„Wenn Deutschland die nuklearen Kapazitäten verringern und die Nato schwächen will, könnte vielleicht Polen sie beherbergen, das seinen gerechten Anteil zahlt, die Risiken versteht und an der Ostflanke der NATO liegt“, schrieb sie auf Twitter.
Über die Gründe und möglichen Folgen dieser Twitter-Äußerungen hat der Sputnik-Korrespondent in Polen, Igor Stanow, mit dem polnischen Politologen Dr. Mateusz Piskorski gesprochen.
- Eine kurze Äußerung von Georgette Mosbacher auf Twitter hat eine ernsthafte Krise in den internationalen Beziehungen ausgelöst. Könnte man auf diese Weise tatsächlich politische Krisen provozieren?
- Man könnte vermuten, dass die Äußerung der US-Botschafterin in Polen nicht zufällig war. Das ist ein Element einer bewussten Informationskampagne, die von Washington konzipiert wurde. Die Wahl des Mittels zur Verbreitung der eigenen Meinung ist eine Frage des Stils. Soweit ich verstehe, übernehmen US-Staatsbedienstete gerne die Gewohnheiten Trumps und nutzen Twitter als wichtigstes Instrument der Kommunikation mit der Welt.
Deswegen ist die Reihenfolge der Ereignisse leicht nachzuvollziehen. Zunächst entsteht in Deutschland unter den Sozialdemokraten eine Diskussion über die weitere Teilnahme am US-Programm Nuclear Sharing, das mit dem Ankauf der Kampfjets Super Hornet verbunden ist. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte in einem Interview für die deutsche Presse ganz eindeutig: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil.“ Nicht alle seine Parteikollegen teilen diese Meinung, doch die Mehrheit der führenden Politiker unterstützt ihn. Doch ihr größerer Koalitionspartner – die CDU von Angela Merkel – ist gegen die Abrüstung. Auf diese Erklärungen reagierte der bereits durch mehrere Skandale bekannte US-Botschafter in Deutschland und auch der kommissarisch amtierende Direktor der US-Nachrichtendienste, Richard Grenell, auf Twitter. Als Trumps Vertrauter sagte er, dass Polen und baltische Länder die loyalsten Partner Washingtons in Europa seien.
- Und schon dann hat sich Georgette Mosbacher eingemischt?
- Genau. Das war die letzte Etappe der US-Kampagne, die die deutschen Sozialdemokraten diskreditieren soll. Das alles wurde vom amtierenden Chef der US-Nachrichtendienste koordiniert.
- Wie hat man Mosbachers Äußerung in Polen wahrgenommen?
- In einem normalen Land wäre der Botschafter nach einer solchen Veröffentlichung sofort ins Außenministerium bestellt worden, um zu erklären, warum er sich im Namen Polens, der polnischen Behörden geäußert habe. Doch in Warschau wagte das niemand. Es gab komplette Funkstille, einige regierungstreue Medienreagierten begeistert auf diese Äußerung. Es stellt sich eine wohl rhetorische Frage: Wer steht in Polen an der Macht? Wer trifft Entscheidungen und gibt Erklärungen zu strategischen Fragen ab? Das ist nicht die Regierung bzw. der Präsident, sondern die US-Botschaft in der Warschauer Piekna-Straße.
- Gab es schon früher solche Vorfälle?
- Ich erinnere mich an einen Vergleich, der mit Polens Position zu den Atomwaffen verbunden ist. Außenminister Adam Rapacki schlug 1957 bei einem Treffen der Vereinten Nationen die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa vor. Das war die Zeit des Kalten Krieges, doch Polen verfügte damals über viel Unabhängigkeit und konnte solche Vorstöße wagen. Das war unser Beitrag zur Geschichte der Abrüstung. Rapacki war vor dem Krieg polnischer Sozialist, Ökonom und ein hervorragender Denker. Heute wird Warschaus Position beim Thema Atomwaffen in unserer Region von der Botschafterin eines anderen Staates, einer Geschäftsfrau in der Kosmetikindustrie und Autorin von Büchern mit Titeln wie „Wie man einen Reichen heiratet“ formuliert. Das ist das beste Beispiel des Verfalls der polnischen Politik. Es wäre ja sogar komisch gewesen, wenn es nicht so traurig wäre.
- Der Tweet der US-Botschafterin wurde weltweit mehrfach kommentiert. Was halten Sie in diesem Zusammenhang für wichtig?
- Eine mögliche Stationierung von US-Atomwaffen in Polen ist nicht gegen Marsbewohner bzw. Terroristen, sondern gegen die Russische Föderation gerichtet. Ich wurde auf den Vergleich des Senators Alexej Puschkow aufmerksam. Er sagte, dass Washington und Warschau die Kubakrise 1962 wiederholen wollen. Sie schaffen eine direkte Sicherheitsbedrohung in Europa. Die Amerikaner besorgt das anscheinend nicht, weil das ein Risiko für das ferne Polen ist. Doch die polnischenRegierenden bringen mit ihrem Schweigen, der fehlenden Reaktion, dem ständigen Einknicken vor den USA die eigenen Bürger und die Existenz ihres Landes in Gefahr.
- Aproros, sind US-Raketenanlagen in Redzikowo bereits stationiert?
- Dort befinden sich eine US-Einheit und ihr Kommando. Doch der Stützpunkt wurde wegen Problemen mit dem Auftragnehmer und Verzögerungen nicht in Betrieb genommen. Dieser Auftragnehmer hielt sich nicht an den Fristen und sorgte damit ungewollt für die Sicherheit Polens. Er verzögert wohl unbewusst den Aufbau derAnlagen, die eine reale Gefahr für die Einheimischen im Falle eines Konflikts darstellen. Vielleicht wird dank solchen polnischen Auftragnehmern die Erfüllung der Pläne Mosbachers und ihrer Führung, die ständig gegen die Russland-Nato-Grundakte von 1997 verstoßen, unmöglich sein. Gut, wenn dem so wäre.
Debatte über US-Atomwaffen in Deutschland
In Deutschland dauert seit Wochen ein Streit über die Stationierung amerikanischer Atomwaffen im Land an. Prominente SPD-Vertreter wie Fraktionschef Rolf Mützenich fordern den Waffenabzug, die CDU bleibt aber kategorisch dagegen.
In einem Interview mit dem Tagesspiegel forderte Mützenich Anfang des Monats, Deutschland solle die Stationierung von US-Atomwaffen „künftig ausschließen“.
Die SPD-Spitze stellte sich hinter den Vorstoß Mützenichs. Parteichef Norbert Walter-Borjans sagte dazu laut der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“:
„Ich vertrete eine klare Position gegen Stationierung, Verfügungsgewalt und erst recht gegen den Einsatz von Nuklearwaffen.“
Deshalb lehne er es ab, „Nachfolger für die Kampfflugzeuge zu beschaffen, die für den Einsatz als Atombomber vorgesehen sind“.
Die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer reagierte auf die SPD-Forderung eines Abzugs der US-Waffen aus Deutschland mit heftiger Kritik.
"Solange es Staaten mit Atomwaffen gibt, die nicht zu unserer Wertegemeinschaft gehören wollen, brauchen wir eine starke Verhandlungsposition", erklärte sie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
sputniknews
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