Das sind die Gewinner im syrischen Kriegs-Chaos

  17 Februar 2016    Gelesen: 711
Das sind die Gewinner im syrischen Kriegs-Chaos

Die USA brauchen sie im Kampf gegen den IS, die Russen bomben ihnen den Weg frei, das Assad-Regime gibt Feuerschutz: In Syrien sind die Kurden ein begehrter Partner. Die Türkei ist darüber erzürnt.

"Ich bin so froh, dass unsere Volksverteidigungseinheiten erfolgreich sind – herzliche Glückwünsche an die Kämpfer", schrieb Mohammed aus dem kurdischen Kanton Afrin am Dienstag in einer Facebook-Nachricht. Der junge Lehrer aus dem Nordosten Syriens ist in Feierstimmung. Und das, obwohl im beinahe fünf Jahre andauernden Bürgerkrieg mit mehr als 400.000 Toten kein Ende abzusehen ist. Friedensverhandlungen sind gescheitert, und die Absprachen einer Waffenruhe, die in München getroffen wurden, scheinen illusorisch.

Die Lage ist so angespannt wie noch nie.

Aber Mohammed, und mit ihm der überwiegende Teil seiner kurdischen Landsleute, ist stolz und begeistert von der Miliz. Denn die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) sind ein entscheidender Machtfaktor im Bürgerkrieg geworden. Sie befinden sich auf der Gewinnerstraße, wie es das selten zuvor in der Geschichte der kurdischen Minderheit gegeben hat.

Die YPG ist für alle großen Konfliktparteien in Syrien ein begehrter Partner. Amerika braucht die Miliz im Kampf gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und hat sogar eine Luftwaffenbasis auf kurdischem Gebiet eingerichtet. Die Russen bombardieren seit Neuestem für die YPG, und selbst das syrische Regime hat kürzlich den Weg für die Kurden militärisch freigeräumt. Das hat noch keiner fertiggebracht: Die YPG scheint über alle Interessensgegensätze hinweg "Everybody`s Darling" zu sein.

YPG als verlässliche Bodentruppe für die USA

Dabei sah es lange Zeit nicht gut aus. Die Kurden waren auf sich alleine gestellt, als sie in den Anfangsjahren des Bürgerkriegs abwechselnd von Rebellengruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) und radikalen Islamisten angegriffen wurden. Ob FSA, al-Qaida oder der IS – alle wollten das erdölreiche kurdische Rojava erobern, das sich im Norden Syriens entlang der türkischen Grenze befindet. Aber ausgerechnet die IS-Extremisten brachten die Wende zugunsten der Kurden. Als der IS Ende 2014 die Grenzstadt Kobani erobern wollte, kam die US-Luftwaffe den Menschen in der Stadt zu Hilfe. Die Terrormiliz erlitt eine bittere Niederlage.

In den Folgemonaten setzte die YPG, die von der Türkei als brandgefährliche Terrorbande eingestuft wird, ihren Siegeszug gegen den IS fort. Mit Unterstützung der US-Kampfflugzeuge konnten den Dschihadisten über 15.000 Quadratkilometer Territorium wieder entrissen werden. Das Pentagon hatte mit der YPG endlich eine adäquate Bodentruppe im Kampf gegen den Terror gefunden. Die YPG konnte die Unterstützung der US-Luftwaffe konsequent in Erfolge ummünzen. Alle amerikanischen Versuche, unter der FSA verlässliche Partner zu gewinnen, waren kläglich gescheitert. Das Pentagon hatte dabei 500 Millionen Dollar in den Sand gesetzt.

Als sich dann im Oktober 2015 die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gründeten, wurden die letzten Ressentiments ausgeräumt, die gegen eine enge Beziehung zur vermeintlich terroristischen YPG gesprochen hätten. Denn die SDF ist eine ethnisch-religiös übergreifende Militärallianz, in der die kurdische YPG neben christlichen, arabischen und turkmenischen Milizen eine von vielen ist.

Die Türkei überzeugte das wenig. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beklagte sich, die USA seien mit ihrer Unterstützung der "kurdischen Terrorgruppe" für "ein Blutbad" in Syrien verantwortlich. Diese Woche dürfte Erdogan jedoch vor Ärger die Luft weggeblieben sein. Der kurdische Erzfeind eroberte nördlich von Aleppo eine Stadt nach der anderen von den Rebellen zurück, die von der türkischen Regierung unterstützt wurden. Und diesmal ausgerechnet mit der Hilfe Russlands, dem treuesten Partner des Assad-Regimes, das die Türkei seit 2011 mit allen Mitteln stürzen will. Dass die syrische Armee mit ihrer Artillerie der SDF Feuerschutz gab, fiel da nicht mehr schwer ins Gewicht.

Washington fordert von Türkei Mäßigung gegen Kurden

So groß der Zorn Ankaras auch sein mag, es konnte herzlich wenig ausrichten. Seit Tagen beschießen türkische Truppen zwar die Positionen der YPG. Aber Erdogan kann bisher nicht mehr unternehmen – außer er will eine militärische Konfrontation mit Russland provozieren. Und der Kreml hat am Montag mit der Bombardierung von Wohngebieten, Krankenhäusern und einer Schule in der Grenzstadt Azaz zur Türkei eine unmissverständliche Botschaft geschickt: Wir meinen es ernst und lassen uns von niemandem von der Durchsetzung unserer Interessen abbringen.

Die YPG könne mit dem Kampf gegen radikale Islamisten weitermachen. Auch Washington forderte Ankara auf, die Kurden nicht noch mehr zu beschießen. Nur so könnten unkalkulierbare Komplikationen vermieden wären. Die USA stehen zu ihrem kurdischen Partner, der als Schlüssel zum Sieg über den IS begriffen wird. Und vom syrischen Regime haben die Kurden am allerwenigsten zu befürchten. Das ist froh, eine gemeinsame Frontlinie mit ihnen zu haben, an denen keine Angriffe zu erwarten sind.

Die Türkei kann gegen Kurden nicht klein beigeben

Für die Kurden könnte es momentan kaum besser laufen. Wenn es so weitergeht, könnten sie zum großen Gewinner des Bürgerkriegs werden. Zur Zeit sind sie Amerikas "Super Darling" und gleichzeitig von den Russen begehrt. Moskau hätte sie unter den gegenwärtigen Umständen sicherlich gerne als Kampfgefährte im Boot, was die Kurden jedoch ablehnen. Auch sie wollen, dass das Assad-Regime geht.

Die große Frage bleibt nur, was sich die Türkei noch einfallen lässt, um das aufsteigende kurdische Projekt doch noch zu torpedieren. Ein Mann wie Erdogan gibt gegen eine "Bande von Terroristen" nicht klein bei. Die Kurden könnten als Zankapfel zwischen Ankara, Washington und dem Kreml die Ausweitung des bewaffneten Konflikts provozieren. Ob dann die mächtigen Partner tatsächlich noch an den Kurden festhalten würden, ist noch ungewiss.

Die YPG scheint darüber gerade nicht nachzudenken. Sie sind in der Erfolgsspur und wollen dies weiter ausnutzen. Dass sie sich damit ihren ohnehin schon schlechten Ruf bei den anderen Rebellengruppen gänzlich ruinieren, scheint sie nicht zu stören. "Die Kurden sind Marionetten Russlands und des Assad-Regimes, die das syrische Volk abschlachten, ohne mit der Wimper zu zucken", sagte Jussef, ein Rebellenkämpfer aus Aleppo. "Die YPG und alle anderen, die mit ihr innerhalb der SDF paktieren, sind Verräter." Das ist eine Meinung, die man von der Opposition dieser Tage ständig zu hören bekommt. "Das Regime und die YPG sind nur zwei Gesichter ein und derselben Medaille."

Aber eines sollte nicht vergessen werden. Die Kurden lassen sich gewöhnlich nicht vor den Karren anderer spannen. Als Minderheit mit historisch schlechten Erfahrungen arbeiten die Kurden auf eigene Rechnung. Bündnisse werden gemacht, wenn sie den eigenen Interessen dienen und sind nur von temporärer Natur. Im syrischen Bürgerkrieg dürfte das nicht anders sein.

welt.de


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