Aufzeichnungen aus dem Keller

  15 Mai 2020    Gelesen: 604
  Aufzeichnungen aus dem Keller

Joe Biden führt einen Wahlkampf, ohne dass es jemand im Netz bemerkt. Reicht das, um Donald Trump als US-Präsidenten abzulösen? Unter den Demokraten wächst die Nervosität.

Joe Biden steht an eine Terrassentür gelehnt, eine dunkle Pilotenbrille auf der Nase. Endlich nähert er sich der Kamera. "Bin ich auf Sendung?", fragt er. "Ja", zischt eine Stimme aus dem Hintergrund.

Wie viele Zuschauer ausgeharrt haben, um diese Szene zu sehen, ist nicht bekannt. Es müssen die Treuesten der Treuen gewesen sein. In den 37 Minuten zuvor waren demokratische Politiker mit teilverpixelten Gesichtern zu sehen, gelegentlich liefen Bild- und Tonspur nicht synchron. Mehrere Minuten lang hörten und sahen die Zuschauer gar nichts.

Man kann nicht sagen, dass Bidens sogenannte Online-Kundgebung in Florida ein voller Erfolg gewesen ist. Sie passt so gesehen zum bisherigen Wahlkampf des früheren Vizepräsidenten. Seit ihm die Kandidatur seiner Partei sicher ist, ist von Biden nicht mehr viel zu sehen.

Die Coronakrise hat den konventionellen Wahlkampf mit Kundgebungen, Town-Hall-Treffen und persönlichen Begegnungen unmöglich gemacht. Die gesamte Präsidentschaftskampagne spielt sich nur noch virtuell ab. Diese Art des Wahlkampfs ist nicht die Stärke Bidens.  

"Ein müder Kerl im Keller eines Hauses", spottete Präsident Donald Trump über die Versuche seines Herausforderers, mit Videoauftritten Profil zu gewinnen. Trump hat ein scharfes Auge für die Schwächen seiner Gegner. Seine Beschreibung schmerzt die Demokraten, weil sie trifft.

Die Versuche Bidens, einen virtuellen Wahlkampf zu führen, sind bislang eine Aneinanderreihung von Pannen. Schon sein erstes Town-Hall-Meeting im Internet Mitte März war ein "absoluter technischer Albtraum", wie die Tech-Website "The Vox" schrieb. Die Probleme mit dem Auftritt für Florida zeigen, dass die Lernkurve seines Teams in dieser Hinsicht eher flach zu sein scheint.

Biden war seinen Konkurrenten bereits während des demokratischen Vorwahlkampfs auf der digitalen Ebene unterlegen. Sein Widersacher Bernie Sanders hat 9,6 Millionen Follower auf Twitter. Biden folgen nur 5,3 Millionen. Sein Sieg über Sanders scheint nahezulegen, dass es darauf nicht ankommt. Aber der Vorwahlkampf fand überwiegend in einer Zeit statt, in der Covid-19 das Leben noch nicht bestimmte.

spiegel


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