Wir hätten da mal fünf Vorschläge

  21 Dezember 2019    Gelesen: 1095
Wir hätten da mal fünf Vorschläge

Es muss ja nicht immer Bachs Weihnachtsoratorium sein: Hier sind CD-Tipps mit klassischer Musik zur Festzeit - zum Selbsthören und Verschenken.

Was das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750) im Vokalbereich ist, nämlich das Nonplusultra in Ton gesetzter Freude über die Geburt Christi, ist in der Instrumentalmusik das Konzert "gemacht für den Heiligabend" ("Fatto per la notte di Natale") von Arcangelo Corelli (1653 - 1713), der in Rom lebte und starb. Höhepunkt ist die abschließende Pastorale, die an Hirtenmusik zur Geburt des Erlösers erinnern soll. Sie strahlt Frieden und Glückseligkeit aus. In ihrer Eingängigkeit gehört die Pastorale zu den schönsten Barockkompositionen überhaupt. Auf der CD ist das Konzert in erstklassiger Einspielung des französischen Ensembles Gli Incogniti zu hören.

Corellis Komposition ist das Highlight der Doppel-CD - auch deshalb, weil es vollständig wiedergegeben ist. Ansonsten ist die Platte ein in seiner Zusammenstellung wenig überzeugendes Potpourri, bestehend aus Schnipseln mehr oder weniger berühmter sakraler und weltlicher Vokal- sowie Instrumentalmusik des 18. Jahrhunderts. Das Konzept funktioniert mehr schlecht als recht. Ein Beispiel: Nach dem überaus intimen Prélude aus der ersten Cellosuite Bachs landet man im Überschwang eines Glorias aus einer Messe desselben Komponisten. Wer europäische Barockmusik entdecken will, ist mit der Platte ganz gut aufgehoben. Leider fehlt ein Booklet. Den Charme und Witz französischer Weihnachtsgesänge ("Noëls") zu ergründen, ohne Hintergrundinformationen und Liedtexte lesen zu können, ist kaum möglich.

"Stile Nuovo - Weihnachts- und Vespermusik" - diverse Interpreten (MusikMuseum)

Diese CD entführt nicht nur musikalisch nach Italien und Österreich des frühen 17. Jahrhunderts, sondern schlägt auch eine Brücke zwischen beiden Territorien. Um 1600 kam es in Italien zu einer nachhaltigen Erneuerung der Musik. Die Einführung des Generalbasses, der eine Art Fundament einer Komposition bildete, ermöglichte einen solistischen Gesang, wie man ihn bis dahin nicht kannte. Er orientierte sich stärker am Sprachrhythmus und der Rede, was ganz neue Ausdrucksformen gestattete.

Auch Komponisten geistlicher Werke entdeckten den neuen Stil für sich. Aus gutem Grund: Kontraste und Affekte wie Schmerz, Leid und Freude konnten viel prägnanter gestaltet werden. Die Neuerung gelangte ungewöhnlich schnell in den Tiroler Raum. Die aus Süddeutschland stammenden Komponisten Christoph Sätzl (1592 - 1655) und Johann Stadlmayr (um 1575 - 1648) setzten die Innovationen aus Italien in ihren Werken bereits um. Einige ihrer Vokalwerke anlässlich des Weihnachtsfestes bilden den Mittelpunkt der Doppel-CD. Zu hören ist unter anderen La Venexiana, ein italienisches Spitzen-Ensemble für die Musik jener Epoche. Ein Instrumentalstück ragt heraus: eine Pastorale von Bernardo Storace (um 1637 - um 1707). Der Tiroler Cembalist Peter Waldner macht aus dem Stück ein wahres (Weihnachts-)Fest.

"A Spanish Nativity" - Stile Antico (Harmonia Mundi)

Geistliche Kompositionen der Renaissance, die fast nur auf die menschliche Stimme und die Akustik in Kirchen abhoben, sind geprägt von Unmittelbarkeit und Innigkeit. Eines der weltweit führenden Vokalensembles ist Stile Antico aus England. Es hat schon zahlreiche tolle CDs herausgebracht. Seine jüngste ist der Weihnachtsmusik des "Goldenen Zeitalters" Spaniens zum Ende des 16. Jahrhunderts gewidmet. Unter den hier vorgestellten Platten ist sie die interpretatorisch wertvollste. Stile Antico singen auf atemberaubend hohem Niveau. Der sanfte, engelhafte Klang führt den Zuhörer in Sphären, die die tiefe Frömmigkeit der Europäer vor mehr als 400 Jahren erahnen lassen.

Den Mittelpunkt der CD bildet eine Messe von Alonso Lobo (1555-1617). Er war Kapellmeister an der Kathedrale von Toledo. Für das ungeübte Ohr wirkt die melancholische Musik auf Dauer vielleicht eintönig. Stile Antico "unterbricht" die Messe deshalb mit Werken anderer Spanier jener Epoche wie Lobos Lehrer Francisco Guerrero (1527/28 - 1599) und Mateo Flecha (1481 - 1553), in dessen Musik volkstümliche Tanzlieder einflossen, die die Strenge der Messe etwas aufbrechen.

"Nowell synge we bothe all and som" - Gothic Voices (Linn)

Weihnachtslieder werden seit jeher über zig Generationen weitergereicht. Das englische Ensemble Gothic Voices geht davon aus, dass dies auch im frühen Mittelalter so war, und folgt diesem Ansatz auf seiner CD. Der Schwerpunkt liegt auf Kompositionen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie werden kombiniert mit Werken, die noch 200 oder 250 Jahre älter sind, darunter englischsprachige Weihnachtslieder sowie Gesänge in Latein. Der erste Teil der Platte widmet sich Adventsthemen, der zweite Weihnachten.

Wahrscheinlich einzigartig für die Zeit ist der gesungene "Sprech"-Dialog zwischen Maria und ihrem Kind. Das Lied aus dem 14. Jahrhundert ist anonym überliefert. Darin erzählt Maria Jesus ihre Geschichte, wie der Engel Gabriel vor ihr niederkniete und ihr verkündete: "Gott ist mit dir, du wirst den Messias tragen." Entsprechend der Vorhersage "trug ich dich mitten in der Winternacht in Jungfräulichkeit ohne Schmerzen ". Gerade der Dialog - schön gesungen von der Mezzosopranistin Catherine King - ermöglichte es unseren tief religiösen Vorfahren, sich mit Maria und Jesus als "Leute wie du und ich" zu identifizieren. Allein für das Lied lohnt der Kauf der CD.

Die Einspielung uralter Musik heißt immer auch, dass sich Interpreten in längst vergangene Zeiten hineindenken und -fühlen müssen. Das gilt erst recht für das frühe Mittelalter, das noch kein Notensystem wie das heutige kannte. Das Tiburtina Ensemble um die Sopranistin Barbora Kabátková wühlte sich durch die Archive des Veitsdoms und des Klosters St. Georg auf der Prager Burg. Die Sopranistin entdeckte Quellen, mit der sie die mittelalterliche Liturgie zum Weihnachtsfest in der Tradition des 12. Jahrhunderts rekonstruieren konnte.

Der CD-Titel "Cor Europae" geht auf die Frühgeschichte des einst mächtigen Königreichs Böhmen im 13. Jahrhundert zurück, das dem Land den Namen "Herz Europas" einbrachte. Die Musik besticht durch herzerwärmende Lebendigkeit. Auch wenn es abgedroschen klingt: Die vier Sängerinnen erwecken die Werke zu neuem Leben. Sie vermitteln einen Eindruck: Ja, so könnte es geklungen haben.

spiegel


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