Öffnet EZB-Chefin Lagarde die Geldschleuse?

  12 März 2020    Gelesen: 827
  Öffnet EZB-Chefin Lagarde die Geldschleuse?

Die Folgen der Corona-Epidemie für die Wirtschaft könnten verheerend werden. Regierungen und Notenbanken sind im Notfallmodus. Heute verkündet die EZB, welche Instrumente sie gegen die Krise einsetzen will. Die Erwartungen sind hoch.

Die erste Bewährungsprobe für Christine Lagarde kommt schneller als erwartet. Die Frage ist, ob die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank die Märkte beruhigen kann. Die Erwartungen, dass die EZB ein Notfallpaket schnüren wird, sind groß. Tatsächlich ist der geldpolitische Spielraum der Währungshüter in dieser speziellen Krise allerdings begrenzt. Die Beschlüsse werden am Nachmittag um 13.45 Uhr bekanntgegeben.

Was könnte die EZB tun?

Die Notenbank könnte mehr Geld in den Erwerb von Anleihen von Staaten und Unternehmen stecken. Das derzeitige monatliche Kaufvolumen von 20 Milliarden Euro ist vergleichsweise niedrig. Die Herausgeber der Papiere profitieren, weil sie für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten müssen, wenn die Notenbank als großer Käufer am Markt auftritt. Das hilft Staaten wie Unternehmen.

Spielraum sehen Ökonomen auch beim Negativzins, den Banken zahlen müssen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Dieser liegt seit September bei minus 0,5 Prozent und könnte weiter gesenkt werden. Dies würde den Druck auf Banken erhöhen, Gelder in Form von Krediten auszureichen und damit die Wirtschaft anzukurbeln.

Wie wahrscheinlich ist eine Senkung des Leitzinses?

Der wichtigste Zins im Euroraum liegt bereits auf dem Rekordtief von null Prozent - seit nunmehr vier Jahren. Ökonomen halten eine Senkung in den negativen Bereich für unwahrscheinlich. Ohnehin ist nicht ausgemacht, dass eine weitere Verringerung der bereits historisch niedrigen Zinsen den Konsum und damit die Gesamtwirtschaft ankurbeln würde. "Ob Sie jetzt öfters ins Restaurant gehen, wenn die Zinsen etwas niedriger sind? Das würde ich bezweifeln", sagte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst.

Könnte die EZB auch Kreditprogramme auflegen?

In den vergangenen Jahren bot die EZB Geschäftsbanken mehrmals Langfristkredite zu besonders günstigen Konditionen an. Diese sind so gestaltet, dass Banken Anreize erhalten, Darlehen an Unternehmen und Verbraucher herauszugeben. Im Fachjargon heißen solche gezielten Langfristkredite "Targeted Longer-Term Refinancing Operations" (TLTRO). Über diesen Kanal könnte die Notenbank die Kreditversorgung für Unternehmen oder Branchen verbessern, die besonders von der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus betroffen sind. Bei der jüngsten Auflage solcher Notenbankkredite war die Nachfrage der Banken allerdings eher gering.

Wie haben andere Notenbanken auf die jüngsten Ereignisse reagiert?

Die US-Notenbank Federal Reserve senkte am 3. März als Reaktion auf die Coronavirus-Epidemie überraschend ihren Leitzins - und zwar gleich um einen halben Prozentpunkt in einen Korridor von 1 bis 1,25 Prozent. Anfang dieser Woche erhöht die Fed zusätzlich ihre Geldspritzen für das Finanzsystem, um eine ausreichende Versorgung der amerikanischen Banken mit Zentralbankgeld sicherzustellen.

Im asiatischen Raum haben mehrere Notenbanken Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte ergriffen. Die Region leidet besonders unter der Krise und dem wirtschaftlichen Stillstand in China. Die japanische Zentralbank versorgt Geschäftsbanken über den übergangsweisen Ankauf von Staatsanleihen im Wert von 500 Milliarden Yen (etwa 4,2 Mrd. Euro) mit Zusatzliquidität. Mit Zinssenkungen reagierten die Notenbanken von Indonesien, Malaysia und Australien.  Auch in Europa wird gehandelt: Am Mittwoch verkündete die Bank of England nach einer außerordentlichen Sitzung, dass der britische Leitzins um 0,5 Punkte auf 0,25 Prozent gesenkt wird. Die schwedische Reichsbank stellte Liquiditätshilfen in Aussicht.

Bringt das Eingreifen der Notenbanken etwas?

Die Zentralbanken demonstrieren vor allem, dass sie trotz einer seit Jahren ultralockeren Geldpolitik handlungsfähig sind. Ökonomen halten die Einflussmöglichkeiten der Geldpolitik derzeit für begrenzt. "Anders als in der globalen Finanzkrise werden die Zentralbanken bei der Bekämpfung des wirtschaftlichen Schadens durch das Coronavirus nur wenig helfen können", sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Größtes wirtschaftliches Problem sei ein Zusammenbrechen globaler Wertschöpfungsketten und fehlendes Vertrauen von Konsumenten. Eher gefordert ist nach Ansicht von Volkswirten die Politik: "Kurzfristig dürften Liquiditätshilfen und Unterstützung für Kurzarbeit für Unternehmen zentral sein - und hier sind die Regierungen am Zug", sagt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Die Bundesregierung hat ein Notfallpaket beschlossen: Erweiterte Regeln zu Kurzarbeit und ein milliardenschweres Investitionspaket sollen die Konjunktur in Europas größter Volkswirtschaft stützen.

Durchkreuzt die Krise Lagardes Agenda?

Schon vor ihrem Amtsantritt in Frankfurt hatte die damalige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) zugesichert, die Nebenwirkungen der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei der EZB stieß Lagarde eine umfassende Überprüfung der geldpolitischen Strategie an - die erste seit 2003. Dabei geht es unter anderem um den geldpolitischen Werkzeugkasten, die Messung der Inflation und die Kommunikation der Notenbank. Noch im Januar hatte Lagarde bekräftigt: "Wir werden jeden Stein umdrehen." Mit Ergebnissen sei Ende dieses Jahres zu rechnen. Dieser ohnehin ehrgeizige Zeitplan könnte nun ins Wanken geraten.

Quelle: ntv.de, ddi/dpa


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