Friedliche Demonstranten, die mit Tränengas und Gummigeschossen bekämpft werden, Soldaten in den Straßen der amerikanischen Hauptstadt, Ausgangssperren - ehemalige US-Geheimdienstler fühlen sich von solchen Bildern an die Staaten erinnert, in denen sie sonst für die USA Chaos und Demokratie-Zerfall aufdecken. "So etwas passiert in Ländern vor dem Kollaps", diese Art von Gewalt habe sie gesehen, sagte Gail Halt, ehemals für die Central Intelligence Agency (CIA) in China und Südostasien tätig, in US-Medien. "Das macht mich wirklich fassungslos." Ein Ex-Kollege verglich auf Twitter das brutale Vorgehen von US-Präsident Donald Trump gegen Protestierende mit dem von Despoten wie den Saddam Hussein oder Bashar Al-Assad. Gail Halt fasst zusammen: "So verhalten sich Alleinherrscher."
Ist dem US-Präsidenten jegliches Maß abhanden gekommen? Beißt er um sich wie ein angeschossenes Tier? Und vor allem: Ist für einen Präsidenten, der sich vor dem Zorn der eigenen Bevölkerung im Bunker verstecken muss, das Ende der politischen Karriere, sprich die baldige Abwahl, gesetzt?
Keineswegs, auch wenn die Umfrageergebnisse ihn derzeit hinter dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden zurückgefallen zeigen. Trumps Handeln, seine die Aggressionen noch anstachelnden Twitter-Posts mögen kopflos erscheinen, doch sie sind Kalkül. "I bring rage out, I always have", sagte Trump - "Ich bringe Zorn hervor, das habe ich immer getan." Interessant ist der Moment, in dem dieser Satz fiel: Es war ein Interview der "Washington Post", und geführt wurde es im Wahlkampf vor vier Jahren.
"He made America hate again"
Schon damals, als Trump noch nach der Macht strebte und sie noch nicht besaß, war ihm bewusst, das Polarisieren und Entzweien immer seine Strategie sein würde, dass es ihm im Blut liege. Als ihn die Republikaner zu ihrem Kandidaten machten, versprach er in seiner Dankesrede, der "Gewalt in unseren Straßen und dem Chaos in den Gemeinden" ein schnelles Ende zu bereiten. In diesem Satz zeigt Trump einen Blick auf sein Land: düster und voll Verachtung. Genau zu diesem Zustand lässt er es seitdem hinsteuern. Oder, wie ein US-Kommentator jüngst bilanzierte: "He made America hate again."
Was daran Kalkül ist? Die Republikanische Partei hat jahrzehntelang damit Erfolg gehabt, die Demokraten als zu lasch darzustellen, besonders in der Bekämpfung der Kriminalität. Folgende Drohkulisse wurde immer wieder aufgebaut: Wenn die Demokraten an die Macht kommen, steigt die Kriminalität, gleichzeitig werden Gesetze verschärft, und die Regierung nimmt dem braven Mann die Waffen weg.
"Ensprechend wirft Trump den demokratischen Gouverneuren nun vor, dass sie zu schwach auf die Plünderungen und die Gewalt reagieren", sagt der USA-Experte Simon Wendt von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Er warnt praktisch seine konservativen Anhänger: Wenn ich nicht wiedergewählt werde, dann bekommt ihr diese Zerstörung und diesen Krawall." Auf Fox News kann sich seine Klientel allabendlich davon überzeugen, wie Randalierende ihr Land bedrohen.
Dass Trump als Brandbeschleuniger einen großen Teil der amerikanischen Bevölkerung gegen sich aufbringt, nimmt er hin. Was scheren ihn die Liberalen, die Demokraten, die Unabhängigen? Dort sind für Trump ohnehin keine Stimmen zu holen.
Es geht nicht ums Überzeugen, sondern ums Mobilisieren
Auch viele Konservative verurteilen den Mord an George Floyd, doch aus ihrer Sicht ist es ein Einzelfall, nicht überzubewerten. Und schon gar kein Grund, um Feuer zu legen und Privateigentum zu zerstören. Angesichts solcher Ausschreitungen wünschen sie sich die harte Hand der Regierung. Trump erfüllt diese Erwartung und zeigt, dass er der "Law and Order"-Präsident ist, der für Recht und Ordnung.
So stehen die Lager fest und weichen keinen Zentimeter von ihrer Überzeugung ab. Damit steht ebenfalls fest, dass es in diesem Wahlkampf nicht darum geht, jemanden von sich zu überzeugen. Entscheidend ist ausschließlich, wie viele der ohnehin Überzeugten man mobilisieren kann, auch zur Wahl zu gehen. 2016 lag die Wahlbeteiligung bei rund 60 Prozent. "Der 'Turn-Out' - die Beteiligung - ist das Zauberwort", sagt Wendt. "Je mehr Öl Trump ins Feuer gießt, desto größer wird die Chance, dass er viele seiner bisherigen Wähler und auch viele Nichtwähler, die sich ihm aber ideologisch nahe fühlen, mobilisieren kann, im November für ihn zu stimmen."
Vor diesem Hintergrund ergibt es Sinn, dass Trump im Sommer 2017 vor Polizisten in Uniform erklärte, die derzeitigen Gesetze seien "komplett dafür gemacht, den Kriminellen zu schützen, nicht den Polizisten". Er bemühte sich, das Vertrauen der Beamten in den Staat, dem sie dienen, zu untergraben, Zweifel und Unmut zu säen. Anders gesagt: Er brachte Zorn hervor. Wie er es immer tut, so hatte er damals im Interview erklärt. Schließlich bat Trump die Officer darum, "bitte nicht zu nett zu sein", wenn sie es mit Gangstern zu tun hätten. Diese Bitte wurde auf dem Asphalt von Minneapolis in 8 Minuten und 46 Sekunden erfüllt.
"Es reicht nicht aus, nicht Trump zu sein"
Und nun auf die Protestierenden zugehen, in einer Fernsehansprache die Gemüter beruhigen, für Versöhnung werben? Das könnte Trump tun, aber warum? Er würde keinen, die er dort gegen sich hat, auf seine Seite ziehen. Bei den Afroamerikanern kann er ohnehin nicht viele Stimmen gewinnen. Wichtig ist die Gruppe der schwarzen Bevölkerung dennoch für die Wahlen, jedoch bei der Frage, wie viele von ihnen dem Demokraten Biden ihre Stimme geben. USA-Experte Wendt ist skeptisch: "Viele der Leute werden zurückschauen auf die letzten 20, 30 Jahre und feststellen, dass sie immer von der Polizei angehalten wurden", unabhängig davon, ob ein Demokrat oder ein Republikaner das Land regierte. "Einige der schlimmsten Morde an Schwarzen wurden während der Präsidentschaft Barack Obamas verübt. Es reicht nicht aus, nicht Trump zu sein."
So ist für den Präsidenten, auch wenn er zeitweise Schutz im Bunker sucht, das Rennen um seine Wiederwahl noch immer offen. Und in manchen Bundesstaaten können 20.000 Wählerstimmen mehr oder weniger schon darüber entscheiden, an welchen Kandidaten die Stimmen der Wahlmänner gehen werden. Hillary Clinton, die demokratische Kandidatin 2016, wurde vor der Wahl mit 70- bis 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit als zukünftige Präsidentin der USA gehandelt. Sie holte knapp 66 Millionen Stimmen, etwa drei Millionen mehr als ihr Gegner. Der amtierende US-Präsident heißt trotzdem Donald Trump. Gut möglich, dass das auch weitere vier Jahre so bleibt.
Quelle: ntv.de
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