Für Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, war es möglicherweise eine Enttäuschung. Der Bundestag hat sich gegen die doppelte Widerspruchslösung von Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Politiker Karl Lauterbach entschieden. Jeder wäre dadurch - ohne ausdrücklichen Widerspruch - nach seinem Tod zum potenziellen Organspender geworden. Vielleicht hätte dieses Verfahren die Zahl der Transplantationen in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Staaten zuvor, deutlich erhöht. Die Gegner des radikalen Schritts, das bestehende System vom Kopf auf die Füße zu stellen, hatten aber letztlich die besseren Argumente in einer Debatte, deren Ausgang bis zuletzt völlig offen war.
Doch auch wenn das Vorhaben gescheitert ist: Die Chancen stehen gut, dass sich die Lage verbessert. Denn auch mit der moderaten Organspende-Reform, die nun beschlossen wurde, ändert sich viel. Die Spendebereitschaft wird künftig in einem zentralen Register dokumentiert, zu dem die Bürger einen Zugang bekommen sollen. Eine Transplantation ist nicht mehr von dem Idealfall abhängig, dass ein potenzieller Spender nach seinem Tod einen Organspendeausweis aus Papier mit sich trägt. Ärzte und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung werden die Menschen in Deutschland künftig dazu ermutigen, sich dort einzutragen - unabhängig davon, ob man einer Spende zustimmt oder nicht.
Eine Inspiration für künftige Debatten?
Hinzu kommt, dass entscheidende Teile eines anderen Gesetzes, erst in diesem Jahr wirksam werden. Schon im Februar 2019 wurde der Entwurf von Gesundheitsminister Spahn angenommen. Das "Gesetz zur Organspende" (GZSO) verbessert die Bedingungen für die Krankenhäuser, in denen Transplantationen stattfinden, erhöht die Vergütung für Entnahme und Transport, intensiviert die Kommunikation. All das sind Punkte, die von Fachleuten - neben der Dokumentation der Spendebereitschaft - als Ursache für die geringe Zahl von Transplantationen ausgemacht wurde. Und sollte sich die Lage in Deutschland nicht bessern, kann das Thema Widerspruchslösung jederzeit wieder auf die Agenda gesetzt werden. Dann ändern die Abgeordneten auch vielleicht ihre Meinung. Selbst Gesundheitsminister Spahn war früher ein Gegner der Idee, die er nun selbst vorgebracht hat.
Benjamin Konietzny ist Parlamentsreporter von ntv.de.Folgen:
Für den Parlamentarismus in Deutschland wäre es schade, wenn die Debatte im Bundestag erst zu diesem Zeitpunkt wieder die gleiche niveauvolle Sachlichkeit erreichen würde. Bei einer ersten Orientierungsdebatte im November 2018, bei der ersten Lesung im Juni vergangenen Jahres, bei Anhörungen im Gesundheitsausschuss und der abschließenden Debatte jetzt: Die Abgeordneten haben bei diesem Thema respektvoll, unabhängig von Fraktionszwängen und weitgehend ohne Polemik miteinander diskutiert. Es flossen persönliche Schicksale, religiöse Überzeugungen, Gespräche mit Bürgern und Betroffenen und rechtliche Abwägungen des Grundgesetzes mit in die Debatte ein.
Ganz offensichtlich haben sich die allermeisten Rednerinnen und Redner intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, mit den weitreichenden Folgen der Politik, die im Bundestag gemacht wird, mit der Wirkung ihrer Rolle in der Demokratie. Man würde sich bei vielen anderen Themen eine ebenso niveauvolle Auseinandersetzung wünschen - nicht erst, wenn es um Leben oder Tod geht. Vielleicht können die Debatten um die Organspende auch dafür ein Ausgangspunkt sein. Für den Moment aber bleibt die Hoffnung, dass mit dem heute beschlossenen Gesetz die Zahl lebensrettender Organspenden steigt.
Quelle: ntv.de
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