Der Moment, in dem sich der Tag verabschiedet, gestaltet sich oft spektakulär: Die Sonne steht tief am Horizont, der Himmel färbt sich rot und manchmal reflektieren Wolken das Farbenspiel. Belege dafür, dass Menschen den Sonnenuntergang als besonders schön empfinden, gibt es genug - ob als Motiv auf Postkarten, in Filmszenen oder auf Gemälden von Künstlern wie Monet und van Gogh. Doch warum ist das so?
Obwohl das Schönheitsempfinden bei jedem Menschen anders ist, gibt es Hinweise darauf, dass alle die Natur als Grundlage haben. Unsere visuelle Umgebung habe uns evolutionär stark geprägt, schreiben Susanne Schmehl und Elisabeth Oberzaucher in dem Buch "Evolutionäre Ästhetik". Unser Schönheitsempfinden liefert uns wichtige Informationen, die zum Überleben beitragen und hat sich über die Jahre zu einem Instinkt entwickelt. "Man könnte also sagen, dass die Menschen im Laufe der Evolution dahingehend geformt wurden, dass sie jene Stimuli als ästhetisch und angenehm empfanden, welche Hinweise auf deren Überlebenswert beinhalteten - ob in der physischen Umwelt oder in sozialen Beziehungen."
Der Neurologe und Buchautor Anjan Chatterjee der Universität in Pennsylvania stellt in seinem Buch "Die ästhetische Schönheit" ebenfalls die Theorie auf, dass wir etwas als schön empfinden, das unseren Vorfahren das Überleben sicherte. Es aktiviere das Belohnungszentrum im Gehirn, das bereits viele Millionen Jahre alt ist. Es scheint daher eine natürliche Tendenz, anzuhalten und auf einen atemberaubenden Sonnenuntergang zu starren. Doch wie war er unseren Vorfahren nützlich?
Wertschätzung erhöht Wohlbefinden
Die alte Bauernregel "Abendrot - Schönwetterbot" könnte etwas damit zu tun haben. Unsere Vorfahren waren auf Himmelszeichen angewiesen, um schlechtes Wetter verlässlich vorhersagen zu können. Färbte sich der Himmel abends rot, war das ein gutes Zeichen. "Der Himmel wirkt noch stärker rot gefärbt, wenn im Westen der Himmel wolkenfrei ist und im Osten Wolken rot angestrahlt werden. Diese Wettersituation, schön im Westen - wolkig im Osten, ist bei der häufigsten Windrichtung - Westwind - ein Anzeichen der Wetterbesserung", wird der Meteorologe Dr. Edilbert Kirk von der Universität Hamburg vom "Hamburger Abendblatt" zitiert.
Der Aspekt der Schönheit spielt noch eine weitere Rolle. Studien zeigen, dass die Wertschätzung natürlicher Schönheit das Wohlbefinden fördert, die Großzügigkeit steigert und die Lebenszufriedenheit erhöhen kann. Dafür müssen wir aber auch etwas tun. Forscher an der Berkeley-Universität in Kalifornien fanden heraus, dass der Schlüssel ist, sich aktiv mit der Erfahrung von natürlicher Schönheit auseinanderzusetzen. Um die Früchte eines Sonnenuntergangs zu ernten, müsse man innehalten, um die Show am Himmel wirklich wahrnehmen und schätzen zu können.
Wer sich darauf einlässt, profitiert noch von einem weiteren Effekt: Licht. Bei Sonnenuntergang fällt das Sonnenlicht in einem flachen Winkel ein und das Licht legt einen weiteren Weg durch die Atmosphäre zurück als am helllichten Tag. "Je nachdem, in welchem Winkel die Sonne steht, werden die Farben abhängig von ihrer Wellenlänge abgebogen", erklärt Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin am St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin, ntv.de. Mittags steht die Sonne direkt über uns, das Licht wird nicht abgelenkt und kommt bei uns vollspektral mit mehr bläulichem, kurzwelligen Licht an. "Je tiefer die Sonne steht, desto mehr wird blaues Licht nach oben abgelenkt, sodass nur noch rötliches bei uns ankommt." Rotes Licht ist langwellig, wird weniger abgelenkt und lässt daher einen Sonnenuntergang intensiv rot erscheinen.
Rotes Licht verbessert Schlafqualität
Die Lichtveränderung beim Sonnenuntergang hat neben der Ästhetik eine wichtige Funktion für Menschen. "Der menschliche Körper ist wie ein riesiges Schweizer Uhrwerk. Es gibt keine einzige Zelle im Körper, die morgens, mittags und abends gleich funktioniert", erklärt Kunz. Kältere Lichtfarben tagsüber steigern die Leistungsfähigkeit. "Licht aus dem blauen Spektrum hat einen akut wach machenden Effekt." Fällt das blaue Licht am Abend weg, reduziert das Stress und "man kommt langsam runter", so der Schlafforscher. "Blaues Licht am Abend unterdrückt die Bildung von Melatonin, rotes Licht nicht." Das führe laut Kunz zu einer qualitativen Verbesserung des Schlafs.
Übrigens: Sonnenuntergänge sind vor allem in Städten besonders farbintensiv und damit spektakulär. Das liege an der schlechten Luft: "Luftverschmutzung, also Partikel in der Luft, verstärken die farbliche Veränderung am Himmel", erklärt Heiko Hecht vom Psychologischen Institut der Universität Mainz ntv.de. Die Luftschicht, durch die die Sonnenstrahlen müssen, sei sehr dick. "Dadurch werden Strahlen prismatisch öfter zerlegt. Je schmutziger die Luft, desto schöner sind die Sonnenuntergänge."
ntv
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