Krieg, Sanktionen und das Corona-Virus – Syrien kommt nicht zur Ruhe

  26 März 2020    Gelesen: 436
Krieg, Sanktionen und das Corona-Virus – Syrien kommt nicht zur Ruhe

Die westlichen Sanktionen gegen Syrien schaden dem kriegsgeschundenen Land weiter. Damaskus trifft Vorkehrungen wegen der Ausbreitung des neuen Corona-Virus. Westliche Medien berichten falsch, während in Idlib islamistische Gruppen versuchen, die Kämpfe fortzusetzen. Syrien misstraut weiter der Türkei.

Syrien hat die Weltgemeinschaft aufgefordert, die einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen der USA und der Europäischen Union (EU) gegen das Land aufzuheben.  Alle Sanktionen müssten sofort und bedingungslos aufgehoben werden, forderte das Außenministerium in Damaskus am vergangenen Wochenende.  Die USA und ihre Verbündeten, die an den Sanktionen festhielten, seien verantwortlich für jedes Opfer, das die Corona-Virus-Pandemie fordere. Die Strafmaßnahmen seien völkerrechtswidrig, die Weltgemeinschaft müsse sie stoppen.

Nach Angaben des syrischen Gesundheitsministeriums soll bisher nur eine Person auf das neuartige Virus getestet worden sein, negativ. Alarmiert durch die steigenden Zahlen von Erkrankten im Libanon, Irak und vor allem im Iran hat die Regierung in Damaskus die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Bereits vor zwei Wochen wurden Schulen und Universitäten, Kindergärten, Parks, Cafés, Restaurants und Internetcafés geschlossen.

Einschränkungen für Ausländer
Am vergangenen Sonntag wurde landesweit der Transport eingestellt, die Bevölkerung wurde aufgefordert zwischen 18 Uhr abends und 6Uhr morgens zu Hause zu bleiben. Die für den 13. April vorgesehene Parlamentswahl wurde auf den 20. Mai verschoben.

Ausländer dürfen auf Anordnung des Innenministeriums für zwei Monate nicht mehr nach Syrien einreisen. Betroffen davon sind Personen, die in China, Italien, Iran, Südkorea, Spanien, Deutschland, Frankreich, USA, Japan, Belgien, Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland leben.  Für arabische Reisende  aus Katar, Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, Ägypten, Irak, Libanon, Saudi Arabien, Tunesien und Marokko gilt ein einmonatiges Einreiseverbot.

Bei Al Dweir wurde ein Quarantäne-Zentrum eingerichtet. Seit dem Wochenende steht in dem Ort Zabadani ein Spezialkrankenhaus zur Verfügung.

UNO fordert landesweiten Waffenstillstand
Die Vereinten Nationen haben angesichts der raschen Ausbreitung des Corona-Virus zu einem umfassenden Waffenstillstand in Syrien aufgerufen. Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Geir Pederson, betonte, die Syrer seien „durch COVID-19 akut gefährdet“. Gesundheitseinrichtungen seien zerstört und beschädigt. Es gebe gäbe nicht genügend medizinische Ausrüstung, Medikamente, Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger. Gefangene sollten freigelassen werden, so Pedersen weiter. Humanitäre Hilfe müsse alle Teile des Landes gleichermaßen erreichen. Pedersen forderte die Geberländer auf, zügig und großzügig Geld zur Verfügung zu stellen. Die Aufhebung der Sanktionen erwähnte er nicht.

Die internationalen Hilfsorganisationen konzentrieren sich mit ihren Hilfsappellen auf die Gebiete unter der Kontrolle von Dschihadisten und bewaffneten Regierungsgegner, die in Idlib und im Umland von Aleppo von der Türkei, Golfstaaten und europäischen Ländern sowie den USA unterstützt werden. So warnte die von der Bundesregierung finanzierte Welthungerhilfe vor einem möglichen „Massensterben“ in Idlib. „Da die russische Luftwaffe systematisch Klinken zerstört hat, gibt es dort keine Gesundheitsversorgung», sagte der Regionaldirektor der Welthungerhilfe für Syrien, Dirk Hegmanns, der Deutschen Presse Agentur (DPA).

Moskau widerspricht Vorwürfen
Die Vorwürfe, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen zu zerstören, hat Moskau wiederholt zurückgewiesen. Die Einrichtungen seien von den Kampfverbänden in militärische Hauptquartiere und Rückzugspunkte umgewandelt worden, erklärte der russische UN-Botschafter Vassily Nebenzia bei einer Sitzung im UN-Sicherheitsrat. In Idlib seien Waffenlager in angeblichen Krankenhäusern gefunden worden, nachdem die syrischen Streitkräfte das Gebiet befreit hätten.

Die auch von Deutschland mitfinanzierten „Weißhelme“, die ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der bewaffneten Gruppen in Idlib und im Umland von Aleppo aktiv sind, werben derweil mit Videoclips für Spenden. Die Clips werden über Twitter, Facebook und Internet weltweit verbreitet. Darin sind die „Weißhelme“ in Schutzkleidung zu sehen, wie sie öffentliche Einrichtungen und Schulgebäude desinfizieren.

Arte berichtet falsch
In einem Bericht des deutsch-französischen Fernsehsenders Arte wurden die „Weißhelme“ bei ihrer Arbeit begleitet und gezeigt, wie an Kontrollpunkten Reisenden Fieber gemessen wurde. In Damaskus dagegen gehe das Leben normal weiter, so der Arte-Bericht. Die syrische Regierung kläre die  Bevölkerung nicht über die Gefahren des Corona-Virus auf.

Das ist falsch, denn auch in Aleppo, Homs, Damaskus und anderen Orten Syriens, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden, gibt es Sicherheitsvorkehrungen und Aufklärung. Deutsche und europäische Medien betonen derweil die Notwendigkeit, den Inlandsvertriebenen in Idlib und vor allem den dort agierenden Organisationen zu helfen. Dem  humanitären Völkerrecht entspricht das nicht. Es untersagt vielmehr, humanitäre Hilfe zu politisieren und nur für einen Teil der Bevölkerung zu fordern.
Ein Ausbruch der Epidemie würde alle Syrer hart treffen, wie Joseph B. sagt, der die Autorin seit Jahren in Syrien begleitet.  Die Menschen seien gesundheitlich und ökonomisch geschwächt. Auch er und seine Frau hätten vor einer Woche ihre Arbeit einstellen müssen. „Aber die monatlichen Kosten für die Familie müssen weiter bezahlt werden“, sagt Joseph. Er unterstützt neben seiner eigenen Familie auch die Mutter, die Schwestern und die Familie der Schwiegermutter. „Ohne Arbeit haben wir nichts zu essen.“

Idlib kommt nicht zur Ruhe
Die Provinz Idlib kommt trotz des am 5. März vereinbarten Waffenstillstandes nicht zur Ruhe. Die Vereinbarung, die von den Präsidenten der Türkei, Recep Tayyib Erdogan, und Russlands, Wladimir Putin, unterzeichnet worden war, sieht u.a. russisch-türkische Patrouillen entlang der Autobahn M 4 vor, die als neue Deeskalationszone gilt. Nördlich und südlich der Autobahn soll jeweils eine sechs Kilomete breite Pufferzone eingerichtet werden, aus der bewaffnete Kräfte zurückgedrängt werden sollen. Im Norden der Autobahn soll türkische Militärpolizei diese Pufferzone kontrollieren, im Süden die russische Militärpolizei.

Allerdings verhindern die von der Türkei unterstützten Kampfverbände gemeinsam mit den Dschihadisten von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), der ehemaligen Nusra Front, die Patrouillen. Die Organisation ist international als Terror-Organisation gelistet. Am ersten Tag besetzten sie einen türkischen Panzer und zündeten Autoreifen an, um die Durchfahrt der Patrouille zu unterbinden.

Am Mittwoch wurde bei Jisr as-Shughour, nahe der Grenze zwischen Idlib und Latakia, eine Brücke auf der M 4 gesprengt. Auch das soll verhindern, dass die strategisch wichtige Autobahnverbindung zwischen Latakia und Aleppo wieder in Betrieb genommen werden kann.

Syrisch-russische Gespräche
Am Montag trafen in Damaskus der syrische Präsident Bashar al-Assad und der russische Verteidigungsminister Sergej Shoigu zusammen. Thema der Begegnung war laut der syrischen Nachrichtenagentur Sana die Verteilung von humanitärer Hilfe in Syrien und der Wiederaufbau der syrischen Ökonomie mit Hilfe russischer Experten.

Der Meldung zufolge wurde ebenso über den Waffenstillstand in der nordwestsyrischen Provinz Idlib wurde gesprochen. Dabei sei es um die Frage gegangen, wie ein langanhaltender Waffenstillstand in der neu definierten Deeskalationszone in Idlib entlang der Autobahn M 4 „garantiert“ werden könne, so das russische Verteidigungsministerium. Das werde auch „die Lage in anderen Teilen Syriens stabilisieren.“ Zudem sei über die Möglichkeit einer russisch-syrischen „Kooperation im Bereich der Militärindustrie“ gesprochen worden. Russland wolle seine Kooperation mit Syrien im internationalen Anti-Terrorkampf verstärken.

Misstrauen in Damaskus gegenüber Ankara
Syrien macht aus seinem Misstrauen gegenüber der Türkei kein Geheimnis. Damaskus betrachtet die türkischen Truppen in Idlib und im Umland von Aleppo als „Besatzungsarmee“ und fordert deren Abzug. Tatsächlich sehen die bisherigen Deeskalationsvereinbarungen zu Idlib zwar die temporäre Anwesenheit türkischer Beobachtungsposten vor. Die müssen sich allerdings jeglichen militärischen Aktionen enthalten.

Seit Februar hatten die türkischen Truppen zunehmend an der Seite der bewaffneten Regierungsgegner und Dschihadisten in den Kampf eingegriffen. Als die syrische Armee Ende Februar einen Stützpunkt von Hay’at Tahrir al-Sham bombardierte, wurden dort mehr als 30 türkische Soldaten getötet. Sie hätten dort gar nicht sein dürfen, so das russische Verteidigungsministerium.

sputniknews


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