Die EU ist eine Weltmacht, obwohl sie nach dem Brexit in der Wirtschaftskraft (BNE) auf Platz drei hinter die USA und China zurückgefallen ist. Man müsse es sich daher im wahrsten Sinn des Wortes auch "leisten", politisch zum globalen Schwergewicht zu werden. Das wird von den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer oft betont, wenn weltpolitische Krisen und Kriege drücken, wenn sie mit europäischen Initiativen vorpreschen.
So war das auch am Donnerstag zu Beginn eines EU-Sondergipfels in Brüssel. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte die dramatischen Ereignisse in Syrien auf die Tagesordnung setzen. Gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel forderte er "sofortige Waffenruhe in Idlib".
Bei dem Treffen sollte aber Greifbareres, die Finanzierung der EU im langfristigen Budgetrahmen für 2021 bis 2027 ausverhandelt werden, über dessen Ausgestaltung die Mitgliedsländer tief zerstritten sind. Rund 155 Milliarden Euro an Zahlungen pro Jahr beträgt der EU-Haushalt derzeit.
Zehntelprozentpunkte
Die EU-Kommission hat ein Reformkonzept vorgelegt, das Kürzungen im Agrarbereich und bei den Förderungen für ärmere Regionen (Kohäsion) vorsieht. Klimapolitik, Schutz der EU-Außengrenzen, Forschung und Entwicklung sollten hingegen gesteigert werden. Von 2014 bis 2020 betrug der EU-Finanzrahmen 1082 Milliarden Euro oder 1,16 Prozent des BNE. Die Kommission will eine Steigerung auf 1134 Milliarden Euro in den nächsten sieben Jahren, was 1,114 Prozent der Wertschöpfung aller EU-Staaten entspräche. Das Europäische Parlament fordert viel mehr für die EU: 1324 Milliarden Euro bis 2027, was die Finanzminister der Staaten als illusorisch hoch ablehnen.
Auf dem Tisch der Regierungschefs lag zum Start ein Kompromissvorschlag des Ständigen Ratspräsidenten Charles Michel: 1094 Milliarden Euro oder 1,074 Prozent des BNE der EU-27. Er sah wieder mehr Geld für Agrarsubventionen vor als die Kommission, auch für Militärausgaben, was von Kritikern als Zugeständnis an Frankreich gesehen wurde.
Begrenzter Optimismus
Das klingt auf den ersten Blick nach enormen Summen. Budgetexperten wiesen im Vorfeld aber darauf hin, dass beim EU-Gipfel alles in allem genommen für einen einstimmigen Kompromiss eine Differenz von "nur" 40 und 70 Milliarden Euro, die umstritten seien, "wegverhandelt" werden müsste – machbar bei politischem Willen.
Setzt man das in Beziehung zur gesamten Wirtschaftskraft der 27 EU-Staaten nach dem Brexit, sieht das Problem tatsächlich weniger dramatisch aus: Sie erwirtschaften rund 14.000 Milliarden Euro pro Jahr, bis zum Jahr 2027 also fast 100.000 Milliarden Euro. Dagegen nehmen sich ein paar Dutzend Milliarden, die durch den EU-Austritt Großbritanniens fehlen, bescheiden aus. Dennoch hielt sich der Optimismus bei den Regierungschefs in Grenzen, ob es gelingen könnte, schon im ersten Anlauf eine Einigung zu erzielen.
Michel gab die Parole aus, dass er zwei Tage und Nächte in einem Marathon bis Samstag durchverhandeln wolle, dass er nichts außer einer Einigung akzeptieren werde. Er führte bis tief in die Nacht bilaterale Gespräche, wollte am Freitag einen neuen Gesamtvorschlag vorlegen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte Skepsis, dass ein Konsens gelingen wird. Als Vertreterin des größten Beitragszahlers wies sie darauf hin, dass sie die von der Kommission geforderte Abschaffung der Beitragsrabatte, die ein Limit der Nettozahlungen bedeuten, keinesfalls hinnehmen wolle.
Kurz erwartet lange Verhandlungen
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ging davon aus, dass es "sehr lange und intensive Verhandlungen geben wird". Kurz traf bereits vor dem Gipfel mit seinen Regierungskollegen aus den Niederlanden, Schweden und Dänemark zusammen, um ein gemeinsames Vorgehen abzusprechen. Diese vier Staaten sind die relativ größten Nettozahler und wollen neben Deutschland eine Front bilden. Laut dem Kanzler würden sie dar auf drängen, dass der EU-Finanzrahmen möglichst bei einem Prozent des BNE bleibe, die Nettobeiträge "nicht ins Unermessliche steigen".
Vor allem mit Kürzungen im Kohäsionsfonds könne für eine "Modernisierung" des Budgets und für neue Aufgaben Raum geschaffen werden, argumentiert er, was die osteuropäischen Staaten wie Polen oder Ungarn als Profiteure daraus ablehnen. Der niederländische Premierminister Mark Rutte trat als Sprecher der "vier sparsamen Länder" auf, die sich darauf einschwören, gemeinsam zu agieren, auch bei Blockaden. Aber bis dahin war es ein weiter Weg.
derstandard.de
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