In einem überwiegend von Holocaust-Überlebenden bewohnten Altenheim in Tel Aviv scheint der Alltag einzukehren. Seitdem die israelische Regierung nach Ausbruch des Coronavirus den älteren Teil der Bevölkerung als Risikogruppe weitgehend unter Hausarrest gestellt hatte, haben die meisten Senioren den Gebäudekomplex kaum verlassen. Mittlerweile darf man sich in Israel wieder frei bewegen und auch Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen haben geöffnet.
"Wir lebten in Quarantäne," erzählt der 87-jährige Menachem Caro, der die Grauen des Konzentrationslagers Auschwitz miterlebt hat. "Wegen Berührungsängsten und Ansteckungsgefahr hatten wir kaum Kontakt. Die fehlenden Spaziergänge sowie das Fernbleiben der Familie führten bei vielen zu Einsamkeit."
Der aus Thessaloniki stammende Caro ist optimistisch, dass das Coronavirus vorübergehen wird. Er glaubt aber, dass die Welt danach eine andere sein wird. "Zwar wird weltweit nach einem Impfstoff geforscht, doch die Menschen werden im Umgang miteinander vorsichtiger sein." Nicht nur Pflege- und Altersheime wurden von der Epidemie schwer getroffen. Bei vielen Menschen wird auch nach der Corona-Krise ein Trauma bleiben und nicht wenige werden sich vor Körperkontakt und Berührungen im öffentlichen Raum in Acht nehmen.
Erste Anzeichen für einen Wandel gibt es bereits: Um der Gesellschaft das Leben nach dem Virus erträglicher zu machen, verkündete das in Haifa ansässige Startup Sonarax, dass es demnächst eine berührungslose Technologie anbietet, um bei der physischen Distanzierung zu helfen. Die Technologie des Unternehmens ermöglicht es verschiedenen mobilen Geräten, über Schallwellen zu kommunizieren.
Schall, um Daten zu übertragen
"Wir haben einen sehr spezifischen Algorithmus entwickelt, der die Übertragung von Daten über Ultraschallwellen ermöglicht," sagt Nimrod May, Kommunikationsleiter bei Sonarax. "Die Technologie funktioniert auch unter der Erde und im Flugzeug. Sie nutzt keine elektromagnetischen Strahlungen, sondern benötigt nur Schall, um Daten zu übertragen."
Dabei werden die Daten codiert und in Schallwellen umgewandelt - außerhalb des menschlichen Hörbereichs. Zusätzliche Algorithmen reduzieren das Rauschen, löschen das Echo und ermöglichen die Richtungs- und Entfernungsfilterung, sodass die Technologie auch dann effizient eingesetzt werden kann, wenn andere störende Signale und Geräusche in der Umgebung sind.
Die Algorithmen sind in einem SDK (Software Development Kit) enthalten, das von allen Betriebssystemen unterstützt wird und nicht viel Speicher und Rechenleistung erfordert. Damit der Datenaustausch funktioniert, muss das SDK "auf beiden Seiten" eingebaut werden. Das Mobiltelefon braucht nur die benötigte App. Verschlüsselte Daten werden bei der Übertragung sicher aufbewahrt, da die Codierung in Schallwellen die Verschlüsselung selbst nicht beeinflusst.
Aufzug ohne Berührung holen
"Die Technologie würde eine sicherere Arbeitszone ermöglichen," erklärt May. "Um das Bürogebäude zu betreten, müsste man nur sein Smartphone am Zugangskontrollgerät vorzeigen." Auch, um den Aufzug zu bestellen oder die Zeiterfassung zu aktivieren, reicht der Griff zum Smartphone. Schallwellen messen Entfernung und Positionierung und somit können Audiosignale automatisch kommunizieren, sobald der Lautsprecher des Telefons aktiviert ist. May glaubt, dass die neue Technik helfen wird, wenn sich Menschen im Zuge der Corona-Pandemie mit ihrer physischen Umgebung neu arrangieren müssen. "Da wir uns der potenziellen Gefahren des Drückens verschiedener Tasten bewusster sind, wird das Smartphone zur dritten Hand."
Überhaupt hat die Covid-19-Krise einen Aufschwung bei innovativer Technologie verursacht. Weltweit wird nach Lösungen geforscht, die früher oder später Teil unseres täglichen Lebens werden. "Die erste Innovationswelle nach Corona wird das Bestreben sein, aus Angst vor Infektionen an öffentlichen Orten nichts zu berühren," sagt Oren Zuckerman, vom Institut für Kommunikation des Interdisciplinary Center in Herzlia. Der Wissenschaftler prognostiziert, dass neue Technologien alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens beeinflussen werden. "Nach der Pandemie ist eine Technologie erforderlich, welche den Kontakt im öffentlichen Raum verhindert, zum Beispiel eine Taste mit Lichtsensor, die man mit einer Körpergeste, einer Stimme oder einem automatisierten Mechanismus bedienen kann. Oder auch neue Entwicklungen in der Sprachkommunikation wie bei Alexa oder Google Home."
Die Annäherung von Mensch und Technologie ist nicht neu. Seit Jahren versuchen Forscher, die Beziehungen mit Maschinen zu vertiefen. "Es gibt viele Studien auf diesem Gebiet," erklärt Zuckerman. "Aus dieser Perspektive können wir aufgrund sozialer Distanzierung etwas Interessantes erwarten."
Technologie könnte Umarmung ersetzen
Für ihn wird sich die nächste Innovationswelle auf die gesellschaftliche Isolation konzentrieren, mit Folgen für die Kommunikation untereinander. Da der Mensch physischen Kontakt gewohnt ist, wird die Technologie das Fehlende ausfüllen, um ein Gefühl der Intimität zu erzeugen. "Neue Technologien werden auf uns zukommen, wie etwa das Ersetzen einer Umarmung oder das Händeschütteln," erzählt Zuckerman. "Bluetooth würde erkennen, dass jemand auf eine Person zugeht und das Smartphone eine Animation anzeigen, als würden wir uns die Hand geben."
Zuckerman glaubt nicht, dass die Menschen den Wunsch nach sozialer Interaktion verlieren werden: "Die Gesellschaft wird noch mehr computergestützte Technologie wie bei Whatsapp für die Unterhaltung von Angesicht zu Angesicht sehen. Sogenannte nonverbale Kommunikationen wie Emojis könnten diese Bedürfnisse ersetzen."
Menachem Caro begrüßt die Innovationen für das Leben nach Corona. Als Ingenieur war er bis zur Pensionierung für die israelische Flugzeug- und Raketenbaufirma Israel Aerospace Industries tätig. "Ich war schon früher davon überzeugt, Mensch und Roboter näherzubringen. Und nach Covid-19 werden wir noch mehr auf Technologien angewiesen sein." Auf gesellschaftlichen Kontakt und Nähe will er aber dennoch nicht verzichten. "Die stärkste Energie im Universum ist die Liebe und die ist nicht durch Maschinen ersetzbar."
Quelle: ntv.de
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