Taktische Wähler wollen Johnson verhindern

  12 Dezember 2019    Gelesen: 731
 Taktische Wähler wollen Johnson verhindern

In Großbritannien wird heute ein neues Parlament gewählt. Premierminister Johnson hofft auf eine deutliche Mehrheit für seine Konservativen, um endlich den Brexit zu vollziehen. Seine Gegner haben zum taktischen Wählen aufgerufen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Wahl.

Wie funktioniert das britische Wahlsystem?

Großbritannien hat ein relatives Mehrheitswahlrecht. Ins Parlament zieht nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis ein. Die Stimmen für unterlegene Kandidaten verfallen. Das führt dazu, dass die beiden großen Parteien – also Konservative und Labour – bevorzugt werden, und bringt in der Regel klare Mehrheitsverhältnisse. Denn das britische Mehrheitswahlrecht kennt nur Direktmandate: Der Gewinner räumt alles ab.

In der Vergangenheit kam es aber immer wieder zu einem „hung parliament“ – das bedeutet, dass weder Labour noch Konservative eine absolute Mehrheit der Mandate im Unterhaus erreichen konnten. In vielen Wahlkreisen, vor allem in Mittel- und Nordengland, lieferten sich die Konservativen und Labour zuletzt ein enges Rennen.

Wie stehen die Chancen für Tories und Labour?

Umfragen sehen den konservativen Premier Johnson auf dem Weg zu einer eigenen Mehrheit. Auf die Unterstützung durch andere Fraktionen kann Johnson nicht setzen. So hat er sich mit der nordirisch-protestantischen DUP im Streit über seinen Brexit-Deal überworfen. Die DUP hatte Johnsons Vorgängerin May nach der Wahl 2017 gestürzt.

Die Chancen der Labour-Partei für eine eigene Mehrheit gehen dem renommierten Wahlforscher John Curtice zufolge „gegen null“. Aber die Partei konnte den Abstand auf die Tories zuletzt verringern – Umfragen zufolge lagen nur noch 28 Mandate dazwischen. Der Journalist Grahame Lucas sagte im Deutschlandfunk, dass es sehr viel enger werde, als man vor drei, vier Wochen gedacht habe. Eine eigene Mehrheit für Labour könne man zwar ausschließen, eine Koalition aus Labour, Liberaldemokraten und schottischen Nationalisten sei aber theoretisch denkbar.

Auf welche Seite schlagen sich die anderen Parteien?

Labour-Chef Corbyn könnte auf die Hilfe der Schottischen Nationalpartei SNP hoffen. Sie will den Brexit genauso wie die Liberaldemokraten verhindern. Beide Parteien haben deswegen zum taktischen Wählen aufgerufen.

Was bringt taktisches Wählen?

Hinter der taktischen Stimmabgabe steckt der Gedanke, für denjenigen Oppositionskandidaten zu stimmen, der in einem bestimmten Wahlkreis die besten Chancen hat, gegen den jeweiligen konservativen Kandidaten zu gewinnen.

Prominenter Befürworter des „tactical voting“ ist der Schauspieler Hugh Grant, ein ausgesprochener Johnson-Gegner. Grant unterstützte im Wahlkampf unterschiedliche Kandidaten der Opposition und nannte den drohenden Brexit eine nationale Katastrophe, die es zu verhindern gelte. Im Spätsommer hatte Grant Johnson auf Twitter gewarnt: „Du wirst die Zukunft meiner Kinder nicht versauen. Du wirst die Freiheiten nicht zerstören, die mein Großvater in zwei Weltkriegen verteidigt hat“, schrieb Grant. Er verglich den Premierminister mit einer überschätzten Gummi-Badeente und äußerte sich „angewidert“.

Wann kommt das Ergebnis?

Mit einem offiziellen Endergebnis ist am Freitag zu rechnen. Die Wahllokale haben am Donnerstag von 8 Uhr bis 23 Uhr (MEZ) geöffnet. Unmittelbar danach wird eine Prognose im Auftrag der Fernsehsender BBC, ITV und Sky News veröffentlicht. Bei vier von fünf Wahlen in den vergangenen 20 Jahren lagen die Prognosen grundsätzlich richtig. Die Auszählung wird sich voraussichtlich bis in die frühen Morgenstunden ziehen, die Ergebnisse werden für jeden Wahlkreis einzeln bekanntgegeben.

Wie geht es nach der Wahl mit dem Brexit weiter?

Sollten die Konservativen eine klare Mehrheit erreichen, könnte Johnson schon bald damit beginnen, sein Brexit-Abkommen zu ratifizieren. Er kündigte bereits an, noch vor Weihnachten über seinen Deal abstimmen zu lassen. Der EU-Austritt soll dann am 31. Januar erfolgen. Nach Einschätzung (Audio-Link) unseres Großbritannien-Korrespondenten Friedbert Meurer wäre bei einer Mehrheit für Johnson „fast mit absoluter sicherheit klar, dass Ende Januar endgültig und definitiv der Brexit käme“.

Oppositionsführer Corbyn will dagegen innerhalb von drei Monaten einen neuen Brexit-Deal mit enger Anbindung an die EU aushandeln und über diesen sechs Monate später in einem Referendum abstimmen lassen.

Deutschlandfunk


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