Mercedes 220 SE trifft Mercedes S 560 Cabrio

  02 März 2020    Gelesen: 1048
  Mercedes 220 SE trifft Mercedes S 560 Cabrio

Es dauert nicht mehr lang und Mercedes' großes S-Klasse Cabrio wird sechzig Jahre alt. Bisher hat es - wenn auch mit langer Unterbrechung - überlebt. Aber wie fühlt sich ein 220 SE Cabrio im Vergleich zu einem S 560 Cabrio heute an?

Cabrios verströmen immer einen Hauch von Glamour, und wenn die luxuriöse S-Klasse auch noch als Variante mit Stoffkapuze an den Start rollt, kann es fast nur um puren automobilen Genuss gehen. Auf den Werbemotiven der zeitgenössischen W111 Cabrio-Anzeigen sieht man denn auch edel gekleidete Damen, die einen Hinweis auf die Zielgruppe des besonders fein anmutenden Cabriolets geben könnten. Nur am Rande bemerkt: Für die 25.500 Mark, die ein 220 SE Cabriolet im Jahr 1961 kostete, konnte man alternativ sieben Basis-Käfer erwerben.

Das Fotomodell, ein frühes 220 SE Cabrio in 040 Schwarz (den Farbton gibt es übrigens noch heute), steht wie ein Neuwagen da und strahlt eigentlich noch immer die Noblesse aus, die seine Konstrukteure ihm in die Rolle geschrieben haben. Das rote Leder korrespondiert stilistisch gekonnt mit dem tiefschwarzen Außenlack und lädt zu einer Sitzprobe ein. Und wenn man in das Ambiente mit dem reichen Holzzierrat eintaucht, entsteht Lust auf eine Probefahrt.

Ein "kleiner" Reighensechszylinder

Unter der langgestreckten Motorhaube des W111 Cabrio werkelt ein unter heutigen Maßstäben eher beschaulicher 2,2-Liter-Reihensechszylinder mit 120 PS. Und obwohl der herrlich sonor klingende Graugussmotor gut und gerne 1,5 Tonnen bewegen muss, fühlt er sich so gar nicht phlegmatisch an. Das mag sicherlich auch daran liegen, dass der hinten mit einer Pendelachse bestückte 4,88 Meter-Liner querdynamisch eher mit vorsichtig zu genießen ist. Der gediegene Cruiser fährt proper geradeaus, aber wenn die Straße auch nur eine minimale Biegung macht, lupft man das Gaspedal schon automatisch. Die Viergangautomatik mit hydraulischer Kupplung unterstreicht den Gleiter-Charakter, wechselt ihre Übersetzungen dennoch recht munter, wenn auch mit dem typischen Rucken dieser Getriebeart.

Muss es kurz mal schnell gehen zum Überholen beispielsweise, lockt der 2,2-Liter das offene Luxusgefährt mit Drehzahlen jenseits der 3500 Touren munter aus der Reserve. Aus zeitgenössischer Perspektive muss das unfassbar schnell gewirkt haben, heute ist der Hundertelfer ein gemütlicher Tourer mit überzeugenden Platzverhältnissen auf geschmeidigen Sofa-Sesseln. Vor allem erzeugt die Lenkradautomatik noch ein kleines Plus an Raum, denn der ansonsten mittig zwischen den Vordersitzen angeordnete Wahlhebel entfällt ja. Selbst hinten können noch zwei Personen unterkommen, ohne sich die Extremitäten zu verrenken – eine Eigenschaft, die neuzeitlichen Cabrios diesseits der Fünfmeter-Klasse abgeht. Doch wer komplexe Fönfrisuren trägt, sollte bei offener Fahrt zumindest aufpassen – ist der Luftzug vorn noch erträglich, nimmt die Sturmstärke hinten beträchtlich zu.

Eleganz über die Jahrzehnte gerettet?

Es drängt sich die Frage auf, ob es der heutigen offenen S-Klasse gelungen ist, die mit dem W111 verbundene Eleganz nach fast sechs Jahrzehnten in die Neuzeit zu retten. Dass ein Auto anno 2020 dynamischer sein muss, sieht man dem neuen Stuttgarter Edelcabrio auf den ersten Blick an. Statt Hochkühler mit repräsentativer Kühlerfigur prangt am Ende seiner mit Powerdomes ausgestatteten Motorhaube ein großer Zentralstern. Die auf den internen Code C217 hörende S-Klasse gibt den elegant-stylisch gestalteten Laufschuh, während der W111 eher Fraktion klassischer Lackschuh ist. Eine breite Chromleiste über den in moderner OLED-Technologie gehaltenen Rückleuchten hilft dabei, die Baureihe zu identifizieren – bei Mercedes derzeit gar kein leichtes Unterfangen. Jedenfalls ist es den Designern gelungen, den großen Benz viel kompakter ausschauen zu lassen, als er in Wirklichkeit ist: 5,03 Längenmeter hätte man ihm kaum zugetraut.

Ein Blick auf die Heckschürze mit den beiden großen Endrohren demonstriert dann auch noch einmal den sportiven Anstrich. Tatsächlich fein abgestimmt haben die Klangexperten den Motor- und Auspuffsound – der Vierliter-Achtzylinder des S 560 bollert unter Last bassig, ohne indes so übertrieben zu wirken wie die AMG-Modelle der vorletzten Generation.

Komfortabel und souverän

Dass die S-Klasse alle möglichen Features an Bord haben kann vom nackenwärmenden Airscarf über das Head-up-Display sowie unzählige Fahrerassistenten bis hin zum TV-Tuner, fasziniert lange nicht so sehr wie ihre Art der Fortbewegung. Das Zusammenspiel des seidigen Motors mit dem samtig abgestimmten Fahrwerk lässt blitzartig den Gedanken "jawohl, das ist S-Klasse" aufkommen.

Soll mal jemand sagen, gute Dämpfer kämen nicht mit modischen Niederquerschnittsreifen zurecht – der auf Luftbälgen liegende oder wahlweise mit aktivem, vorausschauenden Hydraulikfahrwerk federnde S 560 verarbeitet jedenfalls auch hartnäckige Bodenwellen problemlos und überfährt sie wattig wie kaum ein anderer Neuwagen. Komfortabler und souveräner kann man kaum Cabrio fahren.

Teuer sind sie beide

Wobei die Souveränität freilich auch auf das Konto des 469 PS starken Doppelturbos geht, der außerdem schon ab 2000 Umdrehungen 700 Newtonmeter Drehmoment an den Neungang-Wandler schickt und damit aus jeder Lebenslage heraus urgewaltig schiebt. Das Cabriofeeling kommt trotz derart viel Dynamik trotzdem nicht zu kurz und lässt sich per elektrisch einfahrendem Windschott justieren. Wie beim Zwozwanziger gilt indes auch bei der aktuellen Kapuzenoberklasse: Richtig sturmfest muss man lediglich auf den Rücksitzen sein.

Das Fahren, so viel lässt sich feststellen, hat sich in den letzten sechzig Jahren drastisch verändert, die Sprünge bei Geräusch, Fahrwerk und Leistung sind enorm. Dennoch hat der hier besprochene Oldie mehr Charme als der Neuwagen, doch dieses Phänomen zieht sich bekanntlich durch sämtliche Segmente. Dass man übrigens für rund ein Siebtel des S 560-Preises (ab 144.644 Euro) einen Volkswagen aus den unteren Rängen bekommt, ist heute immer noch so wie Anfang der Sechzigerjahre. Manche Dinge ändern sich eben nie. Und übrigens: Für ein gut erhaltenes 220 SE Cabrio zahlt man heute nach Classic Data immer noch mindestens 162.000 Euro. Im Jahr 1961 fuhr, wer 25.500 Mark an den Händler zahlte, mit einem solchen Sonnenanbeter vom Hof. Hier haben sich die Dinge dann doch verändert.

Quelle: ntv.de, Patrick Broich, sp-x


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