Leipzig ist noch nicht so weit wie der BVB

  18 Dezember 2019    Gelesen: 1061
Leipzig ist noch nicht so weit wie der BVB

In der ersten Hälfte chancenlos, am Ende ein glücklicher Punktgewinn. Leipzigs Trainer Nagelsmann sieht seine Mannschaft nach dem spektakulären Spiel beim BVB dennoch auf dem richtigen Weg. Doppeltorschütze Werner sieht den zwischenzeitlichen Rückstand positiv.

Julian Nagelsmann kann bei Bedarf in der Kabine durchaus überzeugend cholerisch sein, um seine Spieler wachzurütteln. Doch in der Halbzeitpause des spektakulären Bundesliga-Spitzenspiels von RB Leipzig bei Borussia Dortmund (3:3) blieb der 32-Jährige ganz ruhig. Während draußen heftiger Regen einsetzte, der bis unter die Tribünendächer peitschte, veranstaltete Nagelsmann in der Umkleide nicht etwa ein verbales Gewitter, sondern versuchte, seine indisponierte Mannschaft mit klaren Anweisungen aufzubauen. Mit 0:2 war der Tabellenführer nach der schlechtesten Hälfte der Saison in die Pause gegangen. Ohne Spielkontrolle und Traute im Spiel nach vorn, defensiv überfordert von den gedanklich und spielerisch schnellen und sicheren Dortmundern.

"Fußballerisch hatten wir keine Chance in der ersten Hälfte. Da ging es wenig um Taktisches, wir mussten über die Emotionen ins Spiel finden", sagte Nagelsmann. Und über einfache Dinge Sicherheit gewinnen: "Lange Bälle schlagen, Diagonalbälle, häufiger mutig andribbeln, dass der Gegner hinten 'reinfällt." Zudem verabschiedete sich Nagelsmann von dem Experiment mit einer 4-3-3-Grundordnung und stellte inklusive der Auswechslung von Emil Forsberg auf das gewohnte 4-2-2-2-System um, in dem sich die Spieler wohler fühlten.

Zwar gehört das Comeback von RB in der zweiten Hälfte zu den wundersamsten dieser Saison, was für den Charakter der Leipziger spricht. Doch bei beiden Toren zum zwischenzeitlichen 2:2-Ausgleich durch Timo Werner (47., 53.) assistierten die Dortmunder mit kapitalen Patzern von Torhüter Roman Bürki und Julian Brandt selbst. Am Ende wunderten sich auch die RB-Protagonisten selbst ein wenig darüber, dass sie mit dieser Leistung einen Punkt aus dem Ruhrpott entführt hatten. Die Enttäuschung von Trainer Nagelsmann über die Darbietung seines Teams in der ersten Hälfte war jedenfalls größer als die Freude über den "glücklichen" Punkt.

"Unglaublich schwach"


Als "ernüchternd" bezeichnete der Chefcoach die erste Halbzeit: "Bei eigenen Ballbesitzphasen waren wir unglaublich schwach." Immer wieder blieben Konrad Laimer, Emil Forsberg & Co. an den aggressiv gegenpressenden Borussen hängen und verloren Bälle nach Balleroberungen prompt wieder.

So zeigten die Dortmunder dem Herausforderer aus Leipzig in diversen Elementen auf, woran es bei Rasenballsport noch zur Titelreife fehlt. Da war zum einen das generelle Auftreten bei Topspielen wie diesem. RB fiel unter den anfänglich gellenden Pfiffen von der Südtribüne zurück in seine alte Rolle als Underdog, die unter Nagelsmann, der dynamisches Ballbesitzspiel mit nach Leipzig gebracht hatte, abgestreift schien. Doch plötzlich trat RBL nicht wie ein Champions-League-Achtelfinalist auf, sondern wieder wie der Aufsteiger, der auf Dortmunds dominantes Spiel nur reagiert.

"Wir haben uns in Dortmund nie Sorgen gemacht, hatten nie Angst vor der Kulisse. Aber heute schien es so, dass wir ein bisschen neben der Spur waren", rätselte Goalgetter Werner. "Vielleicht hat uns das 2:0 zur Pause sogar ganz gutgetan, um rauszugehen und ohne Druck zu spielen." Auch Nagelsmann monierte, dass sein Team nicht mit breiter Brust aufgetreten sei. "Wir müssen schauen, dass wir in solchen Spitzenspielen – das war gegen Bayern ähnlich – mutiger sind", forderte der Fußballlehrer. "Wir müssen uns nicht verstecken. Es mag sein, dass diese Gegner in gewissen Dingen etwas besser sind, wir sind in anderen Dingen aber auch ein bisschen besser."

Werner sieht Defizite - und Potenzial


Zum zweiten war das die Ballsicherheit. Das Selbstverständnis im Spielaufbau, das sich RB in den vergangenen Spielen erarbeitet hatte, war wie weggewischt. "Heute haben nicht alle das Niveau erreicht, dass wir auf dem gleichen Niveau mitkicken können", musste Nagelsmann einsehen. "Mit Ball haben wir noch Baustellen, da sind Bayern und Dortmund weiter."

So ist RB den beiden Topteams BVB und FCB zwar mental und fußballerisch weiterhin unterlegen, doch im Unterschied zur Vorsaison verlieren sie diese Duelle nicht mehr. Zwar waren die Punkte sowohl gegen Bayern als auch gegen Dortmund glücklich. Doch wenn die Konkurrenten Fehler machten, waren die Leipziger mit jeweils griffigen zweiten Hälften da. Das 3:3 durch den immer gefährlicher werdenden Stürmer Patrik Schick (78.) war nach dem Spielverlauf erstaunlich. "In der ersten Halbzeit hat man gesehen, dass wir noch Defizite haben. Aber es ist doch schön zu sehen, dass wir Tabellenführer der Bundesliga sind, aber noch viel Potenzial nach oben haben", bilanzierte Timo Werner. "Darauf können wir aufbauen."

Auch wenn das nicht so recht zum Spiel in Dortmund passt, steht Leipzig kurz vor der ersten Herbstmeisterschaft der Klubgeschichte. Eine letzte Energieleistung am Samstag gegen die formstarken Augsburger vorausgesetzt. So oder so nehmen Nagelsmann und seine Spieler "einen großen Koffer" voll Arbeit mit in die Winterpause. Titelreif? "Wir müssen weiter arbeiten, um in solchen Duellen die bessere Mannschaft zu sein. Gegen Dortmund waren wir die schlechtere", sagte Nagelsmann. Ganz nüchtern.


Quelle: n-tv.de


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