Einladung an den Tod

  27 März 2020    Gelesen: 555
Einladung an den Tod

Gerade scheint Iran die Corona-Epidemie ein wenig in den Griff zu bekommen – doch aufgrund des persischen Neujahrsfestes sind jetzt Millionen Menschen im Land unterwegs. Und die Hoffnung, dass die amerikanischen Sanktionen gelockert werden könnten, erweist sich als trügerisch.

In Iran flacht sich zwar die Kurve der Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus und der Todeszahlen ab. Dennoch gibt die Führung des Landes keine Entwarnung. Präsident Hasan Rohani warnt seine Landsleute im Gegenteil vor einer zweiten Infektionswelle. Denn zum iranischen Neujahrsfest am 21. März, Nouruz, sind viele Iraner trotz der Epidemie im ganzen Land verreist. Nicht gefruchtet hatte die Warnung der Gesundheitsbehörden, in diesem Jahr auf Reisen, die sie eine „Einladung an den Tod“ nannten, doch zu verzichten. Gegenwärtig kehren daher etwa vier Millionen Menschen aus den Regionen mit den höchsten Infektionszahlen in die Städte zurück, in denen sie wohnen. Zudem sind viele Iraner, die zum 21. März nicht verreist sind, wie in jedem Jahr erst eine Woche nach dem Feiertag in ihren Neujahrsurlaub gestartet. Daher forderte die Regierung nun alle, die anlässlich des Neujahrsfeiertags verreist sind, eindringlich auf, umgehend in ihre Städte zurückkehren und auf dem Rückweg keinen Halt einzulegen.

Um von der erwarteten zweiten Infektionswelle nicht überrollt zu werden, hat die Regierung zudem angeordnet, dass niemand mehr Teheran verlassen darf. Der Verkehr zwischen den Städten soll eingestellt werden. Einwohner der Hauptstadt begrüßen die Entscheidung, kritisieren aber, dass sie zu spät erfolge. Die Regierung appelliert an alle, zu Hause zu bleiben. Kritisiert wird die Regierung jedoch dafür, dass sie besonders betroffene Städte wie Qom weiterhin nicht unter Quarantäne stelle und auch nicht den Ausfall von Einnahmen und Einkommen kompensiere. Präsident Rohani sagt, der Staat verfüge nicht über die Mittel und Instrumente, um eine Stadt zu versorgen, die unter Quarantäne steht.

Die Regierung hatte es lange abgelehnt, die Schließung der Einkaufszentren und Bürokomplexe anzuordnen. Seit Dienstag sind sie nun geschlossen, nicht alle halten sich jedoch daran. Ohne Einnahmen könnten sie ihre Mieten nicht bezahlen und ihre Familien nicht ernähren, sagen die Betreiber. Denn nur die wenigsten Iraner verfügen über Ersparnisse, um einen vorübergehenden Einnahmeausfall zu überstehen. Ihrer Frustration über die Regierung lassen sie am Telefon freien Lauf.

Verbittert berichten sie auch darüber, wie schwierig es ist, sich testen zu lassen, selbst wenn die Symptome einer Infektion vorliegen und eine Untersuchung der Lunge den Verdacht erhärtet. Viele Patienten würden mit der Auflage nach Haus geschickt, sich dort in Quarantäne zu begeben. Als gesichert gilt daher, dass die tatsächlichen Zahlen weit über denen liegen, die die Regierung in Teheran bekanntgibt. Demnach wären bislang lediglich 29.406 Personen mit dem Virus infiziert und 2234 Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Diesen offiziellen Zahlen zufolge ist Iran das nach Italien, China und Spanien am stärksten betroffene Land.

Aber auch das Misstrauen gegenüber Krankenhäusern ist groß. Nach Angaben der Regierung haben sich 40 Prozent aller Infizierten in den Krankenhäusern angesteckt. Vor allem in den ersten beiden Wochen der Krise, also Mitte Februar, wurden in den Krankenhäusern Ärzte und Krankenschwestern aus Mangel an Schutzkleidung infiziert und starben. Bereits nach wenigen Tagen seien in Krankenhäusern Desinfektionsmittel, Schutzkleidung, notwendige Geräte und Medikamente ausgegangen. Iran produziert zwar 70 Prozent der benötigten Arzneimittel selbst. Der Rest muss importiert werden, was aufgrund der amerikanischen Sanktionen jedoch schwierig oder gar nicht möglich ist.

Für den Zustand des Gesundheitssystems macht das Regime die Sanktionen verantwortlich. Viele Iraner halten das für glaubwürdig, da sie die Folgen der Sanktionen selbst spüren. So ist die iranische Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr nach Angaben des IWF um zehn Prozent geschrumpft, der Rial hat 50 Prozent an Wert verloren, und die Inflation stieg auf mehr als 40 Prozent. Kaum verändert haben sich jedoch die Gehälter. Wenn das Virus heute die Iraner trifft, sind sie schlechter ernährt, ihr Immunsystem ist schwächer, und für viele ist zu teuer geworden, sich medizinisch behandeln zu lassen.

Mit keinem Land ist Iran so eng verbunden wie mit China – auch das hat die Verbreitung befördert
Rohani äußerte sich am Donnerstag positiv über die Aussicht, dass die Sanktionen gelockert werden könnten, um das Coronavirus zu bekämpfen. Stattdessen verkündete die Regierung in Washington einige Stunden später jedoch neue Strafmaßnahmen gegen Mitglieder der Revolutionsgarde. Die amerikanische Regierung behauptet, die Sanktionen gegen Iran erlaubten die Lieferung medizinischer und humanitärer Güter. Die Banken sind jedoch aus Furcht vor negativen Folgen auf dem amerikanischen Markt dennoch nicht bereit, solche Lieferungen zu finanzieren, was zu einer Knappheit bei Geräten geführt hat, die nun zur Bekämpfung des Virus benötigt werden.

Auch auf andere Art haben die Sanktionen zur Ausbreitung des Virus in Iran beigetragen. Eine Folge der Strafmaßnahmen ist, dass Iran mit keinen anderen Land so eng verbunden ist wie mit China. Die meisten Passagierflüge hat Iran mit China. Zu Beginn der Corona-Krise nahmen chinesische Teams noch an Sportwettbewerben in Iran teil, etwa in Rascht am Kaspischen Meer. Rascht ist eine der am stärksten betroffenen Städte. Ihre Bewohner machen für die Verbreitung auch zurückkehrende Pilger aus dem Wallfahrtsort Qom und die Parlamentswahl am 14. Februar verantwortlich. An jenem Tag gab die Regierung, die das Virus noch bis zum Vortag geleugnet hatte, den ersten Corona-Toten aus Qom bekannt. Auch an diesem Freitag finden in Iran keine Freitagsgebete statt, selbst nicht an den beiden wichtigsten Wallfahrtsorten Qom und Maschhad.

faz.de


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