Coronavirus nicht gefährlicher als Grippe?

  01 Mai 2020    Gelesen: 860
  Coronavirus nicht gefährlicher als Grippe?

Daran, ob das Coronavirus tatsächlich so gefährlich ist, wie befürchtet, werden immer wieder Zweifel laut. Eine neue Studie scheint nun erneut Kritikern der bisherigen offiziellen Einschätzung der Bedrohungslage Recht zu geben. Experten versuchen die Studie zu bewerten.

Seit Beginn der Corona-Pandemie wird über die Deutungshoheit der Bedrohungslage durch das Virus gestritten. Durchgesetzt haben sich bekanntermaßen jene, die diese für sehr groß halten. Und dennoch, immer wieder gibt es Auswertungen, die genau das Gegenteil zu bezeugen scheinen.

Hierzulande allen voran die sogenannte Heinsberg-Studie, deren Machart aber prompt in Zweifel gezogen wurde. Doch solange Deutschland auf flächendeckende Tests verzichtet, bleibt die Sache noch komplizierter als sie ohnehin schon ist. Würden belastbare Zahlen zur Dunkelziffer an Infizierten ermittelt, ließe sich so unter Umständen auch eine andere Risikobewertung des Coronavirus vornehmen, da eine deutlich höhere Infektionszahl auch die Zahl der bisher ernsthaft Erkrankten relativieren würde.

Doch gerade heute erst lehnte das Robert-Koch-Institut (RKI) flächendeckende Testungen auf Coronaviren erneut ab. "Wir raten weiterhin davon ab, generell alle Menschen zu testen", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Er begründete dies mit Unsicherheiten bei Menschen, die noch keine Symptome zeigten.

Nicht für jeden ist dieses Argument angesichts der getroffenen drastischen Maßnahmen und des bisher weitestgehend erfreulichen Pandemieverlaufs hierzulande einleuchtend. Ohnehin werden die Stimmen, welche die Interpretation tonangebender Wissenschaftler zur Lage bezweifeln, lauter. Und eine aktuelle Studie der Stanford University aus Kalifornien dürfte dazu führen, dass diese nicht leiser werden. Denn die Studie kommt zu dem Schluss, dass das Coronavirus nicht gefährlicher als eine normale Grippe ist. Doch wie ist das Ergebnis zu bewerten?

Wie lief die Studie von Professor John Ioannidis?

Wissenschaftler der Stanford University rund um den Gesundheitswissenschaftler John Ioannidis haben in einer Studie die Sterblichkeitsrate von Corona-Infizierten untersucht. Die Stanford-Forscher suchten dabei im Landkreis Santa Clara im US-Bundesstaat Kalifornien über Facebook Studienteilnehmer und fanden 3300 Personen, die ihr Blut auf Corona-Antikörper testen ließen.

Im Endergebnis fanden sie heraus, dass circa 4,1 Prozent der Probanden infiziert waren - das sind mehr als 85 Mal so viele wie in den offiziellen Zahlen erfasst. Nur 956 Fälle waren dort gemeldet. Neu hochgerechnet kommen die Forscher auf maximal 81.000 Infektionsfälle. Diese Zahl würde sich enorm auf die Sterblichkeitsrate in der Region auswirken. Sie läge demnach nur bei 0,12 bis 0,2 Prozent. Das entspräche tatsächlich der typischen Influenza-Sterblichkeitsrate.

Bioinformatiker sieht drei große Schwächen

Der Bioinformatiker Dr. Balaji S. Srinivasan nimmt die Studie in einem Artikel bei "Medium Science" allerdings minutiös auseinander. Er führt dort drei Schwächen auf. Erstens können Messfehler bei der Infektionsrate stattgefunden haben - er kommt in seinen Berechnungen zu dem Schluss, dass viele der positiven Antikörpertest-Ergebnisse am Ende falsch sein könnten. Zweitens sieht er nicht, dass die Stichprobe der Studie wirklich repräsentativ war. Und drittens erhöhe das Virus immer die Gesamtsterblichkeit, wie an New York City zu sehen sei. Bei einer niedrigen Sterberate von 0,12 bis 0,2 Prozent dürfte das eigentlich nicht der Fall sein.

Keine Übersterblichkeit wegen Maßnahmen?

"Die entscheidende Frage ist tatsächlich immer, wo man untersucht", sagt Dr. Georg-Christian Zinn, Direktor Hygienezentrum Bioscientia, im Gespräch mit RTL. "Wir haben in der Medizin den Begriff der Übersterblichkeit, das heißt wir schauen, wo sterben in einer gewissen Zeit wie viele Menschen", erklärt er. "Wir haben in Deutschland beispielsweise normalerweise circa 2500 Tote am Tag." Tatsächlich sei sichtbar, dass zum Beispiel in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen, das stark betroffen ist, keine höhere Todesrate im März und April im Vergleich zu anderen Jahren zu sehen sei, so Zinn.

Grund dafür sei aber eben, dass rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden. Aber der Blick nach Spanien, Italien, Großbritannien oder New York City zeige eine deutliche Übersterblichkeit. Eine große Schwierigkeit sei auseinanderzurechnen, "was ein Problem der Viruserkrankung ist und was der Überlastung des medizinischen Systems" zuzurechnen sei. Denn wenn das medizinische System überlastet sei, "dann können auch alle anderen Patienten nicht behandelt werden, zum Beispiel die mit einem normalen Herzinfarkt", so der Hygieniker.

Antikörper-Test nicht zuverlässig

Auch Virologie-Professor Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Institut für Tropenmedizin sieht die Studie von Ioannidis äußerst skeptisch. Der "Bild"-Zeitung sagt er: "Wir müssen sehr vorsichtig sein mit der Bewertung dieser Studie. Die Antikörper-Tests, die in Stanford angewendet wurden, haben Schwächen. Zum Beispiel weisen sie auch auf andere Viren aus der Corona-Familie hin, dadurch kann die Anzahl der positiven Tests größer erscheinen als sie ist." So sind vier andere Coronaviren bekannt, die dem neuen Virus ähneln, aber lediglich zu Erkältungen führen.

Der entscheidende Unterschied zur Grippe sei eben der fehlende Impfstoff und die nicht gegebene Teil-Immunität, so Schmidt-Chanasit. Anders als beim Influenza-Virus könne beim Coronavirus Sars-CoV-2 ein "Flächenbrand" entstehen.

Quelle: ntv.de, awi


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