Elend der Lieferkette: Bangladeschs Textilindustrie

  19 Juni 2020    Gelesen: 893
Elend der Lieferkette: Bangladeschs Textilindustrie

Bangladeschs Textilhersteller leiden unter den Stornierungen westlicher Modehäuser. Deutsche Firmen weisen jede Schuld von sich.

Seit Beginn der Coronakrise in Europa hat Rubana Huq in öffentlichen Aufrufen mehrfach darum gebeten, vor lauter Lockdown-Sorgen nicht die Millionen Menschen zu vergessen, die in Bangladesch davon leben, Textilien für die Welt zu produzieren.

Die Präsidentin des Verbands der Textilhersteller und -exporteure in Bangladesch (BGMEA) warnte vor dramatischen Auswirkungen, sollten Modeketten ihre Aufträge stornieren.

Die Europäische Union hat daraufhin ein Hilfspaket für betroffene Textilarbeiterinnen aufgelegt, für das Huq "sehr dankbar" ist.

Extrem abhängig

Doch der Schaden ist immens. Die Stornierungen, unter denen die Hersteller ihres Verbands zu leiden haben, belaufen sich auf 3,2 Milliarden US-Dollar (2,8 Mrd. Euro). "Rund die Hälfte der Stornierungen kommen aus Europa", so Huq zur DW. "Angesichts unserer langen Handelsbeziehungen mit der EU ist das sehr bedauerlich."

Bangladesch ist extrem abhängig von seiner Textilbranche: Sie sorgt für mehr als 80 Prozent aller Exporte des Landes. Zum Vergleich: Die für Deutschland so wichtige Autoindustrie macht weniger als 20 Prozent der deutschen Exporte aus.

Rund vier Millionen Menschen arbeiten in der Textilindustrie Bangladeschs, die meisten davon sind Näherinnen. "Seit März mussten bei uns 179 Textilfabriken schließen", sagt Huq. "Vielen weiteren droht die Pleite."

Die Schließung von Läden in europäischen Ländern war auch für westliche Textilkonzerne und Kaufhäuser ein harter Schlag, das weiß die Verbands-Präsidentin  in Bangladesh. "Wenn aber Aufträge mitten im Bearbeitungsprozess einfach storniert werden, wie es bei uns oft passiert ist, dann ist das einfach unfair."

"Kompromisse auf beiden Seiten"

In der deutschen Textilbranche ist man sicher allerdings keiner Schuld bewusst. "Stornierungen in großem Umfang trifft auf unsere Mitglieder nicht zu", so eine Sprecherin von German Fashion, dem Verband der deutschen Modeindustrie, auf Anfrage der DW.

Die meist mittelständischen Unternehmen des Verbandes hätten "in der Regel seit vielen Jahren enge Beziehungen zu ihren Produzenten", so die Sprecherin weiter. "Hier finden nach wie vor viele Gespräche zwischen Hersteller und Handel statt, da das Problem nur gemeinsam und mit Kompromissen auf beiden Seiten gelöst werden kann."

Auch bei "textil + mode", dem Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, will man von großen Stornierungen nichts wissen. Man sei sich "der Verantwortung in den Produktionsländern sehr bewusst", so eine Sprecherin zur DW, und setze auf "partnerschaftliches Vorgehen und gegenseitiges Entgegenkommen".

"Schlag ins Kontor"

Die Kaffee-Kette Tchibo, die in ihren zahlreichen Filialen auch günstige Textilien anbietet, lässt viel in Bangladesch produzieren. Als man im März "quasi über Nacht europaweit 1000 Filialen schließen" musste, sei das "ein ziemlicher Schlag ins Kontor" gewesen, sagt Konzernsprecher Arndte Liedtke der DW.

Trotzdem sei es für das Unternehmen wichtig, "gerade in der Krise ein fairer und langfristiger Partner" zu sein, so Liedtke. "Für uns war deshalb klar: die Produkte, die geliefert werden, nehmen wir auch so ab - zu den Konditionen, die vereinbart waren." Außerdem bestelle man bereits Ware für das nächste Jahr, "weil Liefersicherheit für die Produzenten vor Ort ein ganz wichtiger Aspekt ist".

Rubana Huq kann die Angaben des Tchibo-Sprechers bestätigen, in der Datenbank der BGMEA finden sich keine Hinweise auf stornierte Zahlungen oder unbezahlte Ware.

Kik und C&A

Anders bei Kik, Deutschlands größtem Textildiscounter. Das zur Tengelmann-Gruppe gehörende Unternehmen macht in europaweit mehr als 3500 Filialen einen Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Euro. Bangladesch ist noch vor China das wichtigste Herstellerland für Kik.

"Kik hat laut unserer Datenbank Waren im Wert von 96.000 US-Dollar storniert", sagt Huq. "Außerdem wurden Waren im Wert von 9,26 Millionen Dollar zurückgestellt."

Bei Kik hält man das für kein schlechtes Ergebnis. Im Zuge der Corona-Pandemie habe das Unternehmen bei seinen Lieferanten "kaum Stornierungen" gemacht, teilt ein Sprecher der DW auf Anfrage schriftlich mit. "Die Quote liegt aktuell bei 1 Prozent."

Auch für die Kaufhauskette C&A mit ihren 2000 Filialen ist Bangladesch der wichtigste Textilproduzent. Ein Sprecher sagt, der Vorwurf massiver Stornierungen sei "nicht korrekt".

"Nach Ausbruch der Krise hatten wir als vorbeugende Sofortmaßnahme unsere Lieferanten aufgefordert, die Produktion auszusetzen", so der Sprecher zur DW, "da wir durch die Schließung sämtlicher unserer europäischen Filialen keine ausreichende Möglichkeit des Verkaufs mehr hatten."

Bereits fertiggestellte Ware sei "natürlich" abgenommen und bezahlt worden. Andere Bestellungen seien inzwischen "fast ausnahmslos wieder aktiviert", so der Sprecher weiter. "Insgesamt haben wir mittlerweile 97 Prozent der vor der Krise ausgesprochenen Bestellungen abgenommen und deren Bezahlung garantiert."

50 Prozent Preisnachlass?

Laut Rubana Huq vom Textilherstellerverband Bangladeschs sind Stornierungen nicht das einzige Problem. "Viele Einkäufer haben auch Preisnachlässe von 20 bis 50 Prozent gefordert."

"Preise wurden nicht neu verhandelt und es wurden keine Rabatte verlangt", teilt C&A mit. Und auch Kik betont, das Unternehmen habe "bei keinem seiner Lieferanten Rabatte gefordert".

Gefragt, mit welchen Firmen Hersteller in Bangladesch die größten Probleme haben, nennt Verbandspräsdentin Huq neben der irischen Kette Dunnes die britischen Firmen ASDA, Arcadia, Sainsbury's und Edinburgh Woollen Mill Group (EWM), zu dem auch die britische Kette Peacocks gehört.

Mit EWM habe ihr Verband bisher erfolglos versucht, eine Lösung zu finden. Das Unternehmen ist im Besitz des in Dubai lebenden britischen Milliardärs Philip Day.

"Wir haben uns sehr bemüht, aber von der anderen Seite gab es fast keine Anzeichen von Kooperationsbereitschaft", sagt Huq.

Auf eine Anfrage der DW hat EWM nicht geantwortet.

Solidarität und Insolvenz

Bei Euratex, dem Dachverband der europäischen Textil- und Modeindustrie, weiß man, wie sehr auch europäische Firmen unter der Coronakrise leiden.

Der Umsatz der Branche sei um 50-60 Prozent eingebrochen, sagt Euratex-Generaldirektor Dirk Vantyghem, für das Gesamtjahr erwarte man ein Minus von 30 Prozent. "Das entspricht 50 Milliarden Euro, so etwas gab es noch nie", so Vantyghem zur DW.

Dennoch hält er das Verhalten einiger Firmen für inakzeptabel und fordert zur "Solidarität entlang der gesamten Wertschöpfungskette" auf. "Wir ermutigen die großen Handelsketten, ihre Bestellungen auch zu bezahlen."

Das liege auch im Interesse der westlichen Firmen, fügt er hinzu. "Wir müssen die langfristige Stabilität von Ländern wie Bangladesch im Blick behalten."

Dem kann Rubana Huq nur zustimmen. Doch sie sieht bereits neue Probleme aufziehen: die Pleite westlicher Handelsketten. "Wenn Einkäufer bankrott gehen, haben die Hersteller sofort ein Problem mit der Bezahlung." Insolvenzen wie die der Modehausketten Debenhams in Großbritannien oder La Halle und Camaieu in Frankreich seien für die Hersteller Bangladeschs der nächste große Schrecken.

Deutsche Welle


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