"Es gibt keine Zusammenarbeit mit Russen oder dem syrischen Regime", sagt Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik n-tv.de. Es habe lediglich Absprachen gegeben, sich in bestimmten Regionen nicht gegenseitig anzugreifen. Laut Seufert verfolgen die Kurden eine ganz eigene Agenda. "Sie wollen ihre Kantone im Norden Syriens vereinen." Die Kurden, die sich als größtes Volk ohne eigene Nation sehen, sehnen sich seit jeher nach einem eigenen Staat.
"Es gibt nur Zweckbündnisse", sagt auch Kamal Sido von der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker n-tv.de. "Die Kurden werden Machthaber Baschar al-Assad bekämpfen." Sie warteten nur darauf, dass der Zeitpunkt kommt, an dem sie auch erfolgreich sein können. Derzeit gehe es ihnen vor allem darum, die Blockade des Kanton Afrin zu durchbrechen. Die Gegend im Nordwesten Syriens ist seit nunmehr drei Jahren vom Umland abgekapselt. Im Norden blockiert die Türkei die Grenze, im Inland sehen sich die Kurden umgeben von islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front, dem Al-Kaida-Ableger in Syrien.
Es geht schlicht ums Überleben, sagt Sido. "Die Kurden nehmen lieber eine Flasche Wasser aus Washington als zehn Flaschen Wasser aus Moskau." Wenn Amerikaner und Europäer sie engagierter unterstützen würden und nicht so viel Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Türkei nähmen, sähe die Sache sicher anders aus.
Assad hat die Kurden massiv unterdrückt
Dass sich die Kurden ernsthaft mit Assad verbrüdern, wirkt tatsächlich mehr als unwahrscheinlich. Vor dem Bürgerkrieg machten sie rund 8 Prozent der Bevölkerung Syriens aus, das Regime unterdrückte sie erbarmungslos. Die herrschende alawitische Clique entzog Tausenden die Staatsbürgerschaft, verbot den Unterricht in kurdischer Sprache und unterband politische Aktivitäten. Laut Sido, der selbst in der syrisch-kurdischen Stadt Afrin zur Welt kam, waren Kurden nach den islamistischen Muslimbrüdern die häufigsten Gefängnisinsassen.
Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien 2011 gelang es den Kurden nach der Zeit der Unterdrückung, drei selbstverwaltete Regionen in Syrien zu schaffen, Cizîrê im Nordosten, Kobanê im Norden und Afrin im Nordwesten. Assad ließ sie gewähren. All seine Kräfte waren damit gebunden, den Aufstand rund um die Freie Syrische Armee (FSA) und den erstarkenden IS zu bekämpfen. Schon damals wurde den Kurden vorgeworfen, mit dem Regime zu paktieren. Die Vertreter der Opposition in Syrien wollen die Kurden auch aus diesem Grund nicht bei den Friedensgesprächen in Genf mit am Tisch sitzen sehen.
Vertreibungen sind keine Strategie
Zwar verspricht das syrische Regime nun seit einigen Monaten, dass es in einem künftigen Syrien eine kurdische Autonomie geben könnte, Seufert von der Stiftung für Wissenschaft und Politik sagt aber: "Der UN-Botschafter Syriens hat zwar gesagt, dass sein Land die Kurden prinzipiell unterstützen würde, aber dabei handelt es sich eher um einen taktischen Kniff, um die Türkei zu schwächen." Und diesen Verdacht dürften auch etliche Kurden haben.
Ankara zählt zu den vehementesten Gegnern des Assad-Regimes und fürchtet einen zusammenhängenden kurdischen Staat im Norden Syriens und damit an der eigenen Grenze. Die Türkei hat Angst davor, dass sich die seit Jahrzehnten unterdrückten Kurden im eigenen Land ermutigt fühlen könnten, selbst allzu große Ansprüche zu stellen.
Schwer wiegt der Vorwurf des türkischen Regierungschefs zu ethnischen Säuberungen. Nicht nur, weil die Kurden im Westen bislang als Kraft wahrgenommen wurden, die versucht, der multiethischen und multireligiösen Zusammensetzung der Bevölkerung in Syrien in ihren Gebieten gerecht zu werden, und zugleich für Gleichberechtigung und Demokratie steht. Schwer wiegt der Vorwurf auch, weil Davutoğlu nicht der Erste ist, der ihn erhebt. Human Rights Watch dokumentierte im Jahr 2014 etliche Verstöße gegen das Menschenrecht, darunter unfaire Gerichtsprozesse und willkürliche Festnahmen von Gegnern der dominierenden kurdischen Partei PYD, die als Ableger der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK gilt.
"Ich denke, dass es Einzelfälle von Vertreibungen in Gemeinden, die mit dem IS zusammengearbeitet haben, gegeben hat", sagt Seufert. Doch laut dem Nahost-Experten haben die Autonomieregierungen in den kurdischen Kantonen die Vorwürfe der Menschenrechtsorganisation sehr ernst genommen und Fehler eingeräumt. Die Bereitschaft, mit den Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International zusammenzuarbeiten, sei mittlerweile sehr groß. Seufert sagt: "Es handelt sich bei den bekannten Menschenrechtsverletzungen um ein Kriegsphänomen, aber keine Strategie der Kurden." Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker verweist darauf, dass von der einen Million Menschen, die im Kanton Afrin lebten, 300.000 arabisch-sunnitische Flüchtlinge seien. "Dass die PYD Minderheiten vertreibt, stimmt nicht."
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