Wähler mussten stundenlang in der Hitze Schlange stehen, viele Briefwahlunterlagen kamen nicht rechtzeitig bei den Empfängern an, und auch am Morgen nach Schließung der Wahllokale waren Hunderttausende Stimmen immer noch nicht ausgezählt. Die Vorwahlen am Dienstag in Georgia glichen einem Chaos.
Gewählt wurden nicht nur die Präsidentschaftskandidaten. In Vorwahlen sollten die Bürger auch ihre Kongress-Kandidaten bestimmen. Jon Ossoff, der bei einer viel beachteten Kongress-Nachwahl vor drei Jahren gescheitert war, konnte sich als Senatskandidat der Demokraten durchsetzen. In dem Südstaat sollen gleich zwei bislang republikanische Senatssitze verteidigt oder neu besetzt werden. Das gilt als Referendum über Präsident Donald Trump und könnte auch die Machtverhältnisse im Senat in Washington zugunsten der Demokraten verändern.
Doch der Grund, wieso am Mittwoch viele Menschen über die Wahl in Georgia sprachen, war ein anderer: Die chaotischen Zustände gaben aus Sicht vieler Kommentatoren ein Warnzeichen für die Präsidentenwahl im November. Immerhin hatten zuvor auch Staaten wie Maryland, Pennsylvania, Wisconsin und Ohio Probleme bei der Auszählung gemeldet. Fachleute rechnen damit, dass im November zumindest in einigen Bundesstaaten wieder absichtlich Wählerstimmen unterdrückt werden. Daneben könnten technische Probleme das Verfahren und die akkurate Auszählung erschweren. Wenn Wahlmaschinen nicht richtig funktionieren, wird die Warteschlange vor dem Wahllokal immer länger – dass Menschen nach Hause gehen, bevor sie ihre Stimme abgeben konnten, ist unvermeidbar. Auch die Corona-Pandemie dürfte negative Auswirkungen haben, wenn die Amerikaner im November wählen. Sollte es zu einer zweiten Ansteckungswelle kommen, könnten viele Menschen zu Hause bleiben, ohne zuvor per Brief ihre Stimme abgegeben zu haben. Auch an Wahlhelfern dürfte es dann mangeln.
Von Behinderungen profitieren meistens Republikaner
Ein Problem könnte es auch mit der Briefwahl geben. Wahrscheinlich werden mehr Menschen als zuvor wegen des Coronavirus Unterlagen für die schriftliche Stimmabgabe beantragen. Der „Washington Post“ zufolge wurden bei den Zwischen-Kongresswahlen 2018 8,2 Prozent der Briefwahlzettel nicht gezählt. Bei den meisten lag das daran, dass sie zu spät abgeschickt wurden oder die Unterlagen nicht richtig ausgefüllt waren. Wenn sich im November ein hoher Anteil nicht gezählter Stimmen ergeben sollte, könnte jede Seite versuchen, die Wahl nachträglich anzufechten. Das würde in langwierige Gerichtsverfahren münden.
Klagen über Wahlbehinderung, lange Wartezeiten und Unregelmäßigkeiten gibt es zwar fast bei jeder Wahl in den Vereinigten Staaten. Doch nur wenn das Ergebnis sehr deutlich ausfällt, werden sie auch schnell wieder vergessen.
Wahlbehinderungstaktiken nutzen bislang meist den Republikanern. Als größter Faktor gilt die Weigerung der Entscheidungsträger, den Wahltag auf einen Sonntag zu legen oder zu einem Feiertag zu erklären. Besonders viele Wähler der Demokraten sind in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen oder alleinerziehend. Sich an einem Wochentag frei zu nehmen und dann womöglich auch noch stundenlang anzustehen, ist ihnen oft nicht möglich. Manchmal öffnen Behörden auch deutlich weniger Wahllokale in armen Gegenden. Oder sie schaffen Hürden für die Registrierung, die man eigentlich unkompliziert mit dem Führerschein erledigen könnte. In den Bundesstaaten des Süden treffen Wahlbehinderungstaktiken besonders oft Arme und Schwarze. Diese Gruppen wählen mehrheitlich die Demokraten.
Viele Demokraten befürchten schon länger, dass es bei der Präsidentenwahl zu Behinderungen in großem Stil kommen könnte. Die Gefahr sei aber nicht nur, dass Menschen gezielt vom Wählen abgehalten würden. Es könne auch passieren, dass die Russen wieder versuchten, Probleme zu nutzen, um das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zu untergraben, warnte der Minderheitsführer im Senat, der Demokrat Adam Schiff.
Trump behauptete indes erst kürzlich, dass die Briefwahl faire Wahlen gefährde. Wahlzettel zu Hause auszufüllen, öffne dem Betrug Tür und Tor – der Präsident sagte das wohl wissend, dass viele Bundesstaaten das Verfahren angesichts der Corona-Pandemie vereinfachen wollen. Trump sagt auch häufig, dass viele Bürger generell Wahlbetrug begingen. Für beides gibt es keine Belege. Individueller Wahlbetrug ist nach Meinung von Fachleuten bislang kein weit verbreitetes Problem, geschweige denn eines mit schweren Auswirkungen auf den Wahlausgang. Trumps Behauptungen eignen sich jedoch, um bei den eigenen Anhängern Zweifel am demokratischen Prozess wach zu halten. Auch kann der Präsident sein Lager schon einmal auf eine eventuelle Niederlage und eine mögliche Deutung einstimmen.
FAZ.net
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