Das erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit, heißt es. So wird auch die Aufklärung des Flugzeugabsturzes nahe der iranischen Hauptstadt Teheran sehr schwer werden – schließlich ereignete sich das Unglück nur wenige Stunden nach einem iranischen Raketenangriff auf US-Stützpunkte im Irak.
Der Flug PS752 von Ukraine International Airlines sollte am Mittwochfrüh von Teheran in die ukrainische Hauptstadt Kiew fliegen. Kurz nach dem Start stürzte die Boeing 737-800 ab, alle 176 Menschen an Bord starben.
Auf den ersten Blick erscheint ein Zusammenhang zu den militärischen Handlungen des Irans wahrscheinlich, schließlich gibt es die zeitliche Nähe. Dennoch ist ein Unfall, der zufällig mitten im Kriegsgeschehen stattfand, eine ebenso plausible Möglichkeit.
Sollte allerdings auf irgendeine Weise das iranische Militär für das Unglück verantwortlich sein, dann hätte es allen Grund, das zu vertuschen: Das Land befindet sich in einem eskalierenden Konflikt mit der Weltmacht USA, da braucht es keine Meldungen, die das Militär schlecht aussehen lassen. Auch lässt das Mullah-Regime im Iran keine freie Presse zu, eine Vertuschung wäre so einfacher durchzuführen als in einem Land mit funktionierender Pressefreiheit.
Aber warum hätte das iranische Militär die Passagiermaschine abschießen sollen? An Bord waren schließlich auch viele Iraner. Darauf weist auch ein iranischer Militärsprecher in iranischen Medien hin: „Das ist lächerlich: Die meisten Passagiere waren junge iranische Männer und Frauen. Was immer wir tun, wir tun es um unser Land und unser Volk zu schützen.“
Doch es muss kein böser Wille gewesen sein, denkbar ist auch ein tragischer Fehler: Nach dem iranischen Raketenbeschuss auf amerikanische Einrichtungen musste das iranische Militär damit rechnen, dass die US-Luftwaffe unmittelbar darauf reagiert. So dürfte die iranische Luftabwehr in höchster Alarmbereitschaft gewesen sein. Diese könnte – theoretisch – eine Zivilmaschine irrtümlich für eine Gefahr gehalten und abgeschossen haben.
Doch das ist Spekulation. Allerdings sollte man diese Möglichkeit – iranisches Militär will etwas vertuschen – im Hinterkopf haben, um Informationen der iranischen Behörden besonders kritisch zu behandeln.
Auffällig ist, dass iranische Stellen schon wenige Stunden nach dem Absturz als Ursache einen technischen Defekt benannten. Zu dem Zeitpunkt konnte der Flugschreiber noch nicht ausgewertet sein. Auch vom Piloten oder der Kabinencrew kann keine Information über die Absturzursache gekommen sein, denn von dem Flugzeug ist kein Notruf bekannt.
Irritierend ist hier das Vorgehen von ukrainischen Stellen: Diese schlossen sich zunächst der iranischen Erklärung eines technischen Defekts an. Ein entsprechendes Statement auf der Seite der ukrainischen Botschaft wurde allerdings entfernt, nun heißt es dort, die Ursache des Absturzes sei nicht bekannt.
US-Medien zitieren mehrere Experten, die einen Angriff auf die Passagiermaschine PS752 für möglich halten. Die Ermittler sollten diese Möglichkeit „ganz oben auf ihre Agenda“ setzen, sagte Peter Goelz, früherer Manager der US-Flugsicherheit, der „New York Times“.
Deutlicher wurde Jeff Guzzetti, ein früherer Flugunfallermittler, in der „Washington Post“: Der Unfall zeige „alle Hinweise auf einen vorsätzlichen Akt. Ich weiß aber nicht, ob es eine Bombe oder eine Rakete oder Brandstiftung war“.
Zudem verwies Guzzetti auf ein Video, das zeigen soll, dass die Maschine schon brannte, als sie abstürzte. Wenn das Video echt sei, „dann kann ich mir keinen Defekt vorstellen, der eine solche Feuersbrunst auslöst.“
Auf der anderen Seite gibt es auch Indizien, die gegen einen Angriff auf die Maschine der Ukraine International Airlines sprechen. Die Nachrichtenagentur Reuters etwa hat erfahren, dass westliche Geheimdienste nicht von einem Angriff ausgingen. Sie hätten keine Hinweise darauf, dass der Flug PS752 von einer Rakete abgeschossen wurde. Vielmehr deuteten die Erkenntnisse darauf hin, dass die Triebwerke überhitzt gewesen seien.
Das ist auch die offizielle Erklärung der iranischen Regierung: Ein Triebwerk habe Feuer gefangen, daraufhin habe der Pilot die Kontrolle verloren, das habe zu dem Absturz geführt. Unmittelbar vor dem Absturz habe die Maschine gebrannt, heißt es in einem vorläufigen Bericht der iranischen Flugsicherheit. Das würden auch Augenzeugen am Boden und von einer anderen Maschine, die in gleicher Höhe geflogen sei, bestätigen.
Ein Szenario eines Triebwerksdefekts wird auch in Pilotenforen diskutiert. So könnten sich etwa Maschinenteile gelöst haben, die das Triebwerk durchschlagen hätten. So etwas passiert selten, zuletzt geschah es bei dem Flug SWA1380 in den USA im April 2018. Teile des Triebwerks zerstörten damals ein Fenster und erschlugen einen Passagier. Die Maschine musste notlanden.
Angriff oder Unfall – das lässt sich also zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Entscheidend wird eine glaubwürdige und gründliche Untersuchung sein.
Die wird allerdings schwer werden: Üblicherweise führt eine solche Untersuchung das Land, in dem das Flugzeug abstürzte, in enger Zusammenarbeit mit Ermittlern von dem Heimatland der Fluglinie – und dem Hersteller der Unglücksmaschine, in diesem Fall der US-Konzern Boeing.
Da sich der Iran und die USA in einer kriegerischen Auseinandersetzung befinden, ist eine übliche störungsfreie Ermittlung unwahrscheinlich. Der Iran kündigte bereits an, dass er den Flugschreiber nicht US-Stellen zur Verfügung stellen werde.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte per Facebook an, dass Experten seines Landes im Iran an den Ermittlungen teilnehmen würden. Erschwert wird das aber auch durch die Lage vor Ort: Das Flugzeug ist extrem zerstört, Wrackteile sind über eine große Fläche verstreut. Der Flugschreiber wurde zwar bereits gefunden, er ist allerdings beschädigt.
tagesspiegel
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