrieb mit, was gepredigt wurde. Dass Pastor Birger Forell, Perwes Vorgänger, Verfolgte unterstützte, blieb nicht verborgen. Auf Drängen der Gestapo wurde er 1942 nach Schweden zurückgeschickt.
Erik Perwe führte die Arbeit von Forell fort, erweiterte sie sogar – und hielt sie besser geheim. Die Untergetauchten bekamen in der Kirche Essen, manchmal Geld oder Tauschwaren. Man suchte sichere Verstecke für sie. Wenn es nicht anders ging, kamen sie auf dem Dachboden des Gemeindehauses oder im Keller unter. Viel Platz war dort nicht, trotzdem lebten zuweilen mehr als fünfzig Menschen auf dem Grundstück. Man baute den Kartoffelkeller zu einem kleinen Bunker um. Die Luftangriffe der Alliierten wurden von Monat zu Monat stärker.
Informanten hielt man mit Butter oder Zigaretten bei Laune
Erik Wesslén lernte schnell, das Kontaktnetz der Gemeinde zu nutzen. Trotz Kriegswirtschaft, Rationierung und Mangel war er bald in der Lage, alles zu besorgen, was in Berlin noch zu bekommen war: ein Auto im Tausch gegen ein paar Kilo Kaffee, Benzin gegen Schokolade und Alkohol. Schmuck und Zigaretten halfen, bei den Behörden an Stempel und Siegel zu gelangen.
Ein ums andere Mal versuchte die Gestapo in die Kirchenräume vorzudringen: Weibliche Spitzel klopften nachts an die Tür und gaben sich als Jüdinnen aus, die Schutz oder Hilfe suchten. Man erkannte sie sofort. Erik Wesslén bekämpfte die Gegner fortan mit den gleichen Waffen: Er weitete sein Kontaktnetz auf die Berliner Polizei und die Gestapo aus; die Informanten hielt er mit kleinen Geschenken wie schwedischer Butter oder Zigaretten bei Laune.
Eine besondere Rolle spielte das Polizeirevier 155, im Haus gegenüber in der Landhausstraße in Wilmersdorf. Oberwachtmeister Hoffmann und Wachtmeister Mattick hatten für Hitler und die Nazis nichts übrig: Wenn Gestapo-Offiziere im Anmarsch waren, um vom Revier aus die Schweden zu überwachen, ließ Mattick als Warnzeichen eine Rollgardine herunter. Die Polizisten gaben den Schweden auch Blankopässe und besorgten Stempel und Unterschriften, um gefälschte Papiere für die Untergetauchten herzustellen. Im Keller des Reviers sollen sie einmal sogar einen Deserteur versteckt haben. Hin und wieder kamen die Polizisten für eine Partie Schach herüber oder um im Radio BBC zu hören. Das Revier 115 schützte die Gemeinde bis zum Kriegsende wie ein Wachturm.
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