"Die anderen sind halt noch ein bisschen schneller", sagte Sebastian Vettel laut formel1.de nach den Testfahrten in Barcelona. Es klingt wie eine Entschuldigung des Ferrari-Piloten - dabei ist die Formel-1-Saison noch gar nicht gestartet. Am Sonntag (6.10 Uhr im ntv.de-Liveticker) geht's im australischen Melbourne erstmals rund. "Mercedes liegt meiner Meinung nach vorn. Jedes Mal, wenn sie rausfahren, kommen sie ziemlich locker auf schnelle Zeiten. Andere müssen sich da schon ein bisschen mehr strecken."
Zu diesen anderen gehört zuallererst sein eigener Rennstall. Ferrari jagt dem Weltmeister-Titel nun schon im 13. Jahr hinterher, der letzte Scuderia-Weltmeister war Kimi Räikkönen 2007. Vettels vier aufeinanderfolgende WM-Titel mit Red Bull liegen nun auch schon sechs Jahre zurück. Dass es anders als 2017 und 2018 in der vergangenen Saison noch nicht einmal für Platz zwei hinter dem Dauer-Sieger Lewis Hamilton reichte und Platz drei noch von Max Verstappen weggeschnappt wurde, macht zusätzlich Druck. Kein Podium - das ist nicht der Anspruch des italienischen Rennstalls.
Zuletzt versuchte es Ferrari offenbar womöglich mit unlauteren Mitteln. Der Motorsport-Weltverband Fia und der Rennstall sorgten für Wirbel, die Konkurrenz wirft beiden erzürnt vor, Tricksereien von Ferrari zu verschleiern. Die Fia hält Untersuchungsergebnisse über die Funktionsweise des 2019 verdächtig starken Antriebs weitgehend unter Verschluss. Es sei "eine Einigung mit dem Team erzielt" worden, aufgrund der Komplexität des Falls hätte ein Regelbruch nicht einwandfrei belegt werden können, heißt es von der Fia.
Verstappen verschleiert wahre Kraft
Der Ärger mit der Konkurrenz, deren anhaltendes Misstrauen sowie der Umbau des neuen Boliden SF1000, all das lastet auf Vettel und dessen teaminternen Konkurrenten Charles Lecerlc. Der neue Rennwagen hat an Topspeed verloren - offiziell, weil man in der Entwicklung den Schwerpunkt auf mehr Anpressdruck gelegt hat. Die Konkurrenz meint dagegen, es liege daran, dass verbotene Teile nach dem Deal mit der Fia ausgebaut werden mussten. In jedem Fall klar: Der hohe Luftwiderstand bereitet dem Team Probleme.
Und die Konkurrenz hat weiter aufgerüstet, Red Bull Racing protzte gar: "Wir wollen um die WM mitkämpfen und dazu wissen wir, dass wir von Beginn an, also vom absolut ersten Rennen, wettbewerbsfähig vom Chassis sein müssen", sagte Berater Helmut Marko gegenüber motorsport-total.com. Die Tests in Barcelona bewiesen, dass sowohl Verstappen als auch dessen Bolide RB16 in bester Verfassung sind. Dabei ließ der 22-Jährige die Konkurrenz im Unklaren darüber, was er und sein Auto wirklich draufhaben. Offiziell steht nur die zweitbeste Zeit für ihn zu Buche, er war 0,071 Sekunden langsamer als Valtteri Bottas im Mercedes. Allerdings bremste Verstappen schon auf der Zielgeraden ab und verschleierte damit das wirkliche Potenzial. Grund genug für Marko, vor dem Auftaktrennen die Titel-Ambitionen zu erneuern: "Ich glaube, wir können mit Mercedes in Australien um den Sieg kämpfen", sagte er gegenüber "Speedweek".
Das behauptet allerdings auch Vettel von sich und seinem zehn Jahre jüngeren Kollegen. "Wir sind Ferrari. Wir sind hier, um zu gewinnen. Wir brechen keine Rundenrekorde und wir schütteln die Rundenzeiten nicht locker aus dem Ärmel. Aber bevor wir nicht in Australien gefahren sind, wissen wir es nicht genau." Und Verstappen gab sich laut motorsport-total.com lieber reserviert: "Melbourne ist so anders, dass ich immer lieber abwarte und schaue, was in Melbourne passiert."
Allerdings geht es in Australien nicht nur darum, wer das beste Auto und den besten Fahrer hat, sondern auch, welcher Fahrer sich nicht von der ungewohnten Rennvorbereitung ablenken lässt. Denn das Coronavirus ist auch in Melbourne das große Thema abseits des Sports. Etwa 300.000 Zuschauer werden im Albert Park erwartet. Angeblich werde ein sogenanntes "Geisterrennen" ohne Zuschauer "überhaupt nicht" in Erwägung gezogen, sagte Andrew Westacott, der Chef der Grand-Prix-Betreiberfirma dem Radiosender SEN.
Diese Maßnahme allerdings gilt für das folgende Rennen in Bahrain (22. März), während die Rennpremiere in Vietnam (5. April) wie geplant stattfinden soll. "Stand jetzt finden alle drei Rennen statt, aber wir haben eine Lage, die sich täglich ändert", betonte Formel-1-Sportdirektor Ross Brawn. Das Rennen in China wurde bereits vorsorglich auf unbestimmte Zeit verschoben. "Der Coronavirus ist für alle eine Herausforderung", sagte Brawn weiter: "Und wir dürfen natürlich keine unnötigen Risiken eingehen. Aber wir können auch nicht einfach dichtmachen."
Womöglich aber tun genau das die ausrichtenden Nationen: Bahrain und Vietnam zählen Italien zu den Ländern, für die Einreisebeschränkungen gelten. Das ist insbesondere für Ferrari, aber auch für Alpha Tauri problematisch, weil sie als italienische Rennställe viele Landsmänner beschäftigen. Zusätzlich beliefert die Scuderia die Konkurrenz von Alfa Romeo und Haas mit Motoren und auch der Reifenhersteller Pirelli stammt aus Italien. Die Verantwortlichen fürchten bereits eine Wettbewerbsverzerrung. Allerdings sagte Brawn: Sobald ein Team vom Rennen ausgeschlossen ist oder auch nur an der Einreise gehindert wird, wird dieses nicht stattfinden.
In Australien wird das nicht passieren, alle Teams sind bereits vor Ort. Aber auch in Melbourne gelten besondere Vorsichtsmaßnahmen. Es werden wie bei allen folgenden Grands Prix Quarantänestellen eingerichtet, die Fahrer sollen keine Selfies mehr machen und keine Hände schütteln. Für Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ist die Formel 1 zudem für Höheres auserkoren: Als Teil eines globalen Sports sei es ihre "Verpflichtung, zu versuchen, die Menschen zum Lächeln zu bringen", so Binotto. Er hofft dabei trotz aller teaminternen sowie Coronavirus-Probleme wohl auf seine beiden Fahrer.
n-tv
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