Sie wollen nur spielen - Filmkritik

  13 Juni 2020    Gelesen: 917
  Sie wollen nur spielen -   Filmkritik

Im Urlaub ins Kino gehen oder im Kino etwas über Urlaub sehen, das müssen die Menschen erst wieder lernen. Erec Behmers Film „La Palma“ ist der richtige Einstieg in den Kinosommer.

Spanisch ist eigentlich ganz leicht. Man muss nur die Laute, bei denen die Deutschen ins Zischen kommen, ein wenig abschwächen. Aus der Tugend der Zielstrebigkeit wird dann ein entspannteres „sielstrebig“, und wenn man dann noch ein lockeres „mi amor“ hinterherschiebt, wie es der „sielstrebige“ Markus tut, der als Spanier allerdings Pablo heißt, dann hat man die junge Frau gegenüber fast schon erobert. Vor allem, wenn sie eigentlich ohnehin die eigene Freundin ist, die Markus mit einem kleinen Rollenspiel ein wenig aufzuheitern versucht. Denn sie sind im Urlaub, und das ist nicht immer die leichteste Zeit für ein junges Paar in einer Periode der Ungewissheit.

Seit drei Jahren sind Markus und Sanne zusammen. Da beginnt man allmählich nachzudenken: könnte das vielleicht sogar was fürs Leben sein? Gibt es das überhaupt noch – fürs Leben? Um dem Druck ihrer Liebe ein wenig auszuweichen, spielen Markus und Sanne ein Spiel. Sie sind dann Pablo und Alba, zwei lockere junge Menschen aus Spanien. Er hat mit seiner Sielstrebigkeit ein Bananenimperium aufgebaut, sie gibt sich, als wäre sie keine kühle Nordländerin, sondern eine Señorita.

Natürlich ist keine Saison

Die Zeiten sind zwar schon ein Weilchen her, in denen Schlagersänger wie Cindy & Bert oder Rex Gildo die erotischen Ahnungen der Deutschen ins Hispanische lenkten. In Erec Brehmers Film „La Palma“ deutet sich eine gewisse, diesbezügliche Ernüchterung schon im Titel an. „La Palma“ ist die reduzierte Variante eines Palmenparadieses, quasi die Wohnzimmerpalme unter den Tropenurlauben. In der Geschichte von Markus und Sanne ist das die erste Pointe: Er hat sich bei der Buchung vertan, sie sind auf der falschen Insel gelandet, nicht in Las Palmas, wo es mit Palmen richtig abgeht, sondern auf La Palma, ein bisschen weiter westlich auf den Kanaren, ein bisschen abgelegener. Dass gerade keine Saison ist, versteht sich da fast schon von selbst.

Erec Brehmer ist Absolvent der Münchner Filmhochschule HFF. 2019 wurde „La Palma“ beim Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken entdeckt. Bis zu einem Kinostart zog es sich ein wenig hin, dann kam die Corona-Krise dazwischen, nun ist diese kleine deutsche Sommerkomödie einer der ersten Filme, die sich in die derzeit noch unübersichtliche deutsche Kinolandschaft trauen. Ein Urlaubsfilm, das hätte auch problematisch sein können, doch es zeigt sich, dass die Produktionsumstände und die Grundidee von Erec Brehmer gut in diesen frühen Sommer der tastenden Erkundungen passen: „La Palma“ ist ja nicht einfach Low Budget, die Konzentration auf zwei Figuren ist in diesem Fall dramaturgisches Prinzip und erste Pointe.

Markus und Sanne machen das Wesentliche unter sich aus. Das zweite Paar, das in Maren Ades „Alle anderen“ dazukommen musste, einem in mancherlei Hinsicht vergleichbaren Film, das zweite Paar sind Markus und Sanne sich selbst. Sie treffen zwar auch ab und zu andere Menschen, zum Beispiel den Auswanderer Rüdiger oder eine Niederländerin, die sich mit einem einsamen Laden selbständig gemacht hat. Aber zumeist sind Markus und Sanne zu zwei mal zwei, vor allem aber sind sie oft zu dritt. Denn oft will nur einer von beiden spielen, dann ist Markus Pablo, aber Sanne bleibt Sanne.

Die Szenen, die Erec Brehmer für das Paar geschrieben und mit Marleen Lohse und Daniel Sträßer inszeniert hat, verraten viel von dem Rollenspiel, zu dem eine Beziehung unter reflektierten Menschen notwendigerweise wird. Liebe wäre demzufolge nicht so sehr ein unmittelbares Gefühl, sondern ein Vermögen, so miteinander zu spielen, dass man sich jeweils mit der Inspiration dazu beschenkt. Das gemeinsame Leben wäre dann eine ständige Probe auf ein Glück, von dem unklar ist, ob es auch einmal zur Aufführung kommt. Der Urlaub aber ist eine Zeit genau dafür. Deswegen geht das dann so oft schief. Dazu kommen die ganz normalen Pannen, zu denen es in der Fremde leichter kommt. Da verlangt das Protokoll eines modernen Menschen, cool damit umzugehen. Wenn Markus also den Autoschlüssel verliert, gehen sie nicht zu Fuß zum Quartier zurück, sondern er findet eine Lösung, die ihn heldenhaft wirken lassen könnte, wäre sie nicht zugleich auch lächerlich übertrieben.

Es gibt ein sehr großes Vorbild für „La Palma“, und Erec Brehmer macht nicht die geringste Andeutung, dass er sich darauf beziehen wollte: „Viaggio in Italia“ von Roberto Rossellini erzählt von einem Paar, das sich miteinander langweilt. Ingrid Bergman und George Sanders spielen zwei Menschen aus dem Norden, die zu Füßen des Vesuv in einem archaischen Italien ihre Liebe wieder entdecken.

Bei Rossellini sind es die Ruinen von Pompeji und ein katholisches Ritual, die eine Veränderung bewirken. Von diesen Mythologien sind Markus und Sanne genau jene Epochendifferenz entfernt, die sie durch ihre Ironie verkörpern. Der Gegenstand, dem Sanne schließlich eine „Epiphanie“ verdankt, könnte trivialer nicht sein. Aber genau dieser Unterschied zwischen einer Heiligenstatue in Neapel und einer Schreibtischlampe mit „Augen“ macht aus „La Palma“ auf seine Weise auch einen kostbaren Film. Und einen guten Start in diesen Kinosommer.

FAZ.net

 


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