Das Virus trifft ins Herz der italienischen Wirtschaft

  25 Februar 2020    Gelesen: 1155
  Das Virus trifft ins Herz der italienischen Wirtschaft

Der Corona-Ausbruch in Italien erwischt ausgerechnet den wirtschaftlich starken Norden. Unternehmen reagieren mit Werksschließungen und schicken Mitarbeiter nach Hause. Vor den Supermärkten bilden sich lange Schlangen.

Die Menschen, die draußen vor dem Conad-Supermarkt von Casalpusterlengo in der Schlange stehen, tragen nur zum Teil Masken vor dem Mund. Denn Schutzmasken sind gerade rar in Norditaliens Corona-Krisenregion, wie lokale Medien berichten. Die Wartenden zählen zu den Opfern des Virus. Sie sind gefangen in der Sperrzone, die Italiens Regierung eingerichtet hat, um zu verhindern, dass sich die Epidemie ausbreitet. Rund 50.000 Menschen leben in dieser "zona rossa"; fast niemand darf hinaus, fast niemand darf hinein. Aber von Panik oder Krawall ist zumindest auf dem Video des Nachrichtendienstes Bloomberg nichts zu sehen. Die Menschen warten geduldig, bis sie hineindürfen in das Einkaufszentrum. Am Sonntag hatte es Hamsterkäufe in der Sperrzone gegeben. 

Bei den Unilever-Betrieben in Casalpusterlengo in der Lombardei steht alles still an diesem Montag. Sämtliche Mitarbeiter des Forschungszentrums und der angrenzenden Fabrik des Lebensmittelkonzerns werden seit dem Wochenende auf das Coronavirus getestet. Denn einer von ihnen ist infiziert. Der 38-jährige Mann liegt im Krankenhaus des Nachbarortes Codogno; sein Zustand ist offenbar noch immer kritisch. Inzwischen haben sich mehr als 220 Menschen in Italien mit dem Virus angesteckt, sieben Tote sind bislang bestätigt.

Der Unilever-Mitarbeiter galt kurzzeitig als "Patient eins", als frühester Überträger des Virus in Italien. Aber er war es nicht, die Ärzte haben keine Antikörper bei ihm gefunden. Und: Bis zum Montagmittag sei kein einziger weiterer Unilever-Angestellter positiv getestet worden, erklärt ein Konzernsprecher auf SPIEGEL-Anfrage. Dennoch werde man nicht gleich den Betrieb wiederaufnehmen. "Die Fabrik und das Forschungs- und Entwicklungszentrum sind jetzt für sieben Tage geschlossen."

Fabio Grazioli sitzt allein in seinem Büro, "das ist zum Glück nur 300 Meter von meinem Haus entfernt", sagt er am Telefon. Grazioli, 40, ist Geschäftsführer von GEM Green Energy; das Unternehmen betreibt industrielle Solaranlagen. "Wir sitzen in der roten Zone und kommen weder rein noch raus. Wir können nicht liefern, keine Kunden treffen", erzählt Grazioli. "Das soll die nächsten 15 Tage so bleiben, hört man von den Behörden. Ich hoffe, dass sich diese Zeit nicht verlängert - sonst wird es für uns wirtschaftlich zum Problem." Von seinen Mitarbeitern sei noch niemand "kontaminiert", wie Grazioli es ausdrückt, sie seien aber auch noch nicht getestet worden: "Wenn es nach mir ginge, sollte man einfach alle testen, überall, auch in Deutschland, dann müsste man sich endlich keine Gedanken mehr machen und bangen. Und wir könnten weiterarbeiten."

Armani macht Fabriken dicht
An diesem Montag arbeitet offensichtlich kaum jemand in den Büros und Fabriken der Stadt. Bei einer Reihe von Unternehmen geht gar niemand ans Telefon. Auch die Gewerkschaft CGIL hat ihr Büro in Casalpusterlengo geschlossen. Die Energiekonzerne Eni und Enel haben angeordnet, dass alle Mitarbeiter in der Sperrzone nur von zu Hause aus arbeiten sollen. Die Bank Intesa San Paolo hat eine Reihe Filialen in der "zona rossa" bis auf Weiteres geschlossen.

Die Angst vor dem Coronavirus beginnt Italiens Wirtschaft zu lähmen. Denn die Schließungen beschränken sich nicht nur auf die Sperrzone.

Der Modekonzern Giorgio Armani hat sämtliche Produktionsstätten in den fünf norditalienischen Regionen Lombardei, Emilia Romagna, Veneto, Trentino und Piemont stillgelegt, zunächst für eine Woche. "Zum Schutz der Gesundheit aller Kollegen" habe man entschieden, "die Desinfektion der Arbeitsplätze zu intensivieren", begründete das Unternehmen diesen Schritt in einem Kommuniqué. Die Mitarbeiter vor Ort werden in bezahlten Urlaub geschickt.  Auch die Armani-Zentrale in Mailand ist für den Publikumsverkehr geschlossen, vorerst eine Woche lang. Führungskräfte sollen aber von zu Hause aus weiterarbeiten und sich bereithalten. Aus Angst vor dem Coronavirus hatte Firmengründer Giorgio Armani schon am Sonntag für seine Modenschau in Mailand das Publikum ausgeladen und das Event nur im Internet übertragen.

"Die Einschläge kommen näher"
Wettbewerber Gucci bittet seine Mailänder Mitarbeiter, möglichst von zu Hause aus zu arbeiten, statt ins Büro zu kommen. Auch Konzerne wie Heineken, Henkel oder der Versicherungsriese Zurich ordneten Homeoffice für die Angestellten an einer Reihe norditalienischer Standorte an. Der Telekommunikationsriese TIM fordert seine Techniker auf, nicht dringend erforderliche Arbeiten in bestimmten norditalienischen Gebieten erst einmal nicht durchzuführen. Viele Unternehmen führen darüber hinaus Reiserestriktionen für die betroffenen Provinzen ein und bitten ihr Personal, möglichst über elektronische Medien miteinander zu kommunizieren. Einige Schulen, Kinos und Museen in Mailand werden geschlossen, ebenso Bars von 18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens.

Es trifft ausgerechnet den Norden Italiens, den wirtschaftlichen Motor des Landes. Die Lombardei rund um Mailand und der Veneto erwirtschaften rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung und die Hälfte der Exporteinnahmen Italiens. Die neue Krise, das steht bereits fest, wird die ohnehin schwächelnde nationale Wirtschaft weiter ausbremsen.

Der Wirtschaftsforscher Lorenzo Codogno von LC Macro Advisors, der früher Chefökonom im Finanzministerium in Rom war, prognostizierte am Montag, dass die italienische Wirtschaft im ersten Quartal 2020 zwischen 0,5 und einem Prozent schrumpfen wird. Im vierten Quartal 2019 gab es bereits ein Minus von 0,3 Prozent. Damit wäre das schuldengeplagte Land schon wieder in einer Rezession. "Die ersten Auswirkungen werden im Tourismus und Einzelhandel spürbar sein, weil die Leute zu Hause bleiben und ihre Hotelreservierungen stornieren", sagte Codogno. Deutlich schwerwiegender könnten dann später aber Unterbrechungen in den Lieferketten der Unternehmen werden.

Im europäischen Vergleich liegt die italienische Wirtschaft ohnehin schon auf dem letzten Platz. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft insgesamt gerade mal um 0,2 Prozent. Noch immer ist die Wirtschaftsleistung des Landes niedriger als vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008. Eine Besserung scheint nun kaum absehbar.

Zwar sei es für eine Bilanz der Virusschäden noch zu früh, zitierte die Zeitung "Il Sole 24 Ore" die Vizepräsidentin des Arbeitgeberverbandes Confindustria, Licia Mattioli. Aber insbesondere die Luxusgüterbranche werde es treffen. "33 Prozent der Einkäufe von Touristen in Italien kommen von chinesischen Konsumenten." Sollte sich das Virus ausbreiten, werden auch Urlauber aus anderen Staaten Italien meiden. Der Chef der Hotelvereinigung des Veneto, Marco Michielli, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es regne Absagen bei Hotelbetrieben in der gesamten Region – und prangerte die drakonischen Maßnahmen der staatlichen Behörden an. Die Regierung verhalte sich so, "als gäbe es eine Ebola-Epidemie", kritisierte Michielli.

Die Krisenstimmung hat auch die Anleger an der Mailänder Börse erfasst. Der Leitindex MIB sackte am Montag um 5,4 Prozent ab. In anderen europäischen Finanzhauptstädten wie Paris oder Frankfurt gingen die Kurse ebenfalls deutlich zurück.

"Die Einschläge kommen näher", sagte der Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer dem SPIEGEL. Italien sei ein wichtiger Markt für deutsche Unternehmen. "Das Coronavirus wird auch die deutsche Wirtschaft belasten."

spiegel


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