Warum Eltern ihre Kinder nicht gleich behandeln

  19 Februar 2016    Gelesen: 914
Warum Eltern ihre Kinder nicht gleich behandeln
Man sagt, dass die Art, wie wir erzogen wurden, uns ein Leben lang prägt. Auch die Beziehung zu unseren Eltern prägt uns für immer. Meine Geschwister und ich sind der lebende Beweis dafür.
Wir sind drei Geschwister. Und haben drei verschiedene Mütter. Wir sind alle komplett anders erzogen und unser Verhältnis zu unseren Müttern ist auch völlig unterschiedlich.

Wir haben heute als Erwachsene wenig Gemeinsamkeiten - eben, weil unsere Mütter so wenig Gemeinsamkeiten haben.

Die Mutter meiner Schwester

Die Mutter meiner ältesten Schwester bekam sie relativ jung, mit 23. Sie war Kindergärtnerin und dachte, alles über Kindererziehung zu wissen. Und das musste sie natürlich auch an ihrem erstgeborenen Kind anwenden.

Meine Schwester durfte keine Barbies haben, da das ihre Oberflächlichkeit fördern würde. Sie durfte sich an Karneval nicht als Prinzessin verkleiden, da das alle anderen Mädchen sowieso taten. Stattdessen nähte ihre Mutter ihr ausgefallene Kostüme - Birnen, Ampeln oder Musiknoten - damit sie besonders aussah.

Ich denke, die Erwartungen an meine Schwester waren sehr hoch. Im Kindergarten musste sie sich benehmen, da ihre Mutter in demselben Kindergarten arbeitete. In der Schule schrieb sie auch immer gute Noten, weil sie wahrscheinlich dachte, das erwartete ihre Mutter von ihr. Meine Schwester war nie frech - und sie ist es bis heute nicht. Sie ist ehrgeizig und ausgesprochen perfektionistisch.

Gegen ihre Mutter rebellierte sie immer wieder.
Nicht nur, dass sie alles - von ihrer Kleidung über ihre Beziehung bis hin zu ihrer Arbeit - immer perfekt haben möchte. Sie möchte auch, dass alle anderen auf gar keinen Fall daran zweifeln, dass bei ihr nicht alles stimmen und zusammenpassen könnte.

Gegen ihre Mutter rebellierte sie immer wieder.

Schon als Kind warf sie sich einmal im Kindergarten vor den Augen aller anderen Mütter theatralisch zu Boden und weinte. Fast als wäre es eine Genugtuung für sie, den anderen zu zeigen, dass die nette Erzieherin ihre eigene Tochter auch nicht unter Kontrolle hatte.

Diese kleinen Akte der Rebellion hat meine Schwester selbst mit Mitte Dreißig nicht abgelegt. Ihre Mutter weiß aber auch immer alles besser. Vor allem glaubt sie zu wissen, was das Beste für meine Schwester und ihre Familie ist - und das kann meine Schwester nicht ausstehen. Das ist ein wunder Punkt.

Ich denke, meine Schwester und ihre Mutter könnten es nicht eine Woche unter demselben Dach aushalten, ohne so richtig aneinander zu krachen.

Sie liebt ihre Mutter über alles, aber sie weiß auch, dass diese Liebe sich in kleinen Dosen besser konsumieren lässt.

Die Mutter meines Bruders

Mein Bruder liebt seine Mutter auch sehr. Im Gegensatz zu meiner Schwester rebelliert er aber nie gegen sie. Ganz im Gegenteil: Er versucht ihr immer alles recht zu machen.

Seine Mutter arbeitete, als er ein Kind war, halbtags als Bibliothekarin und später als Arzthelferin. Sie hatte viel Zeit für ihn. Er war auch ein Kind, das viel Aufmerksamkeit brauchte. Nicht, weil er hyperaktiv war. Nein, weil er zu ruhig war und seine Mutter nur sehr schwer einschätzen konnte, was ihn ihm vorging.

Er verlangte nie etwas, war ein zufriedenes Kind, das am liebsten den ganzen Tag gesungen hätte.

Er war aber auch ein wenig unselbstständig. Manchmal lief er mit Löchern in den Socken herum und solange seine Mutter das nicht bemerkte, würde er sie weiter anziehen. Seine Mutter musste jeden Tag die Hausaufgaben mit ihm erledigen.

Die Mutter meines Bruders glaubt auch bis heute zu wissen, was das Beste für ihn ist. Und er glaubt auch, dass sie es am besten weiß. Als wir Kinder waren, warf ich ihm manchmal vor, ein Fähnchen im Wind zu sein, weil er immer seine Meinung änderte, sobald seine Mutter nicht seiner Meinung war.

Er stand nicht mehr hinter seinen Ansichten, sobald sie seine Mutter nicht teilte.

Er stand nicht mehr hinter seinen Ansichten, sobald sie seine Mutter nicht teilte. Das machte mich verrückt, weil er doch sonst eine so starke Person war.

Dabei hatte seine Mutter gar nicht so hohe Erwartungen an ihn. Er war in der Schule nur mittelmäßig, aber das störte sie nicht. Er durfte den ganzen Tag tun, was er wollte. Er durfte den Beruf ergreifen, den er wollte. Er durfte so lange feiern gehen, wie er wollte (im Gegensatz zu meiner Schwester, deren Mutter da viel strenger war).

Ich verstehe bis heute nicht, warum mein Bruder seiner Mutter so unbedingt gerecht werden möchte, wenn sie doch gar nichts von ihm verlangt. Sein Vater hingegen hat so viel höhere Erwartungen an ihn, mit denen er wunderbar umgehen kann und von denen er sich nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Meine Mutter

Ich habe nie das Gefühl, dass ich irgendjemandem etwas recht machen muss außer mir selbst. Meine Mutter ist sehr verständnisvoll und überhaupt nicht besserwisserisch.

Natürlich glaubt sie manchmal zu wissen, was das Beste für mich ist, aber wenn ich ihr sage, dass ich anders denke, versteht sie das auch.

Sie ist Regisseurin und ruft mich oft an, wenn sie eine Idee für die Bühne hat und meine Einschätzung möchte. Meine Meinung ist ihr wichtig. Und das spüre ich auch. Sie hat mich zu einer sehr unabhängigen Frau erzogen.

Meine Mutter und ich kamen schon immer ausgesprochen gut zurecht.
Meine Mutter und ich kamen schon immer ausgesprochen gut zurecht. Wir könnten wahrscheinlich in einer kleinen Wohnung zusammen eingesperrt sein und würden selbst nach drei Monaten noch immer harmonisch zusammenleben.

Meine Mutter gab mir alle Freiheiten. Ich hatte nie das Gefühl, gegen sie rebellieren zu müssen, denn wogegen hätte ich denn überhaupt rebellieren sollen? Ich durfte ja alles. Ich durfte mit Barbies spielen, ich durfte mich an Karneval als Prinzessin verkleiden und ich durfte feiern gehen, solange ich wollte.

Leider führte das auch dazu, dass ich mit Grenzen, die mir andere Menschen setzten, nicht unbedingt sehr gut umgehen konnte. Ich war sehr frech. Ich denke, alle meine Lehrer erinnern sich heute noch an mich als eines der aufmüpfigsten Kinder, das sie jemals unterrichtet haben.

Meine Mutter musste sich wahrscheinlich oft anhören, dass ich schlecht erzogen sei. Aber ich habe mich noch nie darum gekümmert, was andere von mir denken. Vielleicht hat mir ihre Erziehung das beigebracht.

Unsere Mutter

Meine Geschwister und ich wurden von drei verschiedenen Müttern großgezogen. Alle drei Mütter sehen ungefähr gleich aus und tragen denselben Namen. Dafür gibt es einen Grund: Es ist ein und dieselbe Frau.

Meine Mutter hat uns alle Drei großgezogen, aber sie hat jeden von uns anders erzogen und wir sind völlig andere Menschen geworden.

Ich denke, unsere Mutter wollte für uns alle nur das Beste. Aber sie hat sich weiterentwickelt. Sie hat sich beruflich weiterentwickelt, aber auch mit jedem Kind dazugelernt. Sie konnte uns gar nicht allen dieselbe Mutter sein.

Bei meiner Schwester wollte sie alles richtig machen, schließlich war sie das erste Kind. An das erste Kind, und das gibt meine Mutter heute zu, hat man aber auch gewisse Erwartungen, die es wahrscheinlich nie erfüllen kann. Meine Schwester spürt das und rebelliert immer wieder dagegen.

Mein Bruder war ihr zweites Kind. Sie versuchte keine Erwartungen an ihn zu haben - und hatte sie wahrscheinlich trotzdem unbewusst. Sie wollte nicht mehr so streng sein. Das führte vielleicht dazu, dass mein Bruder sich nie von ihr abgrenzen wollte, wie meine Schwester es immer wieder tut. Ganz im Gegenteil: Er will ihr unbedingt gefallen.

Ich glaube, dass Kinder immer einfordern werden, dass ihre Mütter sie genauso behandeln wie ihre Geschwister.

Ich warf meiner Mutter als Kind manchmal vor, dass sie meinen Bruder mehr liebt als mich. Ich wusste, dass das nicht stimmt. Aber ich verstand nicht, wieso sie ihm so viel Zeit und Aufmerksamkeit widmen musste. Heute weiß ich, wieso.

Bei mir wollte sie nicht mehr zwanghaft alles richtig, nichts mehr besser machen als zuvor. Ich war das dritte Kind. Mich nahm sie einfach, wie ich war und wie ich bin. Ich bin vielleicht die Freieste und Zwangloseste von uns Dreien geworden, aber auch die Eigensinnigste und Aufmüpfigste.

Fakt ist: Sie hat bei keinem von uns versagt. Sie hat uns alle liebevoll großgezogen. Aber als Mutter kann man nicht alle seine Kinder gleich behandeln. Das ist unmöglich. Und es ist gut so. Ich glaube, dass Kinder immer einfordern werden, dass ihre Mütter sie genauso behandeln wie ihre Geschwister.

Auf den ersten Blick scheint das nur gerecht: „Ich möchte, dass du dich um mich so sorgst wie um meinen Bruder. Warum durfte ich mich als Kind nie als Prinzessin verkleiden und meine Schwester schon?"

Aber ist es nicht schön, dass dieselbe Mutter für unterschiedliche Kinder unterschiedliche Rollen einnimmt? Sie hat sich die Mühe gemacht auf jeden von uns einzugehen und jedes Mal von vorne anzufangen.

Quelle .huffingtonpost.de

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