Maddie-Ermittlern fehlen (noch) die Beweise

  05 Juni 2020    Gelesen: 738
  Maddie-Ermittlern fehlen (noch) die Beweise

Möglicherweise war die Polizei noch nie so nah dran wie jetzt, den Fall der seit 13 Jahren vermissten Madeleine McCann zu lösen. Seit dieser Woche steht Christian B. unter Tatverdacht, ein mehrfach vorbestrafter deutscher Sexualstraftäter. Trotzdem sind die Ermittler längst nicht am Ziel.

Der Fall der seit vielen Jahren vermissten Madeleine McCann steht vielleicht kurz vor der Aufklärung. Es gibt einen konkreten Tatverdächtigen, im Visier haben britische, portugiesische und deutsche Ermittler einen 43-jährigen Deutschen. Sie sind sich so sicher, dass sie damit an die Öffentlichkeit gehen. Doch das Hauptproblem der Polizei ist, dass sehr viele Indizien gegen den Mann sprechen, aber die Beweise fehlen.

Die Liste der einzelnen Punkte, die schließlich zu dem Tatverdächtigen führten, ist lang. B. lebte laut BKA zwischen 1995 und 2007 regelmäßig in Portugal an der Algarve, unter anderem für einige Jahre in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz. Die Ermittler können deshalb davon ausgehen, dass B. in der ganzen Region über gute Ortskenntnisse verfügt. Maddie, wie das Mädchen in ihrer Familie genannt wurde, verschwand am 3. Mai 2007 aus einer Ferienanlage in Praia da Luz. Das Haus, in dem B. zu diesem Zeitpunkt wohnte, ist lediglich 25 Gehminuten vom Tatort entfernt.

Klar ist auch: Der Tatverdächtige verdiente seinen Lebensunterhalt gelegentlich mit Jobs in der Gastronomie. Außerdem beging er offenbar immer wieder Straftaten, darunter Einbruchdiebstähle in Hotelanlagen und Ferienwohnungen sowie Drogenhandel. Daraus lässt sich schließen, dass er durchaus über die Fähigkeiten verfügte, sich Zugang zu einer Hotelanlage zu verschaffen. Nach Maddies Verschwinden wurden jedoch keine Einbruchsspuren gefunden, nicht zuletzt deshalb gerieten auch die Eltern des Kindes unter Verdacht. Allerdings sagten die Eltern aus, dass sie die Terrassentür nicht abgeschlossen hatten, als sie zum Abendessen gingen. Ein Einbruch war also vielleicht gar nicht nötig.

Dass B. zum Tatzeitpunkt in der Nähe war, schlussfolgern die Ermittler aus Telefondaten. Sie sehen es als gesichert an, dass er in Portugal die Telefonnummer + 351 912 730 680 nutzte. Von dieser Nummer aus wurde am 3. Mai 2007 laut BKA zu einer "tatrelevanten Zeit im Bereich von Praia da Luz" telefoniert. Die Ermittler kennen die Nummer der angerufenen Person - + 351 916 510 683 - und wissen, dass sie nicht in der Nähe von Praia da Luz war. Aber sie wissen nicht, wer diese Person ist und worum es in dem Gespräch ging. Vorläufig bitten sie die Person deshalb, sich als Zeuge zu melden. Es könnte sich aber natürlich auch um einen Mitwisser oder Mittäter handeln.

Kein DNA-Material

B. besaß während seiner Zeit in Portugal ein Auto und konnte ein weiteres benutzen. Beide Autos wurden sichergestellt. Doch weder in dem "dunkelfarbenen Jaguar XJR 6" noch in dem weiß-gelben VW T3 Westfalia konnten die Experten der Polizei genetisches Material von Maddie sicherstellen. Das kann daran liegen, dass seit einem möglichen Transport des Mädchens sehr viel Zeit vergangen ist oder, dass das entsprechende Auto sehr gut gereinigt wurde. Es kann aber auch heißen, dass das Mädchen nie in dem Auto war. Das wiederum ist nicht unbedingt entlastend, weil die Art, wie Maddie nach ihrer Verschleppung transportiert wurde, vollkommen unbekannt ist. Ein möglicher Täter könnte ein anderes Fahrzeug benutzt oder das Kind weggetragen haben. Die Ermittler wissen es einfach nicht.

Ein weiteres Indiz, das gegen Christian B. spricht, sind seine mehrfachen Verurteilungen wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Schon als 16-Jähriger wurde er im Oktober 1993 vom Amtsgericht Würzburg wegen "sexuellen Missbrauchs eines Kindes, versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes sowie Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind" zu einer zweijährigen Jugendstrafe verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Landgericht Braunschweig im Dezember 2019 wegen schwerer Vergewaltigung einer 72-jährigen US-Amerikanerin und unter Einbeziehung früherer Strafen zu sieben Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Tatort war wie in Maddies Fall die Algarve in Portugal. Christian B. wurde die Tat mit zehn Jahren Verspätung anhand einer DNA-Spur nachgewiesen. Gerade sitzt er in Kiel eine alte Haftstrafe ab, die das Amtsgericht Niebüll bereits 2011 gegen ihn verhängt hatte. Dabei ging es um Handel mit Betäubungsmitteln.

Mehrere Menschen aus B.s Umfeld berichten von seiner eindeutigen Neigung zu Minderjährigen. Ein Bekannter sagte RTL/ntv, dass B. in Braunschweig mit einer "minderjährige Freundin aus dem Kosovo" zusammenlebte. Einem "Spiegel"-Bericht zufolge fantasierte B. zudem in einem Chat über die Entführung und den sexuellen Missbrauch eines Kindes. Dies gehe aus Ermittlungsunterlagen hervor. Er wolle "etwas Kleines einfangen und tagelang benutzen", schrieb Christian B. demnach im September 2013 in einem Chat an einen Bekannten. Auf dessen Einwand, dass das gefährlich sei, entgegnete B.: "Och, wenn die Beweise hinterher vernichtet werden." Inzwischen wird B. auch mit dem Verschwinden der sechsjährigen Inga in Sachsen-Anhalt in Verbindung gebracht.

Aufgrund all dieser Puzzleteile sind die Ermittler schließlich mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gegangen und legen sich sogar soweit fest, dass sie nicht mehr davon ausgehen, Maddie lebend zu finden. Gegen B. wurde ein Verfahren wegen Mordverdachts eingeleitet. Für ein Gerichtsverfahren und vor allem für eine Verurteilung müssen jedoch gerichtsfeste Beweise vorliegen, eindeutiges DNA-Material beispielsweise, belastende Zeugenaussagen zum unmittelbaren Tatgeschehen, ein Geständnis oder die Leiche des Kindes. Das scheint bislang nicht der Fall zu sein, auch deshalb hofft die Polizei nun auf Hinweise von Zeugen, die zum Fund dieser Beweise führen könnten.

Quelle: ntv.de


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