Corona bringt Afrikas Jugend zum Umdenken -  Gesellschaft

  19 Juni 2020    Gelesen: 1409
Corona bringt Afrikas Jugend zum Umdenken -   Gesellschaft

Die Corona-Krise hat die Zukunftspläne vieler junger Afrikaner durchkreuzt: Jobs brechen weg, Schulen und Universitäten sind zu. Doch einige lassen sich davon nicht beirren und halten mit innovativen Projekten dagegen.

David Avido Ochieng kleidet sich nicht gerade unaufällig: Ein hellblau-lila Turban wickelt sich lässig um seinen Kopf. Dazu trägt er eine schwarze, mit Ornamenten bestickte Hemdbluse. Doch das wichtigste und derzeit begehrteste Modestück aus der Handwerksstube des jungen Designers ist eine Maske. Mit dem selbstgenähten Mundschutz in blau-orange bedrucktem Stoff geht der 24-jährige Kenianer durch die staubigen Straßen von Kibera, Afrikas größtem Slum in der Hauptstadt Nairobi. Er verteilt die bunten Masken - und sie gehen rasant weg. "Nicht jeder hat die Möglichkeiten, sich Masken zu nähen", sagt Ochieng zur DW. "Die meisten Menschen hier leben von der Hand in den Mund."

Maske oder Essen

Ochieng will die Ausbreitung des Corona-Virus in seiner Community eindämmen. Aufträge für sein 2017 gegründetes Modelabel "Looks like Avido" bleiben wegen der aktuellen Lage aus. Deshalb sein neues, durch Spenden und Hilfsgelder finanziertes Projekt. 5000 Masken hat er bereits in seiner Nachbarschaft verteilt. Sein Ziel: 1000 Masken täglich unter die Leute zu bringen. In seiner Nähstube hat er 17 Frauen und Teenager angelernt. Ihre Scheren flitzen jetzt schnell über die bunten Stoffe. Bei 700.000 Bewohnern in Kibera sei der Bedarf groß, sagt David Ochieng. Die meisten Menschen müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Eine Maske gegen das Virus ist da purer Luxus. "Eine Familie muss überlegen: Maske oder Essen, wofür gebe ich das wenige Geld aus. Also verteile ich sie gratis", sagt Ochieng.

Der junge Unternehmer ist nur einer von vielen jungen Menschen in Afrika, die sich in der Corona-Pandemie umorientieren. Wegen der Krise können sie nicht mehr in einer anderen Stadt studieren. Oder die Arbeitsstellen, die ihnen bereits zugesagt wurden, nicht antreten. Das hat Folgen: In Ghana ist laut Berichten die Zahl der jungen Menschen gestiegen, die an Depressionen leiden. In Liberia fürchten Schüler und Eltern, dass die Prüfungen in diesem Jahr schlecht ausfallen, weil durch geschlossene Schulen kaum Vorbereitung möglich ist. Die Sorge ist nicht unbegründet: Als während der Ebola-Pandemie schon einmal der Unterricht ausgefallen war, fielen danach 52 Prozent der teilnehmenden Schüler durch die Abschlussprüfung, die Bestnote "Division 1 pass" wurde landesweit kein einziges Mal erreicht.

Schwache sind stärker betroffen

Gerade der Bildungsbereich sei von der Krise besonders betroffen, sagt Alexander Schischlik von der UN-Bildungsorganisation UNESCO. Seit Monaten fällt der Unterricht in vielen Ländern aus. Online-Kurse sind keine Alternative, weil viele Schüler keinen Zugang zum Internet haben. "Millionen junger Leute sind betroffen. Dabei geht es nicht um diejenigen, die Smartphones haben und Zugang zum Internet haben. Sehr betroffen sind die schwächeren Gruppen in der Gesellschaft", sagt Schischlik im DW-Interview. Die Krise beschere den Ländern sozialwirtschaftliche Einbrüche enormen Ausmaßes. "Besonders der informelle Sektor ist stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Die kleinen Jobs können nicht mehr finanziert werden", betont er. Junge Unternehmer brächten sich mit lokalen Lösungen für die durch Corona entstehenden Probleme ein.

Allerdings wirkten sich die drastischen Ausgangssperren laut Schischlik deutlich auf die Gesundheit vieler junger Leute aus: "Der mentale Stress ist enorm, das sind besorgniserregende Nachrichten." Allerdings gingen viele junge Menschen auch kreativ mit der Krise um. Zum Beispiel die Studenten, die an der Universität Nairobi ein Beatmungsgerät entwickelt haben oder auch junge Initiativgruppen, die ihre Nachbarn und sozialen Brennpunkte mit Essen versorgen oder genähten Masken versorgen.

Aus der Komfortzone ausbrechen

Auch in Südafrika sind viele Menschen wegen der strengen Ausgangssperren arbeitslos geworden. In Soweto, dem Zusammenschluss der Townships im Südwesten Johannesburgs, steht Lethukuthula Khoza vor seinem geschlossenen Souvenirladen. Normalerweise strömen Touristen in Scharen in den berühmten Bezirk, in dem einst Nelson Mandela lebte. "Es kommen keine Besucher mehr her. Wem sollen wir jetzt etwas verkaufen?", fragt der junge Ladenbesitzer im DW-Interview. "Ich glaube, unser Geschäft bricht zusammen. Das macht mir Angst. Ich habe einen Sohn - wie soll ich ihn ernähren?"

Staatliche Unterstützung gebe es nur für größere Firmen. Aber Khoza will sich durch das Virus nicht unterkriegen lassen. Die Krise hat ihn zum Umdenken gezwungen: "Ich habe viel in dieser Zeit gelernt, besonders, dass man aus seiner Komfortzone herauskommen und versuchen muss, aus dem Nichts etwas zu machen. Es geht in erster Linie darum, sich an die neue Situation anzupassen." Khoza versucht seither, seine Souvenirs über das Internet zu verkaufen - leider noch mit mäßigem Erfolg.

Besser läuft es für die Yogalehrerin Tidimalo Sehlako in Johannesburg. Auch sie ist in der Corona-Zeit kreativer geworden. Bereits seit vier Jahren gibt sie digitalen Yoga-Unterricht. Seit der Krise sind die Teilnehmerzahlen in die Höhe geschnellt: Täglich machen 1000 Leute mit. Für den Kurs selbst zahlen sie nichts. Geld verdient sie mit ihrem Modelabel, dessen Kleidung sie während der Übungsstunden trägt - und die nun von mehr potenziellen Käufern gesehen wird.

Deutsche Welle


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