„Ich möchte mich dafür bedanken, dass die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit und zum Sieg über Nazideutschland beigetragen hat“, sagte Katz am Donnerstag im Flughafen, wo er den russischen Präsidenten empfing. Der Außenminister wollte Putin „persönlich für diese Befreiung danken“, weil seine Mutter eine der Geretteten gewesen sei. Das Treffen hat der Fernsehsender „Rossija 24“ übertragen.
Die Staats- beziehungsweise Regierungschefs aus etwa 47 Staaten sind an diesem Donnerstag zum fünften Welt-Holocaust-Forum in Jerusalem eingetroffen. Hintergrund ist der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Truppen sowie der Internationale Holocaust-Gedenktag am 27. Februar. Neben dem Auftritt auf dem Forum nahm der russische Präsident an der Eröffnungszeremonie des Denkmals für die Helden des belagerten Leningrads teil. Dabei betonte Putin, dass man in Israel genauso wie in Russland „besorgt, alarmiert und empört über die Versuche ist, den Holocaust zu leugnen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu überprüfen und Mörder und Kriminelle zu beschönigen“. Zwischen Russland und Polen bzw. der EU wird in dieser Hinsicht seit einigen Wochen eine erneute Debatte über den Geschichtsrevisionismus sowie über die Gründe des Zweiten Weltkrieges geführt, nachdem Putin den polnischen Botschafter in Berlin der Jahre 1933 bis 1939, Josef Lipski, einen „Lumpen und ein antisemitisches Schwein“ genannt hatte.
Dabei stellte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einem provokativen Beitrag für die US-Zeitung „Politico“ selbst die Errungenschaften der Roten Armee bei der Befreiung des KZ Auschwitz in Frage. „...das Lager hätte ein halbes Jahr früher befreit worden sein können“, so Morawiecki. Im Sommer 1944 habe die sowjetische Armee 200 Kilometer von Auschwitz entfernt gestanden, aber die Offensive sei gestoppt worden, so dass die Deutschen bis Januar 1945 Zeit gehabt hätten, sich zurückzuziehen und Todesmärsche zu organisieren. „Die Rettung von Juden hatte für Stalin und die Rote Armee nie Priorität“, so der PiS-Politiker.
„In erster Linie Nationalsozialisten militärisch zerschlagen“
„Weder die Rote Armee noch die Alliierten haben sich jemals die Sonderaufgabe gestellt, ein konkretes Konzentrationslager oder ein Ghetto zu befreien“, erklärt der Co-Vorsitzende der Stiftung „Holocaust“ Ilja Altman gegenüber Sputnik. Nach seinen Angaben erfuhr der Westen vom KZ Auschwitz schon 1944 durch die Flucht zweier slowakischer Juden. Das Innenministerium der UdSSR soll von dem Lager schon 1943 durch die erfolgreiche Flucht sowjetischer Gefangener gewusst haben.
Ob die Rote Armee über diese Informationen verfügte, blieb für die Historiker lange unklar. Laut Altman, Geschichtsprofessor an der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften, bestand die allgemeine Aufgabe der Armee darin, in erster Linie die Nationalsozialisten militärisch zu zerschlagen und nebenbei die betroffenen Gebiete samt Zivilisten zu befreien.
Im Herbst 1944 erarbeitete die Rote Armee dafür die sogenannte Weichsel-Oder-Operation. Es ging dabei um die Befreiung nicht nur der Stadt Auschwitz, sondern auch der Stadt Krakau, die von den Nationalsozialisten stark befestigt wurde. Dies bedurfte einer sorgfältigen Vorbereitung. Altman verweist darauf, dass der KZ-Faktor dabei anfangs nicht zur Weichsel-Oder-Operation gehört habe. In seinem Buch „Vor und nach Auschwitz“ schrieb später einer der Befreier des Lagers, Generalleutnant Wassili Petrenko, dass weder er, der Divisionskommandeur, noch andere Einheiten damals von dem Todeslager Auschwitz etwas gewusst hätten.
„Zwischen dem 23. und dem 24. Januar 1945 war die Rote Armee an eigene Informationen über das Lager gelangt“, erzählt der Historiker unter Verweis auf die Militär-Dokumente weiter. „Die sowjetischen Truppen haben sich dessen Außenstellen genähert. Am 25. Januar wurde dann die Entscheidung getroffen, die Stadt Auschwitz samt dem Vernichtungslager zu befreien“.
So verwies Petrenko in seinem Buch darauf, dass der Kommandeur der 1. Ukrainischen Front, Marschall Iwan Konew, den Plan der Weichsel-Oder-Operation korrigiert habe, als er von dem Lager erfahren habe. Aus dem Buch Konews „Notizen des Oberbefehlshabers“ geht hervor, dass die Rote Armee in Polen nicht nur die Nazis zu zerschlagen, sondern auch die schlesische Industrieregion zu erhalten versuchte. Auch wollte man die eigenen Verluste verringern: Deshalb soll Konew die Schaffung eines „Kessels“ für die Nazis in Schlesien aufgegeben haben.
„Lehren aus dem Holocaust nicht nur auf den Antisemitismus zurückführen...“
Die Deutschen hatten es zwar geschafft, im Januar etwa 50.000 Häftlinge aus dem KZ wegzuführen, jedoch wurden die verbliebenen rund 7.000 Menschen doch gerettet. Eine große Rolle hätten dabei sowjetische Ärzte gespielt, sagt Altman, die mit den an Dystrophie leidenden Bewohnern des belagerten Leningrads schon Erfahrungen gemacht hätten. Auch polnische Ärzte seien dabei gewesen.
Was der polnische Ministerpräsident Morawiecki laut Altman weiter ausblendet, ist, dass die Juden und andere Häftlinge spätestens ab Ende 1944 für die Deutschen als Arbeitskräfte wichtiger gewesen seien, als die endgültige Lösung der „Judenfrage“. Man hätte diese 50.000 Menschen wie in Babyn Jar theoretisch erschießen können, findet der Historiker, jedoch wollte man sie aber wegführen. Weggeführt hätten die Deutschen sie auch schon im Herbst oder Sommer 1944, wäre die Rote Armee etwas früher vorgerückt, so der Historiker. „Dies hätte das Schicksal der Gestorbenen leider in keiner Weise beeinflusst.“
Insgesamt starben 231 Soldaten und ein Offizier der Roten Armee in den Kämpfen um das KZ sowie um die Stadt Auschwitz. Einer davon, Oberstleutnant Semeon Besproswanni, selbst ein Jude und vor dem Krieg als Direktor des Leningrader Großen Dramatheaters tätig, habe für die Befreiung Leningrads von der Belagerung mitgekämpft und sei kurz vor der Befreiung von Auschwitz gestorben.
„Seine Tat hat zwei schreckliche Erscheinungen verbunden: den Holocaust und die Belagerung Leningrads.“
Insgesamt beläuft sich die Zahl der Opfer von Auschwitz auf über eine Million, wobei die jüdischen Häftlinge etwa 90 Prozent betrugen. Daher erachtet Altman solche Foren wie in Jerusalem als „sehr wichtig für die Erinnerung“. Jedoch wünschte sich der Historiker, dass man eben daran erinnert würde, dass die Lehren aus dem Holocaust nicht nur auf den Antisemitismus zurückzuführen seien, sondern auch auf die Rassenpolitik der Nationalsozialisten insgesamt, in der die Juden die ersten, aber nicht die letzten Opfer gewesen seien.
sputniknews
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