Der Klimagipfel von Madrid droht in eine klimapolitische Katastrophe zu münden: Am Morgen nach der zweiten außerplanmäßigen Verhandlungsnacht bereiten sich Teilnehmer und Beobachter längst auch auf ein mögliches Debakel vor.
Ein Scheitern der 25. UN-Klimakonferenz (COP25) in einzelnen zentralen Verhandlungspunkten sei nicht mehr auszuschließen, hieß es am Morgen. Ursprünglichen Planungen zufolge hätte das hochrangige besetzte Treffen der Vereinten Nationen eigentlich bereits am Freitagabend mit einer Einigung und einer gemeinsamen Abschlusserklärung enden sollen.
Noch immer wird um entscheidende Weichenstellungen gerungen: Bei dem vorliegenden Textentwurf zur Umsetzung von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens zum Beispiel sei ungewiss, ob die Entwicklungsländer und kleinen Inselstaaten zustimmen könnten, erklärte Yamide Dagnet vom "World Resources"-Institut die Problemlage. Möglicherweise müssten die Verhandlungen über die in Artikel 6 vorgesehene Einbeziehung von Marktmechanismen in den politischen Klimaschutz vertagt werden.
Damit wäre das sogenannte Regelbuch zur Umsetzung des Pariser Abkommens vorerst noch nicht vollständig und damit kaum einsatzbereit. Die übrigen Umsetzungsregeln waren bereits bei der Weltklimakonferenz vor einem Jahr in Kattowitz beschlossen worden. Artikel 6 wurde wegen verhärteter Fronten aber auf Madrid verschoben. Falls es nicht doch noch zu einer Einigung im Laufe des Sonntags kommt, muss dieser zentrale Punkt auf die nächste UN-Klimakonferenz in einem Jahr in Glasgow verschoben werden.
Drohende Schlupflöcher im Vertragswerk
Artikel 6 sieht vor, auch Marktmechanismen zur Steigerung und Umsetzung der nationalen Klimaschutzbeiträge, der sogenannten NDCs, zu nutzen. So könnte ein Industrieland in einem Entwicklungsland ein Solarkraftwerk finanzieren, um die Nutzung fossiler Energieträger zu verringern, und sich diese Emissionseinsparung auf sein NDC anrechnen lassen.
Besonders umstritten ist, ob unter dem Kyotoprotokoll vergebene Verschmutzungsrechte unter dem Paris-Abkommen weiter gelten sollen. Darum kämpft insbesondere Brasilien. Umweltverbände warnen, dass dies - genauso wie Schlupflöcher etwa für Doppelzählungen - das gesamte Pariser Abkommen unterlaufen könnte. Eine Lösung ist auch am zweiten Tag der Verlängerung nicht zu erkennen.
Konferenzlogistik am Limit
Wie angespannt die Lage in Madrid mittlerweile ist, lässt sich nicht nur am logistischen Aufwand ablesen, mit denen die Diplomaten, Beobachter und Unterhändler aus aller Welt versuchen, ihre Delegationen über das geplante Konferenzende hinaus in verhandlungsfähigem Zustand zu halten. Viele prominente Teilnehmer, wie etwa die Klimaaktivisten Greta Thunberg, sind bereits abgereist.
Hinter den Kulissen müssen Helfer nicht nur neue Breschen in die Terminpläne der beteiligten Spitzenpolitiker schlagen, sondern auch improvisierte Abstimmungsprozesse auf nationaler Ebene organisieren und sich nebenbei um Schlafpausen, Verpflegung und die Nachreservierung von Hotelbetten kümmern.
"Eine tickende Zeitbombe"
Am Tagungsort schwankt die Stimmung zwischen Frust und Hoffnung: Am Samstagabend, rund 24 Stunden nach dem ursprünglich geplanten Konferenzende, tauchte bei Twitter unter der Überschrift "Bitte lasst es enden" ein Konto namens "Iscop25over" (etwa "Ist die COP25 zu Ende?") auf. Der erste Eintrag lautete "Nein", später hieß es dann wahrheitsgemäß "Nicht im Ansatz".
Die Chefin des Climate Action Networks Canada, Catherine Abreu, sagte, der aktuelle Textentwurf zu Artikel 6 sei "eine tickende Zeitbombe", weil er die Übertragung von Emissionszertifikaten aus der Zeit des Kyotoprotokolls erlaube. Der Text verletze "alle Grundsätze der San-José-Gruppe", sodass deren Länder kaum zustimmen könnten.
Die von Deutschland mitbegründete San-José-Gruppe, der auch andere europäische Länder wie Spanien, Schweden, Dänemark und Irland, sowie diverse Inselstaaten und lateinamerikanische Länder angehören, hatte einen Kompromissvorschlag zu Artikel 6 vorgelegt. Dieser sieht "gerechte und robuste" Regeln vor, wie die Gruppe erklärte.
Quelle: n-tv.de
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