Emre Can diszipliniert den kapriziösen BVB

  19 Februar 2020    Gelesen: 1148
  Emre Can diszipliniert den kapriziösen BVB

Versöhnlicher hätte die Rückkehr von Ex-Trainer Thomas Tuchel zum BVB nicht laufen können. Sportlich ernüchternder allerdings wohl auch kaum. Sein PSG-Ensemble verzweifelt an der Wucht von Erling Haaland und an der Chefigkeit von Emre Can.

Etwa eine halbe Stunde nachdem die über weite Strecken taktisch geprägte, am Ende aber turbulente Champions-League-Begegnung zwischen Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund und dem französischen Serienmeister Paris Saint-Germain abgepfiffen worden war, betrat Thomas Tuchel den Medienraum des Dortmunder Stadions. Der Trainer wirkte gelöst, rank und schlank wie eh und je, der schwarze Rollkragenpullover passte natürlich perfekt.

Tuchel parlierte mit großer Leichtigkeit und in bestem Französisch. All die Fragen der Reporter aus seiner Wahlheimat beantwortete er mit spielerischer Leichtigkeit. Wer immer versuchte, in der Mimik und der Gestik des 46-jährigen Schwaben Anzeichen von Angespanntheit oder gar Niedergeschlagenheit auszumachen, wurde nicht fündig. Der Mann ruhte in sich, und das war in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens hatte sein vom milliardenschweren katarischen Investor alimentiertes Starensemble das Achtelfinalhinspiel bei Borussia Dortmund vor 66.000 Besuchern im ausverkauften Stadion mit 1:2 (0:0) verloren, und zweitens handelte es sich dabei nicht um irgendein Fußballspiel, sondern um die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte.

Doch das war an diesem späten Abend keine Erwähnung mehr wert. Tuchel dozierte ebenso souverän wie gelassen über den Auftritt seiner Mannschaft und beschränkte sich dabei auf den fachlichen Exkurs. "Zu wenig Körperlichkeit, zu wenig Ballbesitz, zu viele Fehler", hatte er bei seinem Ensemble ausgemacht, "uns fehlt derzeit die Wettkampfhärte".

Darüber, wie er das Wiedersehen mit dem Verein wahrgenommen hatte, von dem er im Streit vor drei Jahren geschieden war, hatte der Trainer bereits vor Anpfiff ausführlich Auskunft gegeben: Er habe "viele bekannte Gesichter, viele entspannte Gesichter" wahrgenommen. Kein böses Wort, keine schmutzige Wäsche, alles entspannt. Auch der ehemalige Widersacher Hans-Joachim Watzke mochte kein Öl ins Feuer gießen, auch wenn der BVB-Boss vor Spielbeginn anmerkte, man werde "in diesem Leben wohl keine großen Freunde mehr". Das ist ja auch nicht nötig, ein respektvoller Umgang reicht aus. Nach Spielschluss betonte der Geschäftsführer des börsennotierten Fußballunternehmens, er habe "schon hundert Mal gesagt, dass Tuchel ein sehr guter Trainer ist. Wir haben hier eine gemeinsame Zeit gehabt, dann haben sich die Wege getrennt. Da gibt es nichts nachzutragen."

Die nächsten Rekorde für Haaland

So groß war die Harmonie zwischen dem Revierklub und dem ehemaligen Übungsleiter, dass sich alle Beobachter getrost dem sportlichen Geschehen zuwenden konnten. Und das war nicht zu verachten an diesem Abend unter Flutlicht. Nachdem der Respekt bei zwei mit so vielen offensiven Hochkarätern gespickten Kontrahenten lange Zeit so groß war, dass sich beide Teams gegenseitig neutralisierten, nahm die Partie in der letzten halben Stunde dann doch noch mächtig Fahrt auf.

Dafür, dass doch noch ein richtiges Spektakel zu bewundern war, zeichnete mal wieder Erling Haaland verantwortlich. Der 19-jährige Norweger ist und bleibt ein Phänomen, seit er in der Winterpause beim BVB angeheuert hat. In der Bundesliga bricht der Teenager alle Rekorde, auch in der Königsklasse pulverisiert das aus Salzburg gekommene Supertalent sämtliche Bestmarken: Gegen Paris markierte Haaland seine Treffer neun und zehn und stellte damit einen neuen Champions-League-Rekord auf. So viele Tore in den ersten sieben Begegnungen, da können sich all die Messis, Ronaldos und Neymars nur in Ehrfurcht verneigen. Und noch etwas war zuvor keinem Fußballer gelungen, zumindest keinem beim BVB. Haaland hat in allen Wettbewerben - Liga, Pokal und Königsklasse - in seinem jeweils ersten Spiel getroffen.

Beim ersten Treffer stocherte der Norweger den Ball noch über die Linie, den zweiten wuchtete er aus 20 Metern dermaßen fulminant ins Netz, dass die Zuschauer auf den Tribünen ausflippten. Dieser Junge habe "Spaß und einen unheimlichen Willen", konstatiert sein Chef Watzke: "Das ist ein echter Goalgetter, wir sind froh, dass wir ihn haben."

Neben dem unglaublichen Erling Haaland haben sie bei der Borussia in der Winterpause noch einen zweiten Coup gelandet, der durchaus eine nähere Betrachtung verdient: Emre Can wurde von Juventus Turin zunächst ausgeliehen und schließlich unmittelbar vor Anpfiff gegen PSG fest verpflichtet, um bei einer allzu braven Mannschaft mehr Körperlichkeit und aggressive Attitüde zu implementieren. Dieses Vorhaben scheint voll aufzugehen, innerhalb weniger Wochen ist der Nationalspieler im Revier zu einem Führungsspieler geworden, an dem sich die Kollegen aufrichten können.

Axel Witsel, der eigentlich als Chef im defensiven Mittelfeld vorgesehen ist, hat zuletzt mehrfach betont, wie wohl er sich an der Seite des neuen Leaders fühlt. Der Belgier hat sich sofort untergeordnet, im defensiven Mittelfeld gibt nun Can den Ton an. Und der gab nach dem Sieg gegen Paris betont selbstbewusst die Marschroute für das Rückspiel vor: "Es ist erst Halbzeit, es wird extrem schwer. Aber wir können das schaffen, wenn wir alle zusammenhalten und zusammen verteidigen." Es scheint, als habe Borussia Dortmund endlich den lang gesuchten Mann gefunden, der dieser kapriziösen Mannschaft vermitteln kann, dass erfolgreicher Fußball nicht nur gespielt, sondern auch gearbeitet werden muss.

Quelle: ntv.de


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