Kosovo-Einsatz verlängert: „Einbindung in euro-atlantische Strukturen“ - Bundestagsstreit

  19 Juni 2020    Gelesen: 582
Kosovo-Einsatz verlängert: „Einbindung in euro-atlantische Strukturen“ - Bundestagsstreit

Der Bundestag hat das Mandat für den Bundeswehreinsatz an der Nato-Mission KFOR verlängert. Während Außenpolitiker Gregor Gysi (Die Linke) die Völkerrechtskonformität des Einsatzes anzweifelt und der Kosovoveteran Jens Kestner (AfD) von einer politischen Lüge spricht, loben die restlichen Fraktionen die Arbeit der Bundeswehr auf dem Balkan.

Die Bundeswehr soll sich weiterhin an der Internationalen Sicherheitspräsenz Kosovo Force (KFOR) im Kosovo beteiligen. Der Bundestag hat am Mittwoch abschließend über einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung debattiert. Es votierten 513 Abgeordnete für den Antrag der Bundesregierung, 152 lehnten ihn ab. Es gab fünf Enthaltungen. Der Auswärtige Ausschuss hatte dabei die Annahme empfohlen.

Der SPD-Abgeordnete Josip Juratovic warnte in der Debatte vor einem Abzug der internationalen Truppe und verwies auf den weiterhin brüchigen Frieden in der Region:

„Es gibt zwar kein Feuer auf dem Westbalkan wie sonstwo auf der Welt, aber die Glut im Kosovo ist noch lange nicht ausgelöscht.“

KFOR rechtskonform?
Der Deutsche Bundestag beschloss erstmals am 11. Juni 1999, dass sich deutsche Soldatinnen und Soldaten an KFOR beteiligen dürfen. Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr ist seitdem unverändert die Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999. Die deutschen Streitkräfte würden dabei nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Nato und Vereinte Nationen) gemäß Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes handeln, heißt es in dem Papier.

Doch eine derartige völkerrechtliche Grundlage für einen Bundeswehreinsatz im Kosovo sieht der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, nicht. Dabei zitierte er in seiner Rede Teile der entsprechenden Resolution 1244, auf die sich die Befürworter des Einsatzes beziehen: „Der Sicherheitsrat … ermächtigt den Generalsekretär, … eine Übergangsverwaltung für das Kosovo bereitzustellen, unter der die Bevölkerung des Kosovo substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien genießen kann.“ Das formulierte Ziel in der Anlage I der Resolution: „… eine substantielle Selbstverwaltung für das Kosovo unter voller Berücksichtigung … der Prinzipien der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien und der anderen Länder der Region.“

So bemängelte Gysi, dass die Chancen für einen sicherheitspolitischen Neuanfang nach dem Ende des Kalten Krieges ungenutzt blieben.

„Das gilt für die NATO, das gilt für das Verhältnis zu Russland und vieles andere. Mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Restjugoslawien, mit der völkerrechtswidrigen Bombardierung Belgrads und mit der völkerrechtswidrigen Lostrennung des Kosovo begann ein Zeitalter der faktischen Abschaffung des Gewaltverbots, der territorialen Integrität der Staaten, überhaupt des Völkerrechts“.

Der Außenpolitiker und ehemalige Fraktionsvorsitzende seiner Partei erzählte von seinen Treffen mit dem damaligen Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Massud Barzani, sowie mit Carles Puigdemont, dem Präsidenten der katalanischen Autonomieregierung. Beide Politiker hätten sich bei ihren Separationsbemühungen auf Kosovo bezogen. Auch russische Politiker hätten sich bei der „Annexion der Krim“ auf das Vorgehen im Kosovo gestützt, erklärte Gysi.

Gysi: „Soll Kosovo in die Nato?“
Mit der Verlängerung des Mandats können weiterhin bis zu 400 Bundeswehrsoldaten eingesetzt werden. Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehören neben der Unterstützung der „Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multiethnischen und friedlichen Kosovos“ die Unterstützung des Aufbaus der Kosovo Security Force beziehungsweise der Kosovo Armed Forces (KAF) „und anderer Akteure im Rahmen der Sicherheitssektorreform (SSR) unter Vorbereitung der weiteren Einbindung in euro-atlantische Strukturen“, ist im Antrag der Regierung zu lesen.

„Was heißt denn das? Das Kosovo soll in die Nato? Heißt das, dass Sie die Bundeswehr da noch 50 Jahre stehen lassen, bis es so weit ist? Das ist doch alles absurd. Ich sage Ihnen: Wenn etwas im Kosovo gefährdet ist, dann sind es die serbischen Klöster und Heiligtümer, aber die kann man durch Vertrag schützen; dafür braucht man keine Soldaten. Deshalb braucht es kein neues Mandat, sondern das sofortige Ende des Bundeswehreinsatzes im Kosovo“, forderte der Linken-Abgeordnete.

Die Grünenabgeordnete Katja Keul widersprach ihrem Vorredner von der Linksfraktion. „Ja, der Luftkrieg der NATO gegen Serbien 1999 war völkerrechtswidrig, und ich persönlich hätte dem auch nie zugestimmt. Das KFOR-Mandat aber kam danach und war und ist eine internationale Sicherheitspräsenz auf der Grundlage eines geltenden UN-Mandats. Also, halten Sie doch bitte die Dinge auseinander, damit ich das nicht jedes Mal wieder für Sie tun muss“, bemängelte Keul. Heute seien noch 70 Bundeswehrsoldaten im Kosovo beratend tätig, die nur noch als Sicherheitsreserve über ein exekutives Mandat verfügen würden. Die Bundesregierung begründe die Notwendigkeit mit weiterhin bestehenden Spannungen und der Gefahr ethnischer Auseinandersetzungen, konstatierte die Politikerin. Das sei in Anbetracht der politischen Lage auch nachvollziehbar. Zwar kritisierte sie die im Mandat festgesetzte Anzahl von 400 Bundeswehrsoldaten, weil sie im Umfang nicht dem militärisch Erforderlichen entspreche. Und auch, dass die Bundeswehr im Rahmen des Mandats seit letztem Jahr auch den Aufbau kosovarischer Streitkräfte begleite, hält sie „vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich umstrittenen Parlamentsbeschlüsse“ für kritisch. „Hauptaufgabe der Bundeswehr im Kosovo bleibt aber die Unterstützung von KFOR, und die ist sicherheitspolitisch nach wie vor sinnvoll und berechtigt, sodass wir der Verlängerung auch erneut zustimmen werden“, sagte die Abgeordnete.

„Alles begann mit einer Lüge“
Die AfD-Fraktion lehnte den Antrag der Bundesregierung ab. Der AfD-Politiker Jen Kestner, der nach seiner eigenen Darstellung im Jahr 1999 und 2002 selbst als Bundeswehrsoldat im Kosovo im Raum Orahovac war, sagte in seiner Rede bezogen auf seinen Dienst: „Wir waren beseelt davon, etwas Gutes zu tun und allen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden … Wir waren überzeugt davon, dass unsere Volksvertreter politisch weise handeln und den Rahmen, welchen wir mit unserem Einsatz absichern, nutzen würden. Aber wo stehen wir nach über 20 Jahren Einsatz im Kosovo, nach über 20 Jahren KFOR? Heute wissen wir: Es begann alles mit einer politischen Lüge.“ Nun sei es an der Zeit, zuzugeben, dass die Mission Kosovo misslungen sei und dass das Kosovo ein gescheiterter Staat sei, so Kestner. „Mit aller finanziellen, militärischen und fachlichen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft haben wir es nicht geschafft, elementare Voraussetzungen für die politische und wirtschaftliche Autokratie des Kosovo zu schaffen. Jede weitere Anstrengung, das Kosovo zu einem funktionierenden demokratischen Staat zu machen, ist eine vergebliche Aufgabe“, ist der AfD-Politiker überzeugt.

Er verwies auf Umfragen, denen zufolge 74,8 Prozent der Befragten in Albanien und 63,9 Prozent der Befragten im Kosovo die Vereinigung von Kosovo und Albanien unterstützten.

„Daher haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten nicht den Wunsch nach der Unabhängigkeit der Albaner im Kosovo unterstützt, sondern das Staatsaufbauprojekt zur Schaffung des sogenannten Großalbaniens. Möchte Deutschland in die Geschichte eingehen als ein Land, welches an einer illegalen und gewaltsamen Beschlagnahme von Territorien von einem unabhängigen Staat beteiligt war, um dieses Territorium einem anderen Staat zu übereignen?“, fragte der Oberfeldwebel a.D. der Bundeswehr.

Das unabhängige Kosovo sei ein „Mekka für Kriegsverbrecher, organisierte Kriminalität und für Islamisten“, behauptete Kestner. „Die meisten Freiwilligen vom Balkan, die bei ISIS gekämpft haben, kommen aus dem Kosovo. Viele von ihnen sind nach Hause zurückgekehrt und werden nach Verbüßung symbolischer kurzer Haftstrafen durch ganz Europa reisen.“

Die bewaffnete Konfrontation zwischen albanischen Separatisten aus der Befreiungsarmee des Kosovo und der Armee und Polizei Serbiens führte 1999 zur Bombardierung Jugoslawiens durch Nato-Truppen. Am 17. Februar 2008 erklärten die kosovo-albanischen Strukturen in Pristina einseitig die Unabhängigkeit von Serbien. Die selbsternannte Republik wird von Serbien, Russland, China, Israel, Iran, Spanien, Griechenland und einer Reihe anderer Staaten nicht anerkannt.

sputniknews


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