Hohe Stickoxid-Werte bei Volvo-Diesel

  22 Januar 2020    Gelesen: 1021
  Hohe Stickoxid-Werte bei Volvo-Diesel

Bei Abgasmessungen eines Volvo-SUVs sind laut BR und "Spiegel" teils massiv erhöhte Stickoxid-Werte gemessen worden. Volvo hält das für rechtens - Experten sprechen von einer unzulässigen Abschalteinrichtung.

Manchmal reichen ein Beutel mit Eiswürfeln und etwas Klebeband, um zu steuern, wie sauber die Emissionen eines Autos sind: Mit einfachen Hilfsmitteln ist es Testern des zur Deutschen Umwelthilfe gehörenden "Emissions-Kontroll-Instituts" (EKI) gelungen, die Effektivität der Abgasreinigungsanlage eines Volvo Diesel-SUV vom Typ XC60 mit einem 2.0 Liter Motor der Schadstoffklasse Euro 5 zu beeinflussen. Die Messergebnisse liegen BR Recherche, dem ARD-Magazin Plusminus und dem "Spiegel" exklusiv vor.

Da sich im Außenspiegel des gemessenen XC60 ein Temperatursensor befindet, umwickelten EKI-Prüfer diesen zunächst mit einer Heizdecke und danach mit einem Eiswürfel-Beutel. Die jeweils simulierte höhere bzw. niedrigere Außentemperatur wurde dabei durchgängig im Display des Fahrzeugs angezeigt und konnte so von den Testern kontrolliert werden. Ergebnis: Mit stetig sinkender Temperatur ging die Abgasrückführung und damit die Reinigung der Emissionen deutlich zurück, bis sie schließlich aussetzte. Gleichzeitig stieg der Stickoxid (NOx)-Ausstoß deutlich an.

Weit über maßgeblichem Grenzwert
Zahlreiche Testfahrten zeigten: Bei Temperaturen zwischen 14 und 22 Grad Celsius stieß der Wagen bei den EKI-Messungen im Durchschnitt 660 Milligramm NOx pro gefahrenem Kilometer aus. Der bei der Typgenehmigung maßgebliche Grenzwert für Euro-5-Fahrzeuge beträgt 180 Milligramm pro Kilometer.

Bei niedrigeren Außentemperaturen, zwischen neun und elf Grad, kletterten die Werte auf durchschnittlich 811 Milligramm. Nachdem im Test eine simulierte Außentemperatur von null bis minus vier Grad erreicht war, stieg der Stickoxid-Ausstoß auf den gemessenen Spitzenwert von 2.148 Milligramm pro Kilometer.

Messergebnisse "schockierend"
Die Messungen erfolgten im Rahmen von elf sogenannten RDE-Tests mit Hilfe einer mobilen Testvorrichtung (PEMS). Die Fahrten auf der 32 Kilometer langen Strecke rund um Berlin fanden Mitte Dezember statt - bei Außentemperaturen zwischen neun und elf Grad Celsius, innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften sowie auf einem kurzen Autobahnabschnitt.

Für den Emissionsexperten Axel Friedrich von der Deutschen Umwelthilfe ist das Testergebnis "schockierend": Seiner Meinung nach gebe es in dem Fahrzeug eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung, und die wäre illegal, sagte er BR und "Spiegel".

Volvo: Autos entsprechen Vorgaben
BR Recherche, Plusminus und der "Spiegel" stellten Volvo Deutschland die Messergebnisse des XC60 zur Verfügung. Auf Anfrage teilte ein Sprecher mit, tatsächlich liefere ein Sensor im Außenspiegel des Modells entsprechende Daten.

Das Unternehmen wies allerdings zurück, dass es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle: "Alle Systeme, Kontrollfunktionen und notwendigen Schutzmechanismen entsprechen den gesetzlichen Vorgaben." Grund dieser Funktion: Motorschäden vermeiden. Die Autoindustrie bezeichnet diese aus Motorschutzgründen notwendige Funktion als "Thermofenster", diese sei "Industriestandard", so etwa VW auf BR-Anfrage. 

Experten kritisieren Volvo-Darstellung
"Die starken Unterschiede in den Emissionen abhängig von der Temperatur sprechen eindeutig dafür, dass hier eine Abschalteinrichtung eingebaut ist", kontert der Jurist Martin Führ von der Universität Darmstadt. Einige Hersteller hätten deutlich bessere Motoren mit angepasster Emissionsminderung konstruiert. Das zeige, dass es nach dem Stand der Technik möglich war.

Andere Autobauer hätten offenbar eine Abschalteinrichtung verbaut, die eigentlich gar nicht nötig gewesen sei. "Und wenn sie nicht nötig war, dann ist sie auch nicht zulässig", so Führ weiter.

"Abschalteinrichtungen nicht zum Motorschutz notwendig"
Ein weiterer Grund für Zweifel an der Motorschutz-Argumentation: Autohersteller nahmen im Zuge des Dieselskandals millionenfach Software-Updates vor. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte das Kraftfahrtbundesamt einen Bericht über die Wirksamkeit dieser Updates. Demnach haben mehrere Hersteller die bisherigen Temperaturfenster deutlich ausgeweitet und so den Schadstoffausstoß bei niedrigen Temperaturen von fünf Grad teilweise um bis zu 80 Prozent gesenkt.

"Wenn es tatsächlich möglich ist, allein mit Software-Veränderungen Emissionen deutlich nach unten zu senken, ohne den Motor zu verändern, dann zeigt es, dass die Abschalteinrichtung zum Schutz des Motors gar nicht notwendig war", sagt Jurist Führ.

Argument "nicht schlagend"
Jens Borken-Kleefeld vom unabhängigen "International Institute for Applied Systems Analysis" (IIASA) aus Laxenburg bei Wien sieht das ähnlich. Sein Institut hat den Temperatur-Effekt auch im Rahmen einer exklusiv für den BR erstellten Daten-Analyse von 300.000 Diesel-Fahrzeugen aus mehreren europäischen Ländern festgestellt.

"Wir sehen erstaunlicherweise eine Abhängigkeit der Stickoxid-Emissionen von Diesel-Fahrzeugen von der Außentemperatur - erstaunlicherweise, weil es technisch gesehen keinen besonderen Grund gibt", sagt Borken-Kleefeld.

EuGH beschäftigt sich mit Thema
Anders als früher sehen inzwischen auch Gerichte in Deutschland die temperaturabhängige Effektivität der Abgasreinigung kritisch, darunter die Landgerichte Ingolstadt, Mönchengladbach und Stuttgart. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigt sich in mit dem Thema.

In Kürze will EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston ihr Gutachten vorgelegen, mit dem sie unter anderem die Frage klären will, wann eine solche Temperatursteuerung zulässig ist, und wie der Begriff Abschalteinrichtung auszulegen ist. Das war eigentlich bereits für morgen geplant, der EuGH hat den Termin kurzfristig verschoben. Die Autoindustrie kann also nochmal durchatmen.

tagesschau


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